Der Eingang des Ricam Hospiz in der Delbrückstraße sieht unscheinbar aus. Der Weg nach oben im Fahrstuhl verursacht ein mulmiges Gefühl: das Ziel ist ein Ort, an dem gestorben wird.
Heute herrscht reges Treiben. Es ist Tag der offenen Tür. Viele Interessierte haben sich für einen Rundgang zusammengefunden, die Geschäftsführerin Dorothea Becker möchte den Besuchern Einblick in den Alltag des Hospizes geben. Und sensibilisieren. Tod und Sterben sind im gesellschaftlichen Alltag kaum präsent. Die meisten Menschen erleben ihr Lebensende im Krankenhaus oder Pflegeheim, doch viele hegen den Wunsch, individuell umsorgt, im Kreis der Familie, zu sterben. Solche Möglichkeiten schaffen Hospize. Jedem soll sein ganz eigener Abschied ermöglicht werden: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“
Leben in Bewegung ohne Schmerzen
Cicely Saunders Zitat umreißt die Zielstellung der Hospizbewegung. Es geht um einen sensiblen, menschenwürdigen Umgang auf der Schwelle zum Tod. Dazu gehören im Neuköllner Ricam Hospiz, wie auch in fast 200 anderen stationären Hospizen in Deutschland, medizinische und pflegerische Unterstützungsleistungen in behutsamer Atmosphäre.
Die englische Ärztin und Sozialarbeiterin Saunders ist eine der Begründerinnen der modernen Hospizbewegung und Palliativmedizin. In der Palliativmedizin geht es darum, Patienten mit begrenzter Lebenserwartung bei fortgeschrittener Krankheit, die nicht mehr auf kurative Behandlung anspricht, von physischen und psychischen Schmerzen so gut wie es geht zu befreien.
Die Geschichte der Hospizbewegung beginnt – mit Blick auf die Wortherkunft – im Mittelalter. Das Wort „Hospiz“ umschrieb damals eine Übernachtungsmöglichkeit für Reisende und Pilger, die bei Bedarf vor Ort auch Pflege anbot. In der Moderne ist diese pflegende Betreuung nicht mehr unbedingt an ein Gebäude gebunden. Es steht allgemein „für die Haltung dem Ende des Lebens mit Respekt und Würde zu begegnen.“ Auch das Ricam Hospiz hat neben der stationären eine ambulante Versorgungseinrichtung.
Selbstbestimmt und menschenwürdig
Das Wort Ricam hat seinen Ursprung in dem italienischen Wort „ricambio“. Das bedeutet soviel wie Veränderung, Wechsel und verweist darauf, dass der Tod zum Leben dazugehört.
Das Ricam Hospiz wurde 1998 von Bürgern für Bürger gegründet. Zwei Krankenschwestern, darunter die derzeitige Geschäftsführerin Dorothea Becker haben es als erstes vollstationäres Hospiz vor 15 Jahren in Berlin initiiert. Seitdem geht es an dieser Stelle darum „leben und sterben – selbstbestimmt, nicht allein“ zu durchleben. Die erfolgreiche Arbeit vor Ort wird seit 2011 durch die Ricam Hospiz Stiftung getragen. Diese bewirbt auch die Hospizidee in der Gesellschaft und kämpft für ein menschenwürdiges Leben Schwerstkranker. Unterstützend bei der Realisierung sind dabei verschiedene Therapien, die durch ein interdisziplinäres Team umgesetzt werden können. Die Musiktherapie kann Patienten noch einmal stärker in Kontakt mit ihrer Außenwelt bringen, auch wenn diese isoliert und zurückgezogen leben.
Auf Helfer und Spendengelder angewiesen
Durch Geldspenden an die Stiftung müssen mindestens 10 Prozent der Kosten für die Begleitung eines Patienten im Hospiz aufgebracht werden. Jährlich sind es 200.000 Euro Spendengelder, die das Hospiz benötigt, um den Pflegebetrieb aufrecht zu erhalten. 90 Prozent beträgt der Anteil der Krankenkassen für jeden Einzelnen. Die Patienten selbst müssen seit 2009 keinen Eigenanteil mehr zahlen.
Jedes der 15 Patientenzimmer beherbergt einen Menschen. Zusätzlich zu diesen Räumen gibt es ein Gästezimmer, in dem Angehörige nächtigen können, und den Raum der Stille, der in Momenten großer Emotionalität von den Betreuern aufgesucht wird, um Ruhe zu finden. Zur besonderen Betreuung im Hospiz gehört es, dass täglich frisch gekocht wird. „Gerade frisches, leckeres Essen ist etwas Besonderes und sehr wichtig für die Menschen hier“, erklärt Dorothea Becker auf dem Rundgang. Für Menschen, die bereits eine lange Krankenhauskarriere hinter sich gebracht haben, ein großer Luxus.
Für Interessierte, die sich im Hospiz engagieren möchten, bietet das Ricam viele Möglichkeiten. Derzeit sind es mehr als 100 ehrenamtliche Helfer, die den Hospiz-Betrieb Aufrecht erhalten. Von der Gartenarbeit bis zu Pflegebetreuung gibt es viele Wege, um die Menschen vor Ort zu begleiten und zu unterstützen. Jeden Freitag lädt das Hospiz zum Kaffeetrinken, zu dem auch auswärtige Interessierte willkommen sind.
Sterne als Erinnerungsstücke
Auf dem Flur hängen Bilder der Künstlerin Gisela Manz. „Grenzbereiche“, „Was trägt“ und „Was hält“ heißen ihre Arbeiten. Es sind Themen, die die Patienten vor Ort beschäftigen; hier über den Dächern von Neukölln, wo man den Sternen sehr nahe ist. Und auch jeder Patient bekommt einen Papierstern über die Tür seines Zimmers gehängt. Dieser wird nach dem Ableben in eine Schale zu den anderen gelegt und soll so die Erinnerung an den Menschen aufrechterhalten.
Das im Eingangsbereich ausgelegte Trauerbuch erinnert an viele, die hier ihre letzten Tage verlebt haben. Ein Eintrag verdeutlicht sehr poetisch die Chance des Aufenthalts im Ricam Hospiz für Schwerstkranke. Die Tochter einer verstorbenen Fina H. schreibt: „Vielleicht kann man einen alten Baum doch verpflanzen, wenn er in einer Oase leben darf.“
Mehr Informationen unter: www.ricam-hospiz.de
Spendenkonto:
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