Bezirksamt versus Baumscheiben

Baumscheibe_Weser_TitelNeuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky und Baustadtrat Thomas Blesing planen den Abriss der Baumscheiben im Reuterkiez. Baumscheiben sind – von den Bewohnern und Lokalbesitzern – selbstangebrachte Bänke, die den Stamm vieler Bäume am Straßenrand umzäunen. Die liebevoll gestalteten Minigärtchen sind aber offenbar illegal.

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Mittwoch, 3. Dezember 2014

Fotos: Christopher Frankenberg, Fabian Friedmann

Entfernt werden sollen die Baumscheiben vor allem – und vorerst – in der Reuter- und Weserstraße. Sticker an den betroffen Bänken sollen in den kommenden Wochen die Bauherren der Baumscheiben dazu auffordern, ihr Werk innerhalb zwei Wochen abzutragen, sonst droht der Abriss durch das Ordnungsamt.

Begründet wird diese Aktion mit drei Argumenten: Erstens seien die Baumscheiben eine Zumutung für die parkenden Autos, da man beim Öffnen der Tür an die Baumscheiben stößt, was nur schwerlich vorstellbar ist, da nur vereinzelt Baumscheiben direkt an der Straße enden. Des Weiteren wird den Betreibern der Cafés, Spätis und Restaurants eine illegale Erweiterungen ihrer Geschäftsräume vorgeworfen. Tische und Bänke, nach Vorgabe des Ordnungsamtes, gehen jedoch klar. Und schließlich liegen dem Ordnungsamt Beschwerden der Anwohner vor, die den Lärm der Rowdys, die sich in lauen Sommernächten betrunken auf den Baumscheiben räkeln, einfach nicht mehr ertragen. Merkwürdig dabei: Erst vor wenigen Jahren gab es einen Wettbewerb des Quartiersmanagements im Reuterkiez. Nicht nur von der wichtigen ökologischen Funktion der Bepflanzung war dabei die Rede, sondern auch von einer sozialen Wirkung. In der Ausschreibung hieß es: „Immer wieder kann man dabei feststellen, dass sich Nachbarn über die gemeinsame Aktion erstmalig kennenlernen und manchmal daraus weitergehende kontinuierliche Kontakte entstehen.“ Daraus ging die Initiative „Blumen für den Reuterkiez“ hervor. Was es bei der Begrünung zu beachten gilt, hat das Bezirksamt in einem Baumscheibenflyer zusammengefasst.

Baumscheibe_Weser2

Eine Baumscheibe an der Weserstraße.

Im Moment noch können Passanten im Reuterkiez alle fünf Meter verschiedenste Bauweisen der Bänke bewundern. Sie wirken in der dieser kalten Jahreszeit ein wenig verlassen und überflüssig. Nur vereinzelt sieht man auf ihnen einen Raucher vor einem Café sitzen. Man muss schon im Sommer die Weserstraße herunter schlendern, um verstehen zu können, was die Bewohner und die Betreiber der Cafés an ihnen so gut finden. Denn der allgemeine Konsens ist auch an diesem kalten Wintertag, dem Tag vor der Bezirksamtsitzung, eindeutig pro Baumscheibe. „Der Kiez wird einfach gemütlicher“ meint ein Barkeeper des Kuschlovskys und eine junge Frau an der Theke stimmt ihm zu: „Ich finde die super. Ich weiß gar nicht, was die Aktion jetzt soll“.

Unverständlich findet diese Aktion auch Heinz Wagner, Vertreter der Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), die heute zum letzten Mal in diesem Jahr tagt. Seiner Auffassung nach handelt es sich hierbei lediglich um Aktionismus des Bezirksamtes, denn „man muss doch froh sein, wenn sich die Leute um die Verschönerung der Baumbeete kümmern“. Er versteht nicht, warum man das Engagement der Leute, die ihr Geld und ihre Zeit in die Baumscheiben investiert haben nun bestrafen müsse. Damit die Baumscheiben noch viele Sommer erhalten bleiben, hat er einen Antrag an die BVV gestellt.

Schöne Scheiben

 

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Kommentare:

  • Ich sagt:

    Wenn das die schönen Baumscheibeneinfassungen sind, möchte ich nicht die hässlichen sehen.
    Weg damit!

  • Bernd sagt:

    Diese Auswahl verstehe ich auch nicht, es gibt viele Schönere . Aber dies ist nicht das Wesentliche. Wenn man Hundescheisse und Müll lieber mag, dann weg damit. Ich wohne und arbeite im Reuterkiez und wundere mich immer wieder über die Schlafmützigkeiten oder auch Frechheiten des Bezirks. Immerhin steckt hinter jeder Baumscheibe viel Arbeit. Ich fühle mich fast wie in einem totalitären Staat, in dem jeder Ausdruck von Menschlichkeit brutal abgewürgt wird

  • Kada sagt:

    Gerade haben wir den Senatsaufkleber an unserem dicht bepflanzten und müllfreien Baumbeet gefunden. Unser Baumbeet (!) im Reuterkiez ist das einzig gepflegte, denn es ging um den freundlichen Umgang mit Pflanzen, nicht um die Menschen und Autos. Aber das aggressive Vermüllen jeder kleinsten Naturfläche in Neukölln ist schockierend. Wir haben schon viel eigenes Geld für Blumenpflanzungen ausgegeben, die noch am gleichen Tag ausgerissen wurden. Passanten reissen jede Blüte ab, sobald sich eine zeigt. Hundescheisse, Zigarettenkippen, Müll, Flaschenscherben holen wir jede Woche da raus. Ein paar Veilchen blühten gerade sehr schön, da wurden sie nachts von Besoffenen zugekotzt.

    Wir ekeln uns nur noch vor den „Mitbürgern“ und haben keine Lust mehr. Das Grünflächenamt kann das Beet gern schredden.

  • Kada sagt:

    Man sieht ja auch an den ekeligen Fotos oben, dass es den „Anwohnern“ nicht um Baumschutz vor Hundedreck und Müll geht, nicht um die Pflanzen, sondern nur um die eigene Bequemlichkeit. Die dreckigen Bretter rund um Bäume stinken widerlich nach Hundekacke, die Kneipengäste hocken zwischen den Dreck und finden das hipp. Das „Baumscheibenprojekt“ sollte man Blumen, Grün und Pflanzen in die Straßen bringen, damit Kinder endlich wieder den Unterschied zwischen Mülleimer und Grünfläche lernen. Hoffnungslos.