Welcome to Schwabylon

Reinhold Steinle kennt man – nicht nur hier im Bezirk. Mit seinen Kiezführungen hat er es sogar bis ins ZDF geschafft. Ein Rundgang mit dem Berliner Schwaben.

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Dienstag, 18. Oktober 2011

„Die Mitte Berlins liegt in Neukölln.“ Mit seiner Notizmappe im Anschlag – seinem Auftreten eine gewisse Seriosität verleihend – steht er da, ein Schwabe, und möchte seiner Hörerschaft also weismachen, der Mittelpunkt Berlins läge ihnen akut zu Füßen. Hier, in dieser schäbig-kleinen Seitenstraße im Reuterkiez, gepflastert mit Dreck und Hundescheiße, die selbst das hundsmiserable Wetter nicht so ohne Weiteres wegspülen können. Hier, vor dieser kotzgelben Fassade, vollgeschmiert mit unzähligen und durchweg miesen Tags, von der auch die rotbraunen Fließen am Sockel nicht ablenken können. Hier, wo fast zu vermuten ist, man habe das Baugerüst davor aufgestellt, um auch nur ein kleines Bisschen dieser steingewordenen Tristesse zu verbergen. HIER soll der Mittelpunkt Berlin sein?

Reinhold Steinle hat natürlich recht. Ein Potsdamer Rentner, studierter Geograf, hatte es vergangenes Jahr ausgerechnet. Der geografische Mittelpunkt liegt ausgerechnet in Nordneukölln. Vor dem Haus an der Spremberger Straße 4. Für eine Führung durch den Reuterkiez gibt das natürlich eine dankbar nette Anekdote ab, mit der Steinle sein Publikum trotz Regen bei Laune halten kann.

Seine Bühne: die Straße

Theatralische Detailwissensvermittlung

„Weiter geht’s die Hobrechtstraße runder, auf der Seide,“ schwäbelt er seine Schäfchen die Straße entlang.  Steinle macht keine gewöhnlichen Stadtführungen. Der „gebürtige Schwabe und gefühlte Berliner“ verbindet Wissensvermittlung mit Witz, statt trocken über Historie zu referieren, gestaltet er eine kleine Show. Seine Bühne: die Straße. „Entdeckungen im Reuterkiez“ oder „Damals und heute am Richardplatz“ heißen seine geführten Touren durch die Neuköllner Kieze und sind weniger Touristenrundgang, als theatralische Detailwissensvermittlungen für interessierte Einheimische oder Zugezogene, die an ihrem neuen Wohnort mehr interessiert, als nur die besten Kneipen und die billigsten Lebensmittel.

„Ein honoriger Mann wäre für Neukölln nicht so der ideale Namensgeber“

Kneipenwissen darf bei einem Rundgang durch Neukölln aber logischerweise auch nicht zu kurz kommen. Die „Entdeckungen im Reuterkiez“ beginnen zuerst mit einem kleinen Vortrag Steinles in dem gemütlichen Café zum Namenspatron des Viertels. Nicht etwa Ernst Reuter, der berühmte Berliner Bürgermeister, der mit seinem Ausspruch „Völker dieser Welt, schaut auf diese Stadt“ in die Geschichte eingegangen ist, sei das Vorbild gewesen. „Das ist ja ein honoriger Mann und der wäre ja für Neukölln nicht so der ideale Namensgeber.“ Fritz Reuter wäre es gewesen, der dem Kiez seinen Namen gegeben habe und der passe auch gleich viel besser zu den lokalen Gegebenheiten, wie Steinle weiter referiert. Nicht nur dass dieser als einer der bedeutendsten Literaten der Niederdeutschen Sprache gelte, er sei eben auch Alkoholiker gewesen und passt somit viel besser in die Gegend.

Früher Kottbusser Klause - heute Restposten aus London

Die ehemalige Kottbusser Klause liegt als eine der ersten Stationen auf dem Rundgang durch den Kiez und bereichert den kulturellen Wissensschatz zu Neukölln um ein weiteres existenzielles Element: Früher eine Legende von einer Bar, in der Erich Kästner, aber auch Rolf Eden ihr Unwesen trieben, ist es als solche heute kaum mehr erkennen. „Restposten aus London“ steht mittlerweile über dem Eingang. Kein Schimmer vom alten Glanz.

Viele Informationen, viel Werbung

Von dort aus geht der Spaziergang weiter durch den nördlichen Teil des Reuterkiezes – von der ungebildeten Neuwohnerschaft auch manchmal mit der Bezeichnung „Kreuzkölln“ verunglimpft. Vorbei an einem Bruno-Taut-Bau, einem der beiden Architekten der Hufeisensiedlung, weiter zu einem Kurzbesuch bei der alteingesessenen (seit 1904) Blechschildfabrik in der Schinkestraße, über die (geografische) Mitte Berlins, bis die Gruppe sich – am Ziel angelangt – in dem eher neueingesessenen Hüttenpalast zum Schlussvortrag von Reinhold Steinle einfindet. Mit vielen Detailinfos ausgestattet und bis auf die Socken durchnässt ziehen die Schäfchen zufrieden ihrer Wege.

Unter diesen wettertechnisch miesesten Bedingungen, muss man dem Berliner Schwaben Steinle Respekt zollen, gelingt es ihm doch, seine Zuhörerschaft mit schier unermüdlichem Enthusiasmus und schwäbischer Mundart bei Laune zu halten und die widrigen Umstände vergessen zum machen. Die Anekdoten von teils historischen, teils aktuellen Informationen über das Geschehen im Kiez, kennt wahrscheinlich die große Mehrheit der Einwohner nicht einmal. Was im Lauf des Führung allerdings zu nerven beginnt und bei der Endstation den Höhepunkt erreicht, sind die vielen Verweise auf die verschiedenen Läden und Unternehmen, die sicherlich nicht immer uninteressant, in ihrer Gesamtheit aber den faden Beigeschmack einer Werbeveranstaltung hinterlassen. Weniger ist manchmal mehr.

Bei den „Entdeckungen im Reuterkiez“ waren wir nicht die einzigen Medienvertreter, die anwesend waren. Reinhold Steinle entdeckt man bei dieser Folge von „Berlin, Berlin!“ des ZDF ab Minute sieben.

Wer sich ein Bild von seinen nächsten Führungen machen möchte, kann das am 22.10. im Reuterkiez und am 12.11. am Richardplatz.