Einmal Döner mit Zimt, bitte!

Adventskerze_hellerEin bisschen Weihnachtsstimmung muss hier doch irgendwo zu finden sein. Eine Gonzo-journalistische Spurensuche zwischen Rosinenbombern, Dönerbuden und der Frage, wie lange die Geburt Jesu in diesem Jahr dauert.

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Dienstag, 15. Dezember 2015

Text & Bild: Lislbar; für das Rundumerlebnis steckt hinter den Links die passende musikalische Lesebegleitung.

„Pass auf Junge, kuck, überall die Scheiße, das alles so ekelhaft hier“, ruft die bekopftuchte Mutter resigniert. Mit mehr als ein wenig Hochachtung beobachte ich, wie sie Kinderwagen, die beiden Töchter an der rechten Hand und den forsch voran laufenden Jungen unter absoluter, totalitärer Kontrolle hält. Ja, alles so ekelhaft hier – das stand bis vor unbestimmter Zeit noch auf dem gelben Postkasten, dick und fett mit rotem Edding hingeschrieben. Keine Ahnung, ob das mit der steigenden Verzweiflung wegen des wiedergekehrten Grauschleiers zusammenhängt, dass wirklich jeder Bewohner der Warthestraße seinen ungeliebten Hausrat inzwischen ohne jegliches Schamgefühl auf das Pflaster schnalzt.

Aber ja, da würde ich der Mutter zustimmen, die Hundescheißedichte steigt exponentiell zum Temperaturabfall an, was daran liegen könnte, dass es mit Handschuhen, irgendwie noch lästiger wird, die Notdurft des Vierbeiners in das Plastiktütchen zu packen. Vielleicht frieren die leicht feuchten Hundekotbeutel der BSR auch einfach nur zusammen, was zu enormer Frustration bei willigen Hundehaltern führt. Dann bleibt das jetzt halt da liegen und kommt nicht weg. Wozu denn auch, ist ja eh alles so ekelhaft geworden, seit die bei Aldi & Lidl wieder das ganze Weihnachtsbackgekröse anpreisen.

Trotzdem immer noch nirgendwo „Last Christmas“ gehört und das ist doch wirklich mehr als ärgerlich, weil man doch erst dann in Weihnachtsstimmung kommt, wenn man an George Michael denkt, der völlig weggedröhnt auf Poppers irgendwelchen Fremden sein kalt geschrumpeltes Glied – Verzeihung, seinen Schwanz – auf einem WC vor die Nase hält, nachdem er sich als Tramper am Rasthof Dreilinden oder so mit einem minderjährigen Lastwagenfahrer vergnügt hat, der ihn freundlicherweise in die Stadt gefahren hat.

Man stelle sich das bitte kurz in der ganzen Pracht vor: Man läuft mit seinem lang schon nicht mehr dampfenden Glühwein durch die windige Hasenheide, so eine leichte Übelkeit ohnehin schon im Magen, weil viel zu viel Nelkengewürz in dem Kackzeug drin war. Bedächtig schreitet man in freudiger Erregung in die öffentlichen Toiletten der Hasenschänke und dann ist’s erstmal vorbei mit „this year to save me from tears“. Pfui. Ganz viel Pfui.

Überhaupt wieder ganz viel Geheule an allen Ecken. In den Plattenläden geiern die Digger verzweifelt nach einer Kopie von Dylan’s „Blood on the Tracks„, aber keine Chance, nicht zu dieser Zeit, da kriegt so was einen Raritätenwert, wie ein dicker Joint um 09:00 morgens in irgendeinem Club der Stadt. Da, wo unsere coolen Freunde „mit den Promohuren ein mediales Petting“ feiern, als gäbe es kein Morgen. Schon ganz gut, dass Muff Potter sich aufgelöst haben. Da kann Nagel jetzt mit Oliver Koletzki im Watergate feiern und alle sind zufrieden, solange Tocotronic nicht ihre post-moderne Version von „Wer klopfet an?“ als Kommentar zur Berliner Flüchtlingspolitik ins Netz stellen. Das könnten sie dann im Gasometer bei Jauch live aufführen. Da würde eh mal ein bisschen Auflockerung Not tun. Vielleicht auch mal Hatebreed live, während Sigmar Gabriel mal wieder seine Meinung ändert. „If you don’t live for something, you’ll die for nothing„… Ob die bei Jauch auch diesen überwürzten Spekulatius anbieten?

Dass man den Gasometer von meinem Lieblingshochsitz auf dem Tempelhofer Feld aus sehen kann, das ist auch so ein Ärgernis: Warum geht man denn bitte auf dieses Feld? – genau, um Horizont zu sehen, Weite. Aber auf keinen Fall möchte man durch den Gasometer und den Gedanken an Günther Jauch weiter deprimiert werden. Inzwischen steht da auch eine große Tafel, wo auf Plastikfolie freundlich und farbig die Bebauungspläne ausgestellt sind. Dazu Bilder von lachenden Kindern, Inlineskatern etc. Ganz warm wird einem da ums Herz.

Fein wird das, heissa, hoppsa, nur noch ganz oft Schlafen und da ist sie endlich, die Mischnutzung für Alle. Vielleicht können die Ehrengäste der Eröffnungsfeier dann endlich über den BER (das Flughafending) eingeflogen werden. Ja, davon träumen sie ganz heimlich, der Wowi und der Henkel beim gemeinsamen Schlittschuhlaufen. Der eine, weil wegen Ruhm und seiner sexy Armut, der andere wegen der Lösung für den O-Platz. Da kommt dann Bono zum großen Tempelhof-Rosinenbomber-Festival und jedes Mal, wenn er in seine Hände klatscht, wird einer abgeschoben. Aber nicht jetzt, so kurz vor Weihnachten, das hat noch Zeit bis der linke Teig mürbe geworden ist.

Das gescheiterte Multi-Kulti treibt währenddessen die wunderbarsten Blüten in Form von Weihnachtssternen an Falafelbuden. Absolutes High-Light bisher: ein nicht ausgepacktes Weihnachtsgesteck, schön mit Preisaufkleber und Plastikverschweißung im Fenster eines Dönerladens. Von wegen gescheitert, da wird der genügsame Geist der deutschen Weihnacht beispielhaft nachgeahmt. Das kommt dann in die Schublade zu dem Putzzeug, das man nur ganz selten braucht. Am Rathaus Neukölln neulich folgendes vernommen: „Hach wirklich, das musst du probieren, ich glaub das hat eigentlich nichts mit Weihnachten zu tun, das haben die ja nicht als Moslems, aber das passt einfach so gut zum Glühwein dieses Aroma im Fleisch.“ Nächstes Jahr wieder „Hoch die Tür, die Tor mach weit“ und man reibt ein bisschen Zimt und Nelken auf seinen Spieß.

Die Eckkneipen bringen langsam aber sicher den Wettbewerb ums Trinkervolk ins Rollen. Mit DJ und Lichtorgel, Reservierung erbeten. Öffnungszeiten während der Feiertage immer von 9:00 – ???, weil das kommt ja ganz drauf an, wie lang die Geburt des kleinen Jesus dieses Jahr so dauert. Im „Warthe Eck“ erzählt Sabine, dass damals, als „Schimmy“ und „Schannis“ noch zusammen in Woodstock gespielt hätten, das waren noch Zeiten. Im Radio läuft der Aktuelle-Stau-Und-Blitzer-Service und gleich danach Bronski Beat mit „Smalltown Boy„. Alle starren interessiert in ihr Bier, nur der Zugezogene wagt ein paar angedeutete Tanzschritte auf dem Weg zum Klo.

Zwischen den Wohnblöcken an der Werbellinstraße steht ein sehr mächtiger Christbaum. Da hat man sich durchaus Mühe gegeben seitens der Hausverwaltung. Bisschen verloren wirkt er schon und man fragt sich so und so, wer denn hier überhaupt „Oh Tannenbaum“ singen könnte. „Stadt & Land“ an der Ecke Hermannstraße haben sich auch richtig dolle in Schale geschmissen, mit fein viel roter Lichtkette und furchtbar geilen Wintersternschneeflockenaufklebern auf den Schaufenstern. Innerlich löst die stilisierte Winteridylle, die völlig konträr zum Frühlingswetter steht, einen Haufen widersinniger Gedanken aus. Aufblitzende Szenen aus „Love Actually“. Da sieht der türkische Bäckermann gleich ein wenig aus wie Hugh Grant.

Das Bild von Buschkowsky vor dem mächtigen Weihnachtsbaum zwischen den Wohnblöcken, Hand in Hand mit einem Haufen Investoren, die gemeinsam „Do They Know It’s Christmas Time At All“ schmettern, will nicht aus meiner Hirnrinde scheiden. Vielleicht kommt nächstes Jahr wieder David Hasselhoff, der eine Mauer um das Tempelhofer Feld niedersingen möchte. Oder es wird ein Duett mit Bono. Inzwischen singt The Hoff ja für den Erhalt von Mauern, was gleich läuft wie mit dem Händeklatschen und Abschieben. Ideologisch gesehen zumindest. Ist doch alles Humbug! Zumindest bleibt der Pfeffi endlich mal kalt im Winter. Der passt nämlich kalt ganz hervorragend zum einsamen Marius-Müller-Westernhagen-Gefühl, das sich eingeschlichen hat. Das Publikum dünnt aus auf der Hermannstraße und mein Plan, ein wenig mehr Weihnachtsgeld zu verdienen, indem ich ungefragt immer wieder „Mrs. Robinson“ von mir gebe, scheint ewiglich zum Scheitern verurteilt. Für heute war’s das dann mit Sterngesinge, weil „Jesus loves you more than you know, oh oh oh“.

Alles klar, denke ich, während ich über die im Dunklen schwer zu erkennenden Hundehaufen stolpere. An einem besonders prächtigem Exemplar halte ich kurz inne, um genüsslich hineinzutreten. Die Luft ist klar, der Mond strahlt und irgendwo singen tatsächlich einige Kinder ein Weihnachtslied: „… seht, was in dieser hochheiligen Nacht, der Vater im Himmel für Freude uns macht.“ Ein schöner Hundehaufen, wirklich eine Freude für mich, denke ich und trete gegen die Eingangstür.

Im Flur riecht es nicht nach Lebkuchen und Glühwein, sondern nach Zwiebeln und Bier. Alles in bester Ordnung.

Dieser Text wurde erstmals im Dezember 2013 auf neukoellner.net veröffentlicht.

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