„N wunderschönen juten Abend“

Bier und Adventskranz

Jedes Wochenende quetschen wir uns in überfüllte Szene-Bars, in denen uns oft nicht viel mehr als Anonymität und Unfreundlichkeit erwarten. Warum eigentlich? Ein Plädoyer für die Eckkneipe.
(mehr …)

Text:

Mittwoch, 14. Dezember 2011

Text: Sabine Künzel 

Seit einer halben Stunde laufen wir durch die Weserstraße. Es ist Freitagabend und wir haben diesen einen bescheidenen Wunsch: Einen kleinen freien Tisch in einer gemütlichen Kneipe zu finden – wie es scheint nicht bescheiden genug. Nirgendwo ist auch nur ein einziger Stuhl frei .

Zwei aus der Runde sind gerade erst nach Neukölln gezogen. Sie wollen mit uns ihren neuen Kiez erkunden. Das ist mühsamer als gedacht, draußen ist es kalt und wir sind des Herumziehens müde. Da fällt mein Blick auf die Straßenecke gegenüber. An der Hauswand prangt ein Schild mit der Aufschrift „Zum Anker“, daneben ein Schultheiss-Banner. Ich verspüre große Lust auf Sitzen und ein Berliner Bier in uriger Umgebung, also setze ich mich durch und in die Eckkneipe hinein. Die Gruppe folgt zögerlich.

„N wunderschönen juten Abend“, begrüßt uns der Wirt, als wir uns einen Tisch ausgesucht haben, hier haben wir die freie Auswahl. Auf den Gesichtern der anderen Besucher zeigt sich ein Anflug von Neugier. Man lächelt uns freundlich und offen zu.

Ist das Kunst oder kann das weg? Der Tresen bei Martha und Micha am Karl-Marx-Platz.

Ich erinnere mich, dass ich Ur-Berliner Kneipen wie diese  jahrelang gemieden habe. Nicht, weil ich mich nicht hinein getraut hätte, nein. Aber ich lebte in dem Glauben, dass die Betreiber und Gäste ihre Ruhe haben wollen vor all den jungen und kreativen Menschen, die nach und nach ihren Bezirk bevölkerten. Dass sie die gewohnte Atmosphäre aufrechterhalten möchten, die sich sicherlich verändert, wenn das Publikum sich verjüngt oder einen anderen sozialen Hintergrund mitbringt.

Ne Cola? Echt jetze?

„Wat darf ick denn bringen“, fragt uns der Wirt und lacht, als meine Freundin eine Cola bestellt. „Jetzt wirklich? Ne Cola? Nee, also echt jetzte? Soll ick dir nich doch lieber ´n Bier machen?“ Es bleibt bei der Cola, dafür hat einer der beiden Neu-Neuköllner das Bedürfnis nach einem guten Rotwein. War das der Grund für sein Zögern beim Betreten der Kneipe? Ich rate ihm, seine Getränkewahl noch einmal zu überdenken, doch er weiß was er will. „Klar ham wa Rotwein, bring ick dir, natürlich! Wat dit für eener is? Weeß ick jetzt nich so jenau, kann ick aber nachkiekn.“ Wir unterhalten uns angeregt, rauchen, lachen, trinken und genießen die gemütliche Atmosphäre bei einem Spiel Dart, untermalt mit den Hits der 90er, die man von einschlägigen Radiosendern oder Bad Taste-Partys kennt. Nur der Rotweintrinker verzieht nach dem ersten Schluck sein Gesicht. Er wird den Wein auch im Verlauf des Abends nicht mehr anrühren.

Ein Gast kommt an den Tisch und klopft uns auf die Schultern. „Ick wünsche euch noch ’nen schönen Abend, macht’s jut Leute!“, ruft er uns zu, dann geht er. Ihm folgen später noch zwei weitere Gäste, die sich ähnlich freundlich von uns verabschieden, obwohl wir vorher nicht ein einziges Wort miteinander gewechselt hatten.

So positive Resonanz erlebe ich nicht zum ersten Mal. Nirgends wird man so herzlich empfangen und verabschiedet wie in Berliner Eckkneipen, an kaum einem anderen Ort sind die Getränke so unschlagbar billig und selten kommt man so leicht mit anderen Gästen ins Gespräch. Sicherlich muss man das auch wollen, und wenn man abends lieber einen guten Rotwein trinkt und angesagte DJs hört, ist man hier an der falschen Adresse. Sucht man jedoch ein ruhiges Plätzchen abseits der Touristenströme und Hipstertreffs, gibt es keinen idealeren Ort als die Kiezkneipe.

Das Paralleluniversum

Bisweilen komme ich mir vor wie in einem Paralleluniversum. Wir quetschen uns lieber in eine stylische Bar, die nur noch Stehplätze für uns übrig hat, anstatt ein paar Meter weiter in einer gemütlichen Kneipe Platz zu nehmen? Und wo bleibt dabei die soziale Durchmischung im Kiez, die wir selbst immer wieder fordern? Natürlich haben wir als Studierende, Künstler, Selbstständige oder Eltern, wie jeder andere auch, das Recht, dort zu leben und auszugehen, wo wir wollen. Aber wir tragen auch eine Verantwortung für die Umgebung, die wir uns zum Leben ausgesucht haben. Wir wollen nicht, dass Alteingesessene auf Grund von unverschämten Mietspiegelangleichungen und überzogenen Preissteigerungen den Kiez verlassen müssen. In Bezirken wie dem Prenzlauer Berg, wo die Gentrifizierung viel weiter fortgeschritten ist als in Neukölln, gibt es kaum noch Kiezkneipen. Längst sind den Betreibern mit der Veränderung der Bevölkerungsstruktur die Umsätze weggebrochen. Also haben wir dafür zu sorgen, dass zumindest die, die ein Gewerbe besitzen, durch uns Umsatz machen – ob das nun Bäcker, Schuster oder Kneipenwirte sind.

Mittlerweile sind wir die letzten Gäste im Anker. Die Getränke sind leer, in der Dartscheibe ruhen die Pfeile, der Chef will langsam schließen. Wir zahlen und verabschieden uns. „Kommt bald wieder“, ruft uns der Wirt im Hinausgehen nach. Worauf er sich verlassen kann.

Kommentare:

  • christoph sagt:

    sehr schöner artikel mit viel wahrem inhalt. sowas ähnliches habe ich auch mal erlebt und fand es „auch nicht so schlimm“. vlt haste recht und man sollte viel öfter solche kneipen aufsuchen… na vlt schon heute abend 🙂
    in diesem sinnne. schönes we

  • Lars sagt:

    Hallo, schöner Artikel! Er ermutigt tatsächlich das vermeintlich Unmögliche mal auszuprobieren – eines dieser zur Zeit noch zahlreich vorhandenen Paralleluniversen zu betreten, den Leuten Mut zu machen und sich nebenbei eine neue Welt zu erschließen…und ich bin ehrlich: Gedacht und mir vorgenommen hab ich das auch schon tausend mal. Doch gemacht hab ich es noch nie. Aber zu spät ist es noch nicht. Noch nicht.

  • Sabine sagt:

    Freut mich, dass ihr euch dazu animiert fühlt, auch mal eine Eckkneipe zu besuchen! Zu spät ist es nie, und einen besseren Eindruck des Ur-Berliner Charme bekommt man selten. So unfreundlich, wie man es den Berlinern nachsagt, sind diese nämlich gar nicht 😉 Nehmt zahlreiche Freunde ins Schlepptau und genießt einen urigen Abend, ich wünsche euch viel Spaß dabei! Viele Grüße, Sabine

  • dom sagt:

    in welche Eckkneipe gehen wir heute Bine?

  • sam sagt:

    lass uns ma ne eckkneipentour machen mit eckkneipOmeter, bine wird chefjouror! (heut nehm ich die kneipe aber auch ohne eck)

  • Sabine sagt:

    Ja, Eckkneipentour! Das wird ein Spaß. Sollten wir im neuen Jahr gleich angehen und ein anständiges KneipOmeter erstellen, finde die Idee ausgezeichnet! 🙂

  • ww sagt:

    Also in die Nazikneipe setze ich keinen Fuss rein…wie auch die Nachbarn auch, die haben nicht vergessen , das das lange Zeit so ein brauner Stammtisch war…