Die Weserstraße ist so etwas wie die Nord-Neuköllner Partymeile schlechthin. Hippe Cafés reihen sich an Spätis, Bars und Restaurants. Betrunkene und grölende Touristen gehören dort zum Stadtbild, das Ordnungsamt kommt mit der Beseitigung des Mülls kaum hinterher. Nachdem das Fuchs & Elster in der Weserstraße 207 im vergangenen Dezember seine Räumlichkeiten verließ, sahen Hagen Wittenborn und Martin Hussain, zwei Jungunternehmer aus Düsseldorf, ihre Chance gekommen. Die beiden eröffneten die Bar Kaduka im Vorderhaus und funktionierten die Gewerberäumlichkeiten im Hinterhaus kurzerhand in ein Hostel mit 33 Betten um.
Einigen Anwohnern und der Nachbarschaftsinitiative Weserkiez passt das gar nicht, sie sehen hier ihre Nachtruhe gefährdet und befürchten soziale Verdrängung. Angesichts der jüngsten Vorgänge im Reuterkiez, wie der drohenden Zwangsräumung des Kiezlandens F54 in der Friedelstraße, kann man diese Ängste verstehen. Und so verhärten sich allmählich die Fronten zwischen Vermieter, Betreibern und Mietern.
Legal, illegal?
Ist das Hostel legal? Hier beginnen die ersten Probleme. Laut einer Stellungnahme von Jochen Biedermann (B’90/die GRÜNEN), Bezirksstadtrat in Neukölln, liegt das Grundstück „nach den Ausweisungen des Baunutzungsplanes im allgemeinen Wohngebiet. Nach den gesetzlichen Grundlagen sind dort Wohngebäude, Ladengeschäfte sowie gewerbliche Kleinbetriebe und Gaststätten, wenn sie keine Nachteile oder Belästigungen für die nähere Umgebung verursachen können zulässig.“ Außerdem seien dort in einigen Ausnahmefällen auch Gebäude für soziale, kulturelle, gesundheitliche und sportliche Zwecke sowie Fremdenheime geduldet.
Da Hostels aufgrund des vergleichbaren Betriebsablaufs und des vergleichbaren Störgrades mit Hotels gleichzusetzen seien, sei es daher unzulässig im hinteren Teil des Gebäudes ein solches zu betreiben. Nichtsdestotrotz würde jeder Antrag auf Nutzungsänderung der Räumlichkeiten korrekt geprüft. Dieser Antrag ging jedoch erst am Freitag, den 12.05.2017, beim Bezirksamt Neukölln ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Hostel, trotz mehrmaliger Warnungen seitens der Bezirksverwaltung, seinen Betrieb seit gut anderthalb Monaten aufgenommen.
Der Betreiber Hagen Wittenborn versteht derweil die Aufregung um die fehlenden Formalitäten nicht. Er verteidigt seine Vorgehensweise als übliches Prozedere. „Da es sich bei dem von mir angemieteten Objekt nachweislich um eine Gewerbefläche handelt […] bedarf es laut fachmännischer Rücksprache normalerweise keinerlei Antrag auf Nutzungsänderung. Dieser wurde aufgrund mehrfacher Aufforderung und aussergewöhnlichem Druck seitens der Behörden und zum Beruhigen aller Gemüter jedoch trotzdem erst formlos durch den Anwalt eingereicht. Dies bedurfte jedoch einiger vorheriger Vorbereitungen und Absprachen […]. Der finale Antrag des Architekten ging deshalb erst vergangene Woche ein. Hinzufügen möchte ich, dass es gängige Praxis ist, etwaige, notwendige Anträge während des laufenden Geschäfts ein- bzw. nachzureichen, da ansonsten Einnahmen fehlen und den vorzeitigen Bankrott bedeuten würden.“
Kündigungsschreiben an Mietparteien
Dass hier einem Jungunternehmer Steine in den Weg gelegt werden, mag stimmen. Als Banalität sind solch fehlende Genehmigungen allerdings nicht zu sehen – können sie doch mit einer Geldstrafe von bis zu 500.000 Euro geahndet werden. Was hat es mit den Kündigungen auf sich? Im Zuge der Proteste gegen das Hostel kam es am 8. Mai seitens des Vermieters Alexander Skora zu „pro-forma“ Kündigungsschreiben an fünf verschiedene Mietparteien, was bedeutet, dass bei der nächsten Mahnung an einen der Mieter eine Kündigung vor Gericht Bestand hätte. „Aus fast 30jähriger Erfahrung mit Berliner Gerichten in Mietsachen ist eine Kündigung nach wiederholter Abmahnung nur wirksam, wenn vorher bereits zusammen mit der Abmahnung gekündigt wurde und dann im Wiederholungsfall wird die Kündigung eines Wohnungsmietverhältnisses auch richterlich bestätigt“, gibt Alexander Skora an.
Stutzig macht die Tatsache, dass diese Kündigungsschreiben ausschließlich Mieter betrafen, die sich in der Nachbarschaftsinitiative Weserkiez engagieren. Zudem wohnen vier der betroffenen Parteien, laut Katharina Wolff, Pressesprecherin der Nachbarschaftsinitiative, schon zwischen 10 bis 30 Jahren in besagtem Gebäude. Die zu zahlende Miete der betroffenen Parteien dürfte demnach recht günstig sein. An diesem Punkt kann man den Vorwurf der sozialen Verdrängung nachvollziehen. Die Kündigungsschreiben, die der Redaktion vorliegen, sind derweil ziemlich vage formuliert. Von Beleidigungen, Bespucken, illegalen Untermietern, „unnachbarschaftlichem“ Verhalten und einem Hund als Kündigungsgründe ist dort die Rede. Die Mietparteien distanzieren sich deutlich von diesen Vorwürfen. Unter den Mietern des Gebäudes herrsche Freundschaft, so Katharina Wolff.
Gegenseitige Beschuldigungen
Die Rechtmäßigkeit der Kündigungsschreiben zweifelt Alexander Skora indes nicht an. „Das Beleidigen, Bedrohen und Bespucken von Mitmietern, Nachbarn und Besuchern eines Hauses sind gerichtsfeste Kündigungsgründe“, gibt er an. Die Nachbarschaftsinitiative Weserkiez wirft dem Vermieter Skora nun vor, er wolle sich unliebsamer Mieter entledigen, indem er sie mundtot mache. „Man kann sich mit einer Abmahnung keiner Mieter ‚entledigen‘ und das Wort ‚mundtot‘ habe ich vorher noch nie genutzt“, erklärt er, konfrontiert mit den Vorwürfen.
Das Verhältnis zwischen den Betreibern des Streitobjekts und den Anwohnern ist ebenfalls nicht das beste. So bezeichnete Wittenborn, laut Katharina Wolff, die Nachbarschaftsinitiative als rechte Bürgerwehr. Auf Nachfrage verneinte er dies. Nachdem eine von Alexander Skora beauftragte Pressemitteilung von der Agentur Macheete veröffentlicht wurde, deren Tenor lautete, die Nachbarschaftsinitiative lege es mit ihrem Protest unter anderem darauf an, Flüchtlinge vor die Tür zu setzen, warf diese Wittenborn die Instrumentalisierung von Geflüchteten vor.
Hierfür hat Hagen Wittenborn eine Erklärung. Seine Aussage sei zwar zitiert, jedoch aus dem Kontext gerissen worden. „Auf die Nachfrage hin was ich mit ihnen machen würde, sollte ich das Hostel schließen müssen, antwortete ich, dass mir nichts anderes übrig bleiben würde, als sie, genau wie alle anderen bitten zu müssen, sich eine andere Bleibe zu suchen.“ Weiterhin gibt er an: „Auch wenn ich zitiert wurde, habe ich weder diese Aussagen getroffen, noch versucht ‚das Leid der Flüchtlinge für mich zu instrumentalisieren’“. Hagen Wittenborn erhielt laut eigener Aussage Drohanrufe. Beleidigungen kämen auch des Öfteren vor. Außerdem sei er von einem Mitglied der Nachbarschaftsinitiative als „ganz mieses Kapitalistenschwein“ bezeichnet worden. Die Front der Kaluka Bar wurde von Unbekannten mit grünen Farbbeuteln beschmissen, auf einen neuen Anstrich verzichtet er vorerst.
Runder Tisch mit Politikern
Die Frage, ob Gesprächsbereitschaft mit den Anwohnern bestehe, bejaht Hagen Wittenborn. „Es gab bisher mehrfache Gespräche mit einem Teil der Anwohner […], ebenfalls boten Martin Hussain und ich des Öfteren schon eine Art runden Tisch bei uns im Kaduka an. […] Wo genau ist das Problem, warum redet keiner mit uns […], was ist bisher Negatives aufgefallen, […] , was können Anwohner, Nachbarschaftsinitiativen, Vermieter, Politik und Martin und ich als Mieter tun, um etwaige Unstimmigkeiten aus der Welt zu räumen, etc. Bisher kam leider kein Gespräch zu Stande. Jedoch hatten wir jetzt am Wochenende erstmalig die Bereitschaft zu einem Gespräch zugesagt bekommen.“ Ob es nun tatsächlich Gespräche mit den betroffenen Mietern gab lässt sich aus dieser Aussage allerdings nicht ableiten. Katharina Wolff bestreitet dies. „Richtig dreist!“ gibt sie an, es gab bisher kein einiziges Gesprächsangebot seitens der Betreiber.
Die Nachbarschaftsinitiative Weserkiez plant nun diverse Aktionen. Man arbeite daran, eine Podiumsdiskussion mit u.a. Politikern der Linken und Jochen Biedermann, Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Soziales und Bürgerdienste, zu organisieren. Ein Besuch bei der Hausverwaltung Skora sei ebenso geplant. Man suche nun auch den Austausch mit anderen Initiativen aus dem Bezirk. Ein juristisches Gutachten, welches verdeutlichen soll, dass ein Hostel im Hinterhaus des Gebäudes unzulässig sei, stehe ebenso auf der to-do-Liste. Hagen Wittenborn hingegen wünscht sich, die Streitigkeiten untereinander zu regeln. „Schön wäre es sicher für alle Beteiligten gewesen, man würde mal miteinander sprechen, anstatt alles über die Presse oder sonst wie zu kommentieren.“
Kommentare:
Schön wäre auch, die Verwaltung machte ihre Arbeit und untersagt und beendet die Nutzung, soweit sie illegal ist. Dass sich solch ein Prüfvorgang ewig hinzieht, ist ein Armutszeugnis.
Übrigens braucht es keinen Antrag für eine Prüfung. Die Behörde müsste, sobald ihr der Sachverhalt bekannt wird, von sich aus prüfen. Schon allein, um für den Fall, dass das Hostel nicht genehmigungsfähig ist, die Nutzung zu beenden.
Für den Fall, dass die Nutzung grundsätzlich genehmigingsfähig ist, hätte die Behörde zur Antragsstellung auffordern müssen. Aber nicht über die Presse.
Der zuständige Stadtrat ist ja noch neu, vielleicht weiß er es nicht besser. Aber seine Verwaltung sollte entsprechend handeln. Und er sollte so etwas nicht über die Presse austragen. Es wird sicherlich andere Gelegenheiten geben, sich als Gentrifizierungskritiker zu profilieren.