„Die Väter sind immer so hilflos“

‚Was soll ich den machen?‘ – den Satz kann er nicht mehr hören. Im Interview spricht Mohammed Nasser über die Angst im Umgang mit behinderten Kindern und über Väter, die einen Kindergarten noch nie von innen gesehen haben.

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Donnerstag, 23. August 2012

Man müsste ihn wohl gemeinhin als einen Gutmenschen bezeichnen, angesichts der vielen verschiedenen Projekte und Vereine, in den er sich engagiert oder die er selbst aufgebaut hat. Dazu fehlt ihm allerdings das Dogmatische. Einen Termin mit Mohammed Nasser zu bekommen, ist kein Problem und stellt sich doch als recht kompliziert heraus, weil seine schwer behinderte Tochter, das jüngste von drei Kindern, nach einem Zwischenfall erneut im Krankenhaus liegt – die Ärzte sagen, es sei es ohnehin ein Wunder, dass sie schon so alt geworden sei.

neukoellner.net: Herr Nasser, Sie engagieren sich ehrenamtlich für Väterarbeit, haben den Verein HUDA für Väter mit behinderten Kindern gegründet und arbeiten für das soziale Projekt „Mitreden in Neukölln“, das Eltern mit Migrationshintergrund helfen und motivieren soll, sich selbst ehrenamtlich zu engagieren etwa in Schulgremien. Woher nehmen Sie Ihre Motivation und Kraft für die vielen Projekte?

Mohammed Nasser: Durch meine Tochter ist mir aufgefallen, wie wichtig es ist, dass die Menschen wissen, was mit ihren Kindern los ist, was für eine Behandlung ansteht. Ich habe gerne den Leuten geholfen, die mit der Sprache nicht zurechtgekommen sind. Natürlich nur, wenn es meiner Tochter gut ging. Wir haben einen Pflegedienst angenommen, der es mir ermöglicht, öfters rauszukommen. Als wir unsere Tochter gekriegt haben, war ich anderthalb Jahre kaum draußen, saß auf der Couch mit dem Kind auf dem Arm und dachte mir irgendwann, dass es so nicht weitergehen kann. Ich habe ja noch zwei gesunde Kinder.

Seitdem ich mein Engagement begonnen habe, sind auch meine anderen Kinder wieder aufgeblüht. Die haben gemerkt, dass wir etwas Sinnvolles machen und waren stolz, dass ich mich in ihrer Schule engagiert habe. Egal ob der Weihnachtsmann in die Schule kam oder wir eine Papa-Kind-Olympiade veranstaltet haben – das hat alles Papa organisiert.

Der Fokus Ihres sozialen Engagements richtet sich vor allem auf die Väter. Haben Väter denn einen speziellen Nachholbedarf?

Ja, das ist traurig, aber allein in der KITA bei uns in der Ecke war ich schon ein besonderer Fall. Ich war mitunter einer der ersten Väter, den die Erzieher je gesehen haben. Da hatte ich mich auch schon gefragt: Mensch, gibt es keine Väter, die ihre Kinder gerne mal in die KITA bringen und abholen? Für mich war das immer schön, gerade das Abholen. Wenn man die Freude sieht, wie die Kinder angerannt kommen.

Was haben Sie anders gemacht?

Ich glaube, es kommt darauf an, ob man gerne oder zwangsweise Papa geworden ist. Ich wollte gerne Papa werden. Ich hab gesagt, dass ich vor 30 nicht heirate, in der Hoffnung, dass wenn ich selbst erwachsen bin, ich dann auch Kinder haben will. Ich habe meine Kinder gerne, ich habe mich darauf gefreut, dass ich endlich Kinder kriege. Am liebsten hätte ich sie manchmal gar nicht in den Kindergarten geschickt, um die paar Stunden Zeit nicht zu verlieren. Aber das ist ja auch wichtig für die Erziehung und die Entwicklung der Kinder.

Und dann ist Ihnen aufgefallen, dass Sie der einzige Mann sind, der seinen Fuß in die KITA setzt.

Ich habe angefangen, Mütter dort darauf anzusprechen. Leider sind viele Eltern geschieden und die Kinder leben bei nur einem Elternteil. Aber damit hat es angefangen. Sonst heißt es immer: ‚Was soll ich da, da sind doch nur Frauen.‘ Und natürlich freuen sich die Frauen, wenn sie irgendwo einen Mann sehen, der seinen Kindern die Schuhe anzieht und sich die Zeit nimmt. Da können sie dann nach Hause gehen und Druck ausüben. Und so hat sich das ein bisschen entwickelt. Als meine älteste Tochter in die Schule kam, ist mir das auch dort aufgefallen, dass manche Väter immer draußen bleiben, das Schulgelände erst gar nicht betreten.

Hat sich die Lage mittlerweile gebessert?

Ein bisschen. Natürlich kann man leider nicht immer alle erreichen, gerade bei der Väterarbeit. Wer im sozialen Bereich arbeitet, weiß wie schwer das ist. Väterarbeit ist Pionierarbeit und dann noch das Thema Väter mit behinderten Kindern. Da muss man Samen sähen, die vielleicht erst in fünf Jahren, wenn überhaupt, Früchte tragen. Natürlich hofft man, dass es schnell angenommen wird, aber man weiß, dass es Zeit braucht, bis die Menschen sich daran gewöhnen.

Haben Sie eine Art Zielgruppe?

Gott sei Dank gibt es jetzt bei uns Migranten die Väter, ich nenne sie mal die jungen Väter, die mit einem ganz anderen Elan, mit einer ganz anderen Motivation ihre Kinder fördern wollen und auch dazu stehen. Aber bei den etwas Älteren kann man nicht viel ändern. Außer man hält den Kontakt zu ihnen lange aufrecht. Aber sie davon zu überzeugen bei etwas mitzumachen, ist immer ganz schwierig.

Sprechen Sie die Väter aktiv an?

Ja, natürlich. Um mehr Leute zu erreichen, brauchen wir noch viele Gleichgesinnte.

Sind manche froh, angesprochen zu werden?

Wenige. Wenn wir in der Schule zwei Väter erreichen, die auf unsere Argumente eingehen, ist das schon gut. Viele kommen aus Neugier zu einem Elterntreff, aber gehen dann komischerweise wieder. Aber unsere Arbeit ist dranbleiben wir motivieren die Leute weiterzumachen. Motivieren, motivieren, motivieren ist mein Motto! Das hilft mir jetzt auch selber in meiner Situation. Es tut manchmal im Herzen weh, wenn man sieht, dass jemand gesunde Kinder hat, die verwahrlosen, weil sich niemand um sie kümmert. Ich wünschte mir, dass mein Kind ein bisschen was von uns annehmen könnte. Das Einzige, das ich unserer Tochter schenken kann, ist unsere Nähe, wenn ich sie auf den Arm nehme.

Wie gehen Sie bei der Ansprache der Väter denn konkret vor?

Manchmal frage ich sie, wann sie das letzte Mal ihr Kind auf dem Arm gehabt haben. Da müssen sie anfangen zu grübeln oder oft kommt dann eine kleine Lüge: ‚Ja, letztens.‘ Wenn man schon letztens sagt, war das sicher nicht heute in der Früh. Ich kann mich nicht an einen Morgen erinnern, an dem mein Kind aus der Tür gegangen ist und ich es nicht in den Arm genommen hab. Diese Sachen sind sehr wichtig für mich.

Worin liegt das Problem? Keine Lust? Keine Zeit?

Die Väter sind immer so hilflos. Wenn man sie fragt, warum sie nichts machen: ‚Was soll ich machen?‘ Geh auf den Spielplatz, nimm einen Ball, das reicht. Das ist wirklich manchmal komisch, wenn Väter fragen: ‚Was soll ich denn machen.‘ Irgendwas ist da nicht ganz richtig gelaufen, wenn ein Vater fragt, was er mit seinem Kind machen soll. Die meisten Eltern denken, Kinder seien materialistisch. Das sind sie gar nicht, die Eltern machen sie dazu. Dann meinte ich zu dem Einen: Mach deinen Kindern mal einen Vorschlag. Entweder du gehst mit ihnen eine Stunde auf den Spielplatz oder du kaufst ihnen ein Auto. Und sei mal bitte ganz ehrlich und erzähl mir, was dein Kind dir sagt.

Hat es funktioniert?

Eine Woche später kommt er zu unserem Elterntreff und sagt: ‚Mensch, ich glaub das nicht. Ich hab letztens die Probe gemacht. Mein Kind wollte wirklich auf den Spielplatz.‘ Siehst du, wie genügsam Kinder sind. Die wollen nicht immer Autos und riesen Geschenke, die wollen ihre Eltern, gerade Papas.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass sie für viele Väter unangenehm sind, weil sie sich nicht gerne mit ihren Problemen und Fehlern beschäftigen. Haben Sie auch manchmal mit einer Anti-Haltung zu kämpfen?

Ja sicher. In der Schule gibt es Leute, die schon versuchen, mich zu meiden. Aber ich bin da stur. Allein schon mit dem Thema Behinderung umzugehen, da muss man stur und eisern dranbleiben, sonst wären wir gar nicht so weit gekommen. Manche versuchen entweder, die Arbeit oder den Mensch selbst schlecht zu machen, weil sie Angst haben, dass man ihnen zu nahe kommt.

Sie haben gerade das Thema Väter mit behinderten Kindern besonders betont. Was ist dort das Problem, schämen sich die Väter für ihre Kinder?

Ja, leider. Scheinbar ist das Selbstbild des Mannes in Gefahr. Ich kann nicht als gesunder Mann ein behindertes Kind haben. Ich weiß nicht, ob das an zu wenig Bildung liegt, aber ich bin auch kein Akademiker und ich liebe mein Kind. Viele haben wahrscheinlich einfach diese Angst, dass man sie als Mann nicht mehr vollwertig ansieht.

Ist da etwas dran. Wie nehmen Sie den Umgang in der Gesellschaft damit wahr?

In der Gesellschaft ist es auch schwer. Ich stehe zu meinem Kind, aber wenn ich irgendwo bin, merke ich die Blicke. Es gibt Blicke, die sind normal, man darf auch nicht übersensibel werden. Aber es gibt auch Blicke, bei denen man am liebsten zu den Leuten hingehen würde und sagen: Frag doch was! Guck nicht so ängstlich! Dieses Abstandhalten. Wenn mein Kind in die Nähe von einem anderen Kind kommt und es sofort weggezogen wird. Da merke ich: nicht nur Väter mit behinderten Kindern haben ein Problem damit. Auch Familien, die keine behinderten Kinder haben, haben ein Problem damit, dass ihre Kinder in die Nähe von Behinderten kommen. Das tut einem selbst auch ein bisschen weh. Aber ich bin erwachsen, ich kann das verarbeiten.

Was mir am meisten wehgetan hat, war, wenn ich das bei meinen Kindern gesehen habe. Kinder kann man viel schneller kränken. Ich habe die Kinder immer mit ihrer Schwester abgeholt, so dass sie sich von Geburt an zu uns gehörig fühlt und ich habe die Kinder soweit gestärkt, dass sie zu ihrer Schwester stehen, dass sie sich auch freuen, wenn ich mit ihrer behinderten Schwester auf den Schulhof komme. Im Gegensatz zu anderen Kindern, die sich dann eher verstecken.

Mohammed Nasser bedankt sich am Schluss – entgegen der üblichen Rollenverteilung – für das Gespräch. Er habe sich im Krankenhaus seit Tagen nicht mehr die Gelegenheit gehabt, sich richtig zu unterhalten.

Mehr zu Huda e.V. (Hürden Überwinden Durch Austausch) findet ihr hier – mehr zu „Mitreden in Neukölln“ hier

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