Vorsicht, Streichelzoo!

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Michael Müller hat die Wahl im September fest im Blick und tourt derzeit mit der „Füreinander-Tour“ durch Berlin.

Die Ärmel des Hemdes sind hochgekrempelt, die Krawatte abgelegt: Berlins regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) demonstriert derzeit Volksnähe. Einmal alle Bezirke abklappern und dabei Fragen aus dem Publikum beantworten – das ist das Konzept seiner noch bis Juni andauernden „Füreinander Tour“.

Fotos: Emmanuele Contini

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Text:

Donnerstag, 12. Mai 2016

Was passieren kann, wenn Politiker mit der Lebenswelt der Bürger in Berührung kommen, konnte man beim Besuch von Angela Merkel an einer Rostocker Schule im August 2015 erleben. Nach dem emotionalen Bericht eines Flüchtlingskindes, dem die Abschiebung drohte, verteilte die Bundeskanzelerin mit den Worten „du hast das doch prima gemacht“ ungelenke Streicheleinheiten. Um es gleich vorwegzunehmen: Beim „Füreinander“-Bürgerdialog in der Villa Neukölln passierte nichts dergleichen. Stattdessen erlebte man einen konzentriert argumentierenden aber äußerlich entspannten und bemüht bodenständig berlinernden Michael Müller, der trotz kritischer Fragen das Publikum in vielen Punkten für sich einnehmen konnte.

Braucht die Polizei Elektroschocker?

Zu Beginn präsentierte Müller kurz seine Prioritäten für die aktuelle Legislaturperiode. Zu den größten Herausforderungen gehöre der massive Zuzug in Berlin („damit meine ich jetzt nicht die Flüchtlinge!“) und die damit einhergehende Situation am Wohnungsmarkt. Auch die Bereitstellung von Bildung und Kitaplätzen sowie die Unterbringung und Integration der Geflüchteten stünden ganz oben auf seiner Agenda. Dass sich Müllers Prioritäten nicht unbedingt mit denen einiger Bürger deckten, zeigte dann gleich einer der ersten Wortbeiträge aus dem Publikum.

Bürger fragen. Müller antwortet.

Bei vielen, oft auch kritischen Fragen im Saal gelang es dem Bürgermeister, einen spontanen Konsens herzustellen.

Ein älterer Herr stellte sich folgendermaßen vor: „Manche kennen mich vielleicht noch als ‚den ewigen SEK-ler‘…“. Er vermisse bei der SPD ein sicherheitspolitisches Konzept, bedauerte er, selbst seit langer Zeit Parteimitglied. Kaum einer seiner (ehemaligen) Kollegen wähle noch sozialdemokratisch. Technologisch hinke die Polizei ihrer Zeit weit hinterher, man solle mal über den Einsatz von Tasern (Elektroschockpistolen) nachdenken. Man denke darüber nach, antwortete Müller, allerdings in Kombination mit anderen Maßnahmen.

Von einer visionären Verkehrspolitik weit entfernt

Sachlich, ruhig, konzentriert und bodenständig, so inszenierte sich Müller. Nur hin und wieder, zum Beispiel bei TTIP, ließ er Ledenschaft durchblitzen.

Diplomatisch hält es Müller auch mit seinem Verkehrskonzept. Auf die Frage einer Besucherin hin sprach er von einem „gleichberechtigten Verkehrsmix“. Konkret bedeutet das: den Ausbau der A 100, mehr Fahrradstreifen auf der Fahrbahn und einige Maßnahmen, welche FußgängerInnen zugutekommen sollen, zum Beispiel die Absenkung von Randsteinen. Außerdem werde ein Ausbau des unterirdischen Verkehrsnetzes an bereits bestehenden „U-Bahn-Stummeln“ geprüft. Von großen verkehrspolitischen Visionen scheint der Bürgermeister also im Moment weit entfernt. Müller verwies auf seinen begrenzten finanziellen Spielraum. Man könnte jedoch auch kritisch anmerken, das diese konsequente Verleugnung des eigenen Gestaltungsspielraums auch kennzeichnend für die momentane Situation der SPD ist.

Umfragetief bei den Sozialdemokraten

Eine Frage nach den schlechten Umfragewerten seiner Bundespartei beantwortete Müller mit der Rolle als Juniorpartner in der großen Koalition und dem Druck durch die „Flüchtlingsdebatte“. Die Personalie Gabriel umschiffte er damit ebenso gekonnt wie die Tatsache, dass die SPD schon seit einiger Zeit etwas konturlos wirkt. Diese Konturlosigkeit schien Müller auch bewusst, als er von seiner Partei eine klare Haltung in Sachen TTIP einforderte: „Wir machen diesen Quatsch nicht!“ Aus dem Publikum gab es dafür spontanen Beifall.

Neuköllns Bürgermeisterin Franziska Giffey unterstützte Müller von der ersten Reihe aus.

Neuköllns Bürgermeisterin Franziska Giffey unterstützte Müller von der ersten Reihe aus.

Verbot der gewerblichen Vermietung von Ferienwohnungen

Weniger konkret war Müller bei der Antwort auf die Frage, wie er das Zweckentfremdungsverbot bei der Vermietung von Ferienwohnungen durchsetzen will. Seit dem 1. Mai 2016 ist in Berlin die gewerbliche Vermietung von Ferienwohnungen, etwa über airbnb, untersagt. Trotz des Verbots heißt es, es seien weiterhin hunderte Ferienwohnungen im Netz; der Verdacht liegt nahe, dass viele von ihnen gewerblich vermietet werden. Aus Protest dagegen haben am 3. Mai Aktivisten ein Haus am Maybachufer besetzt, dessen Eigentümer elf Ferienwohnungen in der Gegend vermietet. Dagegen vorzugehen ist Aufgabe der Bezirksämter, die allerdings erst tätig werden, wenn ihnen eine Meldung vorliegt. Eigene, größer angelegte Ermittlungen stellte Müller nicht in Aussicht, allerdings könne man möglicherweise personell und finanziell ein bisschen aufrüsten.

Lofts anstatt von Sozialwohnungen

Der dramaturgische Höhepunkt in der Villa Neukölln hatte sich zuvor schon ereignet. Ein Herr aus dem Publikum hatte sich als Unternehmer vorgestellt und beklagt: „Die Stadt hat mir meinen Mietvertrag gekündigt, um auf dem Gelände am Maybachufer Lofts und Eigentumswohnungen entstehen zu lassen“. Raunen im Publikum. Müllers Antwort: Er kenne den Fall nicht, aber ein staatlicher Bauträger werde ja wenn dann wohl eher Sozialwohnungen schaffen. Zufall oder nicht: Auch ein Vertreter der involvierten Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land war im Publikum. Was der Unternehmer gesagt habe sei nur die halbe Wahrheit. „Sie wollten das Grundstück von uns kaufen um darauf Lofts und Eigentumswohnungen zu bauen.“

Müller tingelt noch bis Juni durch die Bezirke.

Müller tingelt noch bis Juni durch die Bezirke.

Auch Angela Merkel ist in Neukölln übrigens schon mal auf Tuchfühlung gegangen. Bei einem Besuch an der Röntgen-Schule fragte sie im Frühjahr 2015 eine Schülerin nach ihrem Berufswunsch. Ihre Antwort: „Ich möchte Kunst studieren“. Die Kanzlerin lachte kurz auf und sagte: „Na da hast du dir ja einiges vorgenommen“.

Im Rahmen der von der Berliner SPD organisierten „Füreinander-Tour“  tritt der regierende Bürgermeister Michael Müller vor Ort mit Bürgern in Dialog. Am Montag stellte er sich in der Villa Neukölln den Fragen der interessierten Öffentlichkeit.

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Kommentare:

  • Bla sagt:

    Herr Müller macht Wahlkampf anstatt zu regieren.

  • Niklas Schmidt sagt:

    Hallo Herr Müller,,

    mit Interesse verfolge ich Ihren Kampf gegen illegale Ferienwohnungen und besonders gegen Airbnb.
    Fakt ist, das diese durch diese ungewollte Werbung mehr Objekte haben als vorher.

    Ich habe folgende Überlegungen:

    1. über die Umsatzsteuer
    Airbnb übernimmt für die Vermieter die Zahlungsabwicklung. Der Mieter zahlt an Airbnb, diese ziehen Provision ab und überweisen an Vermieter.
    Das ist aus meimer Sicht gewerblicher Inkasso.
    Airbnb benötigt von jedem einzelnen Vermieter da eine Rechnung mit Umsatzsteuer, da sonst Airbnb die im einkassierten Übernachtungspreis
    gesamte Umsatzsteuer bezahlen müsste. Ohne eine Vorsteuerrechnung vom Vermieter ist Airbnb der Umsatzsteuerschulder gegenüber dem
    deutschen Finanzamt über die volle Übernachtungseinnahmen.

    Sie könnten hier das gesamte Geschäftsmodell angreifen von Airbnb. Zumindest liegt der Verdacht nahe, das hier Umsatzsteuer hinterzogen wird
    bzw. Airbnb keine Belege hat, damit diese eine Vorsteuer dagegenrechnen könnten, dies aber trotzdem machen. Airbnb dürfte keine Zahlung
    an Vermieter machen, solange von diesem keine korrekte finanzamtsfähige Rechnung vorliegt an Airbnb.
    (macht kein Vermieter, ist im Ablaufprozess von Airbnb auch nicht vorsehen).

    2. Maklergesetz
    Airbnb berechnet 3-4% vom Vermieter und zwischen 12-15% vom Mieter Provisionen. Seit Juni 2015 ist dies aber garnicht mehr erlaubt.
    Es bezahlt der den Makler, der diesen beauftragt. Dann müsste der Vemieter 15-18% bezahlen komplett, was diese sicherlich nicht machen würden.
    Airbnb behauptet, sie sind kein Makler, sondern ein Reiseportal. Das sollten Sie prüfen, denn Airbnb vermittelt hier rein rechtlich Zeitmietverträge für
    möblierten Wohnraum, inbesondere, wenn der Zeitraum länger ist. Das fällt unter das Maklergesetz. Da dürfte der Mieter (Gast) garnichts bezahlen.
    Wenn Airbnb ein Reiseportal ist, müssten diese einen Sicherungsschein zu jeder Buchung ausstellen wie die Reisebüros. Ist nicht der Fall, weil klar ist, das die ein Makler sind.

    Selbst wenn Airbnb dies als Servicegebühren tarnt, ist dies ein Verstoss bzw. sollte offen geredet werden, warum nur bei Auirbnb der Kunde zahlt.
    Zumindest wenn das richtig publik gemacht wird, falls man dies nicht als direkte Gesetzesverstoss wertet, ist es doch seltsam, das bei Airbnb
    der Gast das 5fache als Provision bezahlt wie der Vermieter – bei allen Hotelportalen zahlt ein Übernachtungsgast nichts an Provisionen, nur das Hotel.

    ich glaube, wenn Sie Airbnb hier direkt angreifen, ist das effizienter als der Umweg über die vielen Vermieter. Entziehen Sie denen die Basis, die Airbnb bietet, bricht das System zusammen.

    Und schöner Nebeneffekt, ein Unternehmen, das keine Steuer zahlt in Deutschland, irgendwo auf Steuerparadiese sitzt, dann anzugreifen, statt vermeintlich den Mitbürger, Nachbar etc., der in Deutschland seinen Wohnsitz hat, bringt mehr Zustimmung als so ein Petzportal und Schnüffelei wie früher bei der Stasi 🙂

    Freu mich auf Ihre Antwort.

    herzliche Grüsse

    Niklas Schmidt

  • Eugen Kontschieder sagt:

    Der „ältere Herr“ aus dem Publikum, der den Einsatz von Tasern forderte, ist der Sohn von diesem Herren:

    http://www.neukoellner.net/alltag-anarchie/polizist-und-revolutionaer/