Neben dem Heimathafen in der Karl-Marx-Straße gibt es einen Imbiss, der bis spät in die Nacht geöffnet hat. Dort gibt es das Standard-Repertoire an Snacks, welche jeder, der nicht ganz brachial die Öko-Welle schiebt, schon gegessen hat. Eines der Gerichte sticht heraus, weil es radikal ist, weil es wie eine kulinarische Parodie auf das wirkt, was in diesen Tagen Mode zu sein scheint. Alles ist erlaubt. Man kann für Toleranz werben und trotzdem gegen Schwule sein. Man kann sich die Klamotten seiner Großmutter anziehen und sich einen Schnurrbart wachsen lassen. Alles ist möglich. Bei Mega Snack gibt es die Antwort auf solche Zustände: Pizza Mega kostet vier Euro und ist belegt mit Tomaten, Zwiebeln, sehr viel Käse und: Dönerfleisch. Aber nicht das aufgeschichtete Fleisch am Spieß. Nein, es ist gepresstes Dönerhack. Pizza Mega ist nichts für Weicheier.
Der Imbiss Mega Snack ist gut besucht am Samstagabend. Dort sitzen Leute, deren Magen nicht gleich zu heulen anfängt, nur weil ein bisschen Fett an den Pommes klebt. Menschen, die sich eventuell keine Gedanken darüber machen, welche Bands nebenan im Heimathafen spielen.
In the NA
Die wenigsten unter den Zuschauern am Samstagabend im Heimathafen sehen wiederum so aus, als würde ihre Wahl unbedingt auf Pizza Mega fallen, sollten sie nach dem Konzert Hunger verspüren und den nahgelegenen Mega Snack ansteuern. Sie wollen Pop. Sie kriegen Pop.
Chinawoman steht als erste auf der Bühne. Eine Frau, die nicht nur mit ihrer dunklen Stimme und exzellentem Songwriting begeistert, sondern auch großartige, surreale Videos zu ihren Songs drehen lässt. In schwarzem Hosenanzug und offenem schwarzen Haar lässt sie sich von Gitarre und Schlagzeug begleiten, sowie dem gelegentlichen Backroundgesang von Joel Gibb, dem Mastermind der Hidden Cameras.
Es ist ein solider, kein spektakulärer Auftritt. Angenehm wortkarg führt Chinawoman durch das Programm. Musikalisch einwandfrei, aber ohne große Dramatik. Chinawoman verführt ihr Publikum nicht. Sie trägt vor. Einzig beim letzten Song, bei Party Girl, ihrem besten Stück, ihrer Hommage an ein Leben, in dem man seine eigenen Unzulänglichkeiten durch kontinuierliches Feiern kaschiert, blüht sie auf. Allein steht sie mit ihrer E-Gitarre auf der Bühne. „In the back of a car, I just met them tonight and I feel like such a star“. Man glaubt ihr jedes Wort.
Can’t you see I’m a Natural?
Joel Gibb hingegen ist ein Showman. Er reißt den Mund weit auf, tänzelt herum, guckt in die Luft. Zu sechst stehen die Hidden Cameras auf der Bühne. Schlagzeug, Bass, Cello, Querflöte, Tasten, Joel Gibb. Und da Joel Gibb Chinawoman seine wunderbare Stimme als Backroundsänger geliehen hat, darf sie natürlich im Gegenzug in der zweiten Hälfte des Konzerts ein bisschen Akustikgitarre spielen. Und Rassel.
Das ist freundlich und man freut sich eine Band zu sehen, die nicht nur ihre Instrumente beherrscht, sondern auch nett zueinander ist. Gegen Ende holen die Hidden Cameras zwei maskierte Gogotänzerinnen auf die Bühne. Plötzlich tanzt auch das Publikum, das sich zuvor nur verhalten den Kopf bewegt hatte.
I kiss the hand of my destroyer
Bei Mega Snack nebenan tanzt niemand. Der Abend ist noch lang. Es wird hier Tee getrunken, da vielleicht ein Bier. Und natürlich wird gegessen: Pizza mit Dönerfleisch. Wer das überlebt, den kann nichts mehr zerstören. Die Welt steht ihm offen. Ein schönes Gefühl.