Zuckerwatte für den Kopf

Die finnische Performancekünstlerin Mimosa Pale entzückt in ihrem Ateliergeschäft mit verrückten Hutideen. Besuch bei einer Frau, die Landschaften auf die Köpfe anderer Menschen zaubern kann.

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Montag, 1. Oktober 2012

Der Laden ist nicht groß, hinter dem Schaufenster befindet sich eine kleine Bühne. An der blauen Tapete hängt eine globusähnliche Kreation neben einem weißen, barock anmutenden Wattehut, in dem Vögel nisten. Das Neonlicht an der Decke wird durch Plastikbecher gefiltert, eine Wand ist streifenweise mit silbernem Klebeband versehen, und im Hintergrund tüdel Jazzmusik.

Seit drei Jahren lebt die gebürtige Finnin Mimosa Pale in Berlin. Hüte faszinierten sie schon immer. Ihren ersten hat sie als Kind, sie ist Jahrgang 1980, aus Vogelrahmendraht geformt. Ein Monstrum mit Riesenkrempe. Früher hat sie für sich nach etwas anderen Hüten gesucht, doch die seltenen Fundstücke waren unerschwinglich. Also begann sie, Kopfschmuck im weitesten Sinn selbst zu machen. „Hüte sind für mich die perfekte Kombination von Performance und Skulptur.“

Weiße Masse auf Köpfen drapiert

Am Anfang von „Himo“ stand Mimosa jeden Samstag mit ihrer Zuckerwattemaschine vor dem Neuköllner Laden und drapierte die weiße Masse auf den Köpfen der Kunden. Noch heute fragen die Kinder aus der Nachbarschaft, wann es mal wieder Zuckerwatte gibt.

Zwei Dinge mag die Finnin an der Kombination von Laden und Atelier besonders: Die Leute können einfach reinkommen, einige Nachbarn bringen ihr Materialien, weil sie wissen, dass Mimosa mit fast allem etwas anfangen kann. Und: Ein neuer Hut findet sofort einen Platz im Schaufenster. „Ich habe nicht das Problem, das viele Künstler haben, die immer überlegen müssen, wo stelle ich als nächstes aus. Mit dem Laden bin ich die ganze Zeit sichtbar.“

Die Idee von Landschaft

Für einen Hut braucht Mimosa mal zwei Minuten, mal zwei Monate. Eine Freundin hatte ihr einmal eine große, grüne Kunstrasenkugel mitgebracht. Mit einem Stück Gummiband wurde sie zum Kopfschmuck umfunktioniert. Bei anderen Hüten dauert der Prozess länger. Mimosa zeigt ihren Viktoriaparkhut, an dem sie noch arbeitet. „Hier hatte ich die Idee von Landschaft auf dem Kopf. Ich gucke, was im Schrank für Materialien sind. Wenn etwas fehlt, besorge ich es, und dann probiere ich aus.“

Der Wasserfall am Viktoriaparkhut, eine Mischung aus Kleber und Farbe, fließt den grünen Berg schon hinunter, Bäume und Büschefehlen noch. Hut, Skulptur und Performance gehen bei Mimosa ineinander über. Selbst der Hutverkauf wird zur Aufführung, wenn sie mit ihrem Bauchladen, einem alten, grauen, beleuchteten Koffer, durch die Kneipen zieht. „Mein Atelier liegt nicht in einer typischen Shoppingstraße, und warum kann der Hut nicht mal zu den Menschen kommen?“, sagt Mimosa.

Die kleinen Hüte und Haarreifen, die mit Tierfiguren, Obstminiaturen, Eisschirmchen oder Plastikgabeln verziert sind, verkauft sie auch auf dem Markt. Ansonsten sind es eher Bühnenleute, Künstler, Stylisten und Fotografen, die zu ihr kommen. Die Band IAMX trägt zum Beispiel viele Stücke von Mimosa. „Ich liebe das, wenn Performer kommen und dann fragen, hast du nix Verrückteres?“ Dann kann Mimosa sich richtig austoben und fertigt Weihnachtskugeltürme, Lampenschirmhüte oder ein Stück Meer, auf dem sich ein rotes Segelschiff durch den Sturm kämpft. Mit Hüten kann man viel erzählen, wer Hüte trägt, inszeniert.

Es ist Mimosas Traum, dass die Menschen mit Hüten spielen und sich ausprobieren. Sie selbst trägt ihre Hüte bevorzugt bei ihren Performances, privat hingegen nicht immer. „Ich trage sie natürlich zur Qualitätskontrolle, aber ich muss auch mal ab schalten.“ Aus ihrer Abschlussarbeit des Kunststudiums entstand die erste spektakuläre Hutserie „Mobile Female Monument“.

Ich bin eine Frau

Mit einer riesigen, begehbaren Vagina zog Mimosa 2007 durch Helsinki. Sie wollte der Geschichte der Bildhauerei, die von phallischen Objekten geprägt ist, ein weibliches Pendant gegenüberstellen. Und sie wollte auch hier die Kunst auf die Straße bringen, ein Erlebnis schaffen. Als Feministin würde Mimosa sich nicht bezeichnen. „Feministische Kunst ist nur eine Lesart. Man sagt ja auch nicht zu jedem Mann, der was Phallisches produziert, dass er chauvinistische Kunst macht. Ich bin eine Frau und bearbeite meine Themen.“ Als Frau, die für Gleichberechtigung steht, wollte sie auch Penishüte machen, aber die gibt es schon.

Mimosas Arbeiten sind voller Fantasie. Scheinbar in Vergessenheit geratene Elemente tauchen auf und werden mit zeitgenössischen kombiniert. Beim Gang über den Trödelmarkt führt sie es vor. Mimosa entdeckt Steppschuhe, zieht sie an, steppt los, greift zum Plastikflaschenbündel, in der Mitte ein Metallstab, sodass man es wie einen Regenschirm über den Kopf heben kann – und steht im nächsten Moment unter Wasser.

Auch die singende Säge ist so ein Element. Seit sieben Jahren spielt Mimosa das Instrument und baut es in ihre Auftritte ein. 2008 gewann sie sogar die Singen de-Säge-Spiel-Meisterschaft in Finnland. Und sie ist Teil des Cabaretduos „Bärenzunge“, eine nostalgisch anmutende Freakshow. Mimosas Kunst hat etwas Karnevalistisches, etwas von altem Zirkus, wie es ihn heute nicht mehr gibt. Erst kürzlich hat sie sich selbst als dreiköpfige Schönheit inszeniert. „Ich wollte schon immer mehrere Köpfe haben“, erzählt sie. „Dann könnte könnte ich mehrere Hüte gleichzeitig tragen.“
Der Artikel ist zuvor in der Septemberausgabe des Magazins „Das Magazin“ erschienen.

HIMO, Atelier Mimosa Pale, Weserstraße 53, 12045 Berlin