Interview & Fotos: Julia Lakämper
neukoellner.net: Was findet man als Besucher auf der Dicken Linda?
Theresa Dühn: Es gibt ein wirklich gutes, also qualitativ tolles Angebot aus Neukölln und Brandenburg. Uns vereint die Liebe für gute Lebensmittel und lokale Waren, wie selbst geschleuderter Honig oder handgeschöpfte Seife. Einiges ist bio, aber nicht alles. Das war auch nicht mein Anliegen, damit es erschwinglich bleibt. Für viele Besucher ist es eine gute Gelegenheit, sich umzuschauen, auf dem Markt zu verweilen, sich im Gespräch mit den Anbietern und Händlern inspirieren zu lassen. Zum Beispiel sorgt der Bio-Bauer Klaus aus dem Schlaubetal dafür, dass es schon früh seine Tomaten gibt: Er gibt sein Saatgut an einen Bauern in Italien und stellt dann, wenn hier die Saison beginnt, auf seine lokale Ware um.
Also ein Wochenmarkt, wo die Produzenten selbst ihre Ware verkaufen…
Die Bauern und Händler stehen selbst am Stand, sie nehmen sich Zeit für den Markt und lassen sich Löcher in den Bauch fragen. Das ist schön und wichtig, für mich selbst und natürlich für alle Besucher. Seit 2015 ist auch ein Nachbar mit dabei und bietet koreanische Spezialitäten an. Das ist wirklich wunderbar. Es gibt diverse Gemüsestände, Wurstiges von Meine kleine Farm, Wein vom Schwarzen Glas und der SinnesFreude, Käse von Peppies Käselager aus Neukölln, unverpackte Waren und Kaffee aus dem Kiezwagen Blank, Sauerteigbrot aus Neukölln und Cottbus – wirklich fast alles, was man sich für seinen Einkauf am Samstag wünscht. Und eine Freundin von mir, Inés, veranstaltet oft ein Marktfrühstück, bei dem alle etwas auf dem Markt einkaufen und dann gemeinsam brunchen.
Das klingt, als stärke der Markt den Austausch und die sozialen Kontakte. Wie definierst du gute Nachbarschaft?
In erster Linie bedeutet Nachbarschaft für mich Austausch und Kommunikation, einfach das Zusammenkommen der einzelnen Nachbarn. Ein Markt kann ein Bindeglied für eine bunt zusammen gewürfelte Gemeinschaft sein. Es gibt das Kranold-Weder-Netz, eine super Nachbarschafts-Initiative, das sich sehr engagiert und alles Mögliche auf die Beine stellt. Die Dicke Linda ist auch eine Plattform für das Kranold-Weder-Netz, es gibt dort immer einen Infostand für weitere Aktivitäten. In der Summe gibt diese gelebte Nachbarschaft dem Kiez sein Gesicht. Bei mir im Haus zum Beispiel kennt man sich, man hilft sich, leiht sich mal eine Leiter oder eine Bohrmaschine aus. Das ist in Berlin ja nicht unbedingt die Regel.
Was hat dich nach Neukölln verschlagen?
Ich komme ja ursprünglich aus Cottbus, arbeite in Brandenburg und bin über einen Umweg über Friedrichshain vor ungefähr fünf Jahren in Neukölln gelandet. Viele Freunde waren schon da, das war natürlich ein wichtiger Grund für mich. Der Kranoldplatz war ganz unscheinbar, ruhig, für viele sicher zu weit weg von allem Trubel. Mich haben der Platz und die Ruhe dort sofort begeistert. Und ich hatte das Glück, damals ein schöne Wohnung, direkt am Kranoldplatz, mit Blick auf den Marktplatz, zu bekommen. Seitdem fühle ich mich wahnsinnig wohl – hier habe ich Wurzeln geschlagen.
Was hat sich seitdem für dich verändert?
Ich beobachte auch nur leise Veränderungen, die ich persönlich schön finde: Man sieht ein paar junge Familien und manchmal entdecke ich junge Studenten beim Einzug in den Kiez. Noch ist alles ganz gemütlich hier.
Wie kam es dazu, dass du einen Wochenmarkt auf dem Kranoldplatz initiiert hast?
Meine Wohnung hat einen Balkon zum Platz. Ganz oft schaute ich auf dem Marktplatz und stellte mir vor, wie schön es wäre, wenn die Leute im Kiez dort frisches Gemüse und Waren aus Neukölln und Brandenburg kaufen könnten, einen Schnack mit den Nachbarn halten und einen Kaffee trinken. Ein Marktplatz ist doch die Mitte eines Dorfes, der zentrale Treffpunkt – und bei uns am Kranoldplatz gab es nicht einmal Sitzmöglichkeiten. Also habe ich mich aufgemacht, Händler gesucht und gefunden. Wenn jetzt die Dicke Linda stattfindet, kann ich das bunte Treiben auch von meinem Balkon genießen – meistens bin ich aber unten auf dem Platz im Einsatz. Ich habe im letzten Jahr meine Arbeitszeit in meinem Job freiwillig reduziert, um die Dicke Linda organisieren zu können.
Was ist deiner Meinung nach die größte Stärke von Neukölln?
Ich schätze die Anonymität Berlins, aber gleichzeitig genieße ich es, die Leute im Kiez mit der Zeit kennenzulernen. Aber was noch wichtiger ist: Neue Ideen fallen hier auf fruchtbaren Boden. Alles ist offen. Man kann sich was trauen und bekommt die Möglichkeit, etwas auszuprobieren – einer Idee Handlungen folgen zu lassen. Der Start der Dicken Linda war dennoch nicht so leicht muss ich sagen. Die Bauern mussten überzeugt werden, dass sich der Einsatz lohnt – die leiden ja nicht gerade unter Langeweile. Und ich selbst war ja kein Markt-Profi.
Wie war die Zusammenarbeit mit den Behörden?
Das Ordnungsamt hat mich zum Beispiel sehr unterstützt. Wer hätte gedacht, dass ich für den Markt die Stromkästen sanieren muss? Aber wer sich hier engagiert, ist wirklich willkommen, hier werden dir keine Steine in den Weg gelegt. Als beim Auftakt der Dicken Linda alles stand und die Besucher kamen, waren alle sehr zufrieden: Die Mühe hatte sich gelohnt! Dieses Jahr gibt es schon weit mehr Termine. Ein Ergebnis unserer Umfrage zum Ende der letzten Saison war es, dass sich die Nachbarn den Markt alle zwei Wochen wünschen würden.
Kannst du dir die Dicke Linda auch in Mitte vorstellen?
(Überlegt eine Weile.) Nee.
Warum nicht?
Nee, da gibt’s ja keinen Bezug für mich. Das war das Besondere hier, der leere Platz vor der Haustür, der für die Nachbarschaft quasi brach lag und dem ich mehr Leben einhauchen wollte.
Was sind deine Lieblingsorte in Neukölln?
Der Körnerpark hier auf jeden Fall. Das Feld. Und zum Frühstück ins Fellfisch. Auch der Biergarten des Brauhaus Rixdorf ist im Sommer echt schön. Achja, und die Kiezbackstube vom Wiener Brot, die backen in Neukölln für ganz Berlin. Das wissen noch wenige, dass es dort richtig leckeres Brot direkt aus der Holzofenbackstube gibt. Das vermisse ich noch: Noch mehr hochwertiges Essen im Kiez, abseits von Cafés und den allgemeinen Standards.
Was wünscht du dir für deinen Kiez?
Ein Freiluftkino wäre noch toll! Aber es zeigt sich schon eine positive Entwicklung, nur wünsche mir noch mehr Verbindung im Kiez, mehr Gemeinschaft. Vor allem wünsche ich mir noch mehr internationale Besucher auf dem Markt, um den Kiez noch besser zu repräsentieren. Was ich total schön finde ist, dass der Platz jetzt insgesamt belebter ist: Kürzlich gab es ein Benefizkonzert, davor hat ein Gottesdienst stattgefunden. Einmal im Jahr, ich glaube das ist im Mai, gibt es ein großes Kiezfrühstück – da ist immer was los. Das Fastenbrechen wird gemeinsam begangen, und im November kommt Sankt Martin auf dem Schimmel angeritten.
Die neue Saison der „Dicken Linda“ startet am 2. April 2016. Samstag ist Markttag, immer von 10 bis 16 Uhr.
Dieser Artikel erschien erstmals im Juni 2011 auf neukoellner.net.
Kommentare:
Top. Sie wünscht und initiiert genau das was andere Kieze schon zerstört hat. urbane Heuschrecken @ its best