Politiker zum Anfassen, das gibt’s nur auf Bezirksebene: Susanna Kahlefeld, Direktkandidatin der Grünen im Neuköllner Wahlkreis 2, will sich den Fragen potentieller Wähler stellen und kommt dafür persönlich vorbei. Auf unsere Einladung hin nimmt sie den beschwerlichen Aufstieg in den 5. Stock eines Altbaus in der Richardstraße in Kauf, im Schlepptau Heinz Wagner und Hanna Schumacher, beide Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlung. In kuscheliger Runde stehen uns die drei Rede und Antwort – ein erstaunlich offenes Gespräch über Bezirks- und Landespolitik, welches das Prädikat „bürgernah“ eindeutig verdient hat.
neukoellner.wg: Mietsteigerung und Gentrifizierung – Themen, die inzwischen insbesondere in Nordneukölln die Bürger beschäftigen. Wie kann man diese Probleme angehen? Im Programm der Linken wird beispielsweise eine andere Berechnung des Mietspiegels gefordert. Ein Lösungsansatz?
Hanna Schumacher: Man kann beim Mietspiegel auf kommunaler Ebene zwar ein bisschen was machen, aber die Grundzüge sind im Bundesrecht verankert. Es gibt für die Kommunen beim Mietrecht nur einen gewissen Handlungsspielraum, der vor allem in Berlin sehr beschränkt ist. Ein mögliches Instrument auf Bezirksebene ist der Milieuschutz, der in Kreuzberg bereits eingesetzt wird. Wir Grünen möchten dieses Instrument auch in Neukölln in bestimmten Gegenden nutzen. Allerdings nur da, wo es brennt und nötig ist: zum Beispiel im Reuterkiez, am Richardplatz und mittlerweile auch im Schillerkiez.
neukoellner.wg: Ein Fall wie die Luxussanierungen am Weichselplatz, wodurch die ursprünglichen Mieter vertrieben wurden, hätte mit dem Milieuschutz verhindert werden können?
Hanna Schumacher: Ja, das hätte man über den Milieuschutz verhindern können.
Susanna Kahlefeld: Fatal ist auch die Entmischung, die durch die Mietsteigerungen entsteht. Ich habe beruflich viel mit Migranten zu tun, die meist relativ schlecht verdienen oder arbeitslos sind. Und wenn die eine Mieterhöhung erhalten, dann bekommen sie automatisch vom Jobcenter die Auflage auszuziehen. Wenn das so weiter geht, dann sieht das Horrorszenario am Ende so aus, dass die wohlhabenden Deutschen in den schönen Altbauten wohnen und die Migranten in die Sozialwohnungen abgeschoben werden. Das ist einfach keine schöne Perspektive und bringt auch eine ganze Menge soziale Unruhe.
neukoellner.wg: Apropos Wohnungsnot – die SPD schreibt in ihrem Programm, die Wohnungslage würde sich durch die geplanten Bauten auf dem Tempelhofer Feld bereits entspannen…
Heinz Wagner: Um diese Entlastungssituation wirklich herzustellen, müsste man das halbe Tempelhofer Feld zubauen. Und das will kein Mensch.
neukoellner.wg: Ein anderes Argument der SPD lautet, dass die Durchmischung mit diesem Wohnungsbau wieder stärker gewährleistet wäre, da so zum Beispiel mehr deutsche Familien und Studenten hierbleiben bzw. herziehen würden…
Hanna Schumacher: Die kommen doch eh schon, oder? Mein Gefühl ist, dass man das nicht noch beschleunigen muss. Und wenn man da jetzt so einen Riegel mit tollen, modernen Townhouses vorbaut, sehe ich vor allem die Gefahr, dass der Zugang zum Feld versperrt wird. Gerade auch für die vielen Kinder im Schillerkiez.
Susanna Kahlefeld: Was man unbedingt braucht, nicht nur im Schillerkiez, sondern auch im Körnerkiez, ist Raum für zusätzliche Schulgebäude. Wenn man das Feld für Schulinfrastruktur nutzen würde, dann wäre das flächenmäßig nicht so viel, die Transparenz bliebe gewährleistet und man würde den Kiez ungeheuer entlasten.
Heinz Wagner: Es wird ohnehin noch lange dauern, bis die Bebauung des Feldes in Angriff genommen wird. Selbst die Senatsverwaltung hat gesagt: Wohnbebauung frühestens ab 2020, 2021.
Hanna Schumacher: Ich glaube, dass das richtig ist. Sich erst mal an diese Fläche gewöhnen…
Heinz Wagner: …und sehen, wie die Leute die Fläche annehmen, was kleinteilig alles darauf passieren kann und erst dann entscheiden, was man da an Geld wo und wie einsetzen will.
Hanna Schumacher: Worauf wir aber achten wollen ist, dass das Feld im Kern frei bleibt und seinen jetzigen Charakter nicht verliert.
neukoellner.wg: Heinz, du sitzt als Mitglied der BVV im Jugendhilfeausschuss, wo es gerade großen Krach gab: Buschkowsky verschickte Kündigungen an freie Träger, die in der Neuköllner Jugendarbeit tätig sind, und machte für diese Sparmaßnahmen die schlechte Haushaltsführung der grünen Jugendstadträtin Gabriele Vonnekold verantwortlich.
Heinz Wagner: Wo es gerade großen Krach gibt…
Susanna Kahlefeld: Das Problem ist, dass Buschkowsky scheinbar nicht verstehen will, wie der Bezirkshaushalt funktioniert. Im Bereich der Jugendarbeit wird am Anfang des Jahres eine bestimmte Summe eingestellt. Diese Summe wird regelmäßig überschritten, das ist normal und in allen Bezirken so. Da aber auf Hilfen zur Erziehung ein Rechtsanspruch besteht, wird dieses Defizit am Jahresende vom Senat ausgeglichen. Anstatt auf die Ausgleichszahlungen am Jahresende zu warten, leitet Buschkowsky jetzt diese Sparmaßnahmen ein und nimmt Gelder aus anderen Töpfen, um das Loch im Jugendhaushalt zu stopfen. Aus Töpfen, die eben nicht vom Senat ausgeglichen werden. Das ist haushaltspolitischer Wahnsinn, denn so bekommen wir am Ende effektiv weniger Geld für den Bezirk.
neukoellner.wg: Was treibt Buschkowsky dann dazu? Das müsste ihm ja auch bewusst sein…
Heinz Wagner: Die Motivation ist relativ einfach: der Wahlkampf. Und um zu zeigen, dass eine grüne Stadträtin nicht mit Geld umgehen kann.
neukoellner.wg: Es ist also tatsächlich vollkommen absurd, was da passiert ist?
Heinz Wagner: Ja. Die SPD schlägt gerade der präventiven Jugendarbeit die Beine weg. Die Kündigungen wurden zwar zurückgenommen, aber die Verträge sind nur bis Ende des Jahres verlängert worden. Und man hat der Stadträtin per BVV-Beschluss verboten, Verträge für 2012 abzuschließen, bevor nicht eine neue BVV zusammengetreten ist. Das heißt, die jetzigen Träger der Jugendhilfe bekommen frühestens im Dezember Bescheid, ob die Verträge 2012 weiterlaufen. Das ist völlig unverantwortlich! Die Träger haben laufende Kosten für Mitarbeiter und Räume und müssen sich an Kündigungsfristen halten. Die wissen überhaupt nicht, wie sie ihre Arbeit weiterführen sollen.
neukoellner.wg: 2001 wurde Buschkowsky von einer Zählgemeinschaft aus SPD, Grünen und Linken zum Bürgermeister gewählt. Würdet ihr das heute nicht mehr tun? Hat man aus Fehlern gelernt?
Susanna Kahlefeld: Das war damals eine andere Situation. 2001 war die CDU noch viel stärker, sodass man ganz gut mit Buschkowsky zusammenarbeiten konnte, weil er uns brauchte und von uns profitiert hat. Seinen Ruf als „Übervater“ in Neukölln, gerade der Migranten, hat er sich auch erworben, indem er so gut mit uns kooperiert hat. Oder auch die Tatsache, dass im Jugendbereich nicht gekürzt wurde: Das war unsere Forderung und nicht die der SPD. Ich würde nicht sagen, dass wir aus Fehlern gelernt haben, sondern: Wenn man mit dem Teufel isst, muss man einen langen Löffel haben. Den hatten wir ein paar Jahre, und jetzt geht es halt nicht mehr. Jetzt ist wirklich Schluss!
neukoellner.wg: Was ist dann die Alternative hier im Bezirk – Schwarz-Grün?
Heinz Wagner: Keiner von uns ist von der Perspektive Schwarz-Grün so richtig begeistert. Aber wenn du Buschkowsky verhindern willst, dann musst du dich irgendwann dem Gedanken annähern, jemand anderen zu wählen. Und das wird in diesem Fall wohl oder übel die CDU sein.
Hanna Schumacher: So etwas wie ein 50-Punkte-Programm werden wir mit der CDU nicht machen. Dafür sind die inhaltlichen Gemeinsamkeiten zu klein. Aber mein Gefühl ist, dass Buschkowsky seinen Laden nicht mehr im Griff hat: Er macht Sachen, die dem Bezirk schaden, weil er glaubt, so an der Macht zu bleiben. So jemanden kann man nicht wählen. Im Bezirk ist es aber ohnehin so, dass man von Punkt zu Punkt mit der Partei zusammenarbeitet, der man in der betreffenden Frage am nächsten steht. Von „Koalition“ oder „Schwarz-Grün“ zu sprechen, ginge zu weit.
neukoellner.wg: Kommen wir zu einem pikanten Thema in Berlin: Um die Forderungen eures Wahlprogramms umzusetzen, braucht ihr Geld – und Berlin ist pleite. In welchen Bereichen würdet ihr kürzen?
Hanna Schumacher: Dazu ein Beispiel: Es gibt in Britz diesen wunderschönen Gutshof, der aufwändig renoviert wurde. Der Umbau wurde aus Mitteln des Bezirkshaushaltes finanziert und war am Ende fast doppelt so teuer wie geplant. Das ist zwar ein schönes Projekt, aber meine politische Priorität wäre momentan eher, ausreichende bauliche Voraussetzungen für die Schulen zu schaffen. In dieses Projekt sind nämlich nicht nur Investitionsmittel geflossen, sondern auch Gelder, die uns die Senatsverwaltung für den Jugendhaushalt zugewiesen hatte. Das finde ich wirklich skandalös, besonders in Hinsicht auf die Problematik, die wir im Jugendhaushalt mit der Schließung von Einrichtungen haben. Ähnliches gilt für das Rathaus: Wir stecken jedes Jahr über eine Million Euro in die Sanierung des Rathauses. Da frage ich mich manchmal, ob die denkmalgerechte Wiederherstellung der Stuckdecken wirklich die Top-Priorität des Bezirks ist. Für die Neuköllner Grünen liegt der politische Schwerpunkt ganz klar auf den Bereichen Jugend und Bildung.
neukoellner.wg: Auch in eurem Landeswahlprogramm setzt ihr euch im Bereich der Bildung ehrgeizige Ziele. Individuellere und frühere Förderung, bessere Lehrerausbildung und -fortbildung, Sanierung der Schulgebäude… Ist das finanziell wirklich umsetzbar?
Susanna Kahlefeld: Bei der Programmaufstellung haben wir diesen Punkt natürlich auch diskutiert. Es wäre allerdings nicht schlau, zu sagen: Das kann man nicht finanzieren, also nehmen wir es uns gar nicht erst vor. Es ist viel effektiver für unsere Arbeit, erst einmal zu entscheiden, wo die Prioritäten liegen und dann zu gucken, wie man das finanziell umsetzt. Bei vielen Dingen wissen wir tatsächlich noch nicht, wo das Geld herkommen soll, aber wir wissen: Da wollen wir hin, da soll auf keinen Fall gespart werden. Und dann guckt man, wo in anderen Bereichen gekürzt werden kann. Das heißt nicht, dass man Luftschlösser baut.
Hanna Schumacher: Wir sagen in unserem Landesprogramm ganz ehrlich, dass auch im sozialen Bereich gespart werden muss. Wobei wir glauben, dass man auch sparen kann, ohne die Leistungen sehr stark einzuschränken. Wir haben zum Beispiel den Eindruck, dass manche freien Träger eine relativ aufgeblähte Hauptverwaltung haben. Da muss man genau hingucken, ob die nicht eventuell mit weniger Geld die gleiche Arbeit machen könnten. Das ist schmerzhaft, aber wenn wir mehr Geld für Bildung ausgeben wollen, dann müssen wir auch an so was ran. Der Berliner Haushalt ist hart und da wird es auch für uns schwierig.
neukoellner.wg: Und zum Abschluss noch die obligatorische Frage – wie viel Prozent gibt’s für die Grünen?
Heinz Wagner: Das Ziel ist natürlich 20 plus x… (lacht).