Die Stadt bin ich

Koernerpark_1„Urbanität mal anders“ verspricht eine Ausstellung in der Galerie im Körnerpark. Aber gelingt es, Stadtforschung und Kunst zusammenzubringen? (mehr …)

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Donnerstag, 5. September 2013

Text von Polina Goldberg, Fotos von Regina Lechner

Sie erinnern etwas an Bauleitpläne, diese Abbildungen einzelner Stadträume, wären da nicht die chaotisch gezogenen Linien, Muster, scheinbar willkürlich aufgezeichnete Stimmungseindrücke und Bemerkungen zu Passanten und deren Gehwegen. Was stellen diese bizarren Gebilde auf den Papierbögen dar und was wollen sie uns vermitteln? Die Unendlichkeit der Wahrnehmungsmöglichkeiten eines städtischen Raums oder die Dichte an städtischen Attributen: Schildern, Plakaten, Litfaßsäulen, Straßenmöbeln?

Larissa Fasslers Arbeiten sind als erste Impressionen in der Ausstellung „Urbanität mal anders – Künstlerische Projekte zur ästhetischen Stadtforschung“ in der Galerie im Körnerpark zu bestaunen. Wahrlich kommt man aus dem Staunen und Fragen nicht heraus, nähert man sich weiteren Werken der in Berlin lebenden kanadischen Künstlerin. Sie fokussiert sich auf Stadträume und sobald eines davon unter die Lupe ihrer scharfsinnigen Wahrnehmung gerät, werden die Einzelheiten mit einer unvergleichbaren Kraft aufgesogen und mittels Abmessungen nach ihrer Körper- und Schrittgröße verarbeitet, um in einer Überfülle an Eindrücken auf dem Papier zu landen. Wie eingescannt erscheinen in den Arbeiten unterschiedlicher Größe und Intensität die Wege und Ziele von Fußgängern, ob Kindern, Roma-Frauen oder illegalen Zigarettenhändlern, ergänzt durch Licht- und Farbverhältnisse, Abmessungen, Klangbilder und weitere Komponente des sich endlos drehenden, niemals zum Stillstand kommenden Organismus Stadt.

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Der Hinterhof der Schillerpromenade 32, gesehen durch die Augen von Pia Linz.

Anders geartet, ruhiger, präziser, in sich geschlossener wirken die großformatigen Werke von Pia Linz. Hier wird ebenso ein Ort verarbeitet, nachdem dieser nach einer „Fußschrittskala“ gemessen und unter verschiedenen Perspektiven betrachtet wurde. Und doch entsteht hier ein völlig anderes Abbild des Gesehenen, vielmehr des Gefühlten. Die Fragmente des Raums geraten nicht aneinander, liegen nicht wie Meteoritenstaub zerstreut auf dem Papier, um die Unmöglichkeit der zur selben Zeit stattfindenden Ereignisse umso deutlicher zu unterstreichen; im Gegenteil, sie finden sich zu einem großen Ganzen wieder, welches zuvor durch die Aufnahme der Künstlerin in einzelne Stücke zerspalten wurde, die um sich kreisen, interagieren, sich suchen. Diese poetischen grauen Gebilde ähneln Gedichten, nur dringen sie nicht mit Worten, sondern mit dünnen Bleistiftlinien in die Sinne des Betrachters ein, um ihn zum träumen zu verleiten. Da gerät man leicht in Assoziationen mit Märchen von Boris Vian, dem Könner des Grotesken, insbesondere, wenn man den durchsichtigen, mit dünner Gravur überzogenen Polyeder entdeckt. Auf diesem Gehäuse scheint die Künstlerin die zuvor in den Zeichnungen gefühlte Gesamtheit der Eindrücke zu steigern. Eine kleine Welt für sich, die die Realität abbildet. Oder umgekehrt?

Informativer, erzählender Natur sind die beiden Projektarbeiten der Künstler Heimo Lattner sowie Birgit Auf der Lauer und Caspar Pauli. Heimo Lattner bringt auf Stadtwanderungen gerade die „zufälligen“ Orte zum Sprechen, indem er die Teilnehmer der Wanderungen bittet ihren Eindrücken in Form von kurzen Aufzeichnungen Gehör zu verschaffen. Auf diese Weise berichten die entdeckten Orte von ihrem Alltag durch die Menschen, die sie in ihren Gedanken festgehalten haben. In gewisser Hinsicht nähert sich dieses Projekt den Vorgehensweisen der berüchtigten Situationistischen Internationale. Ebenso wie die Künstlergruppe in den 1960er Jahren Stadträume durch pures Entdecken und den Eigensinn des Zufalls erleben wollte, möchte der Künstler den besuchten Orten die Möglichkeit einräumen, ihre Wirkung ohne jegliche Vorgaben oder Informationen auf den Betrachter auszustrahlen.

An zentraler Stelle in der Ausstellung: Die Installation von Birgit Auf der Lauer und Caspar Pauli. Die Ergebnisse der Kanufahrten, die auf Transparentpapier in Form von präzisen, fein ausgeführten Tuschezeichnungen angebracht wurden, bezeugen von akribischer Beobachtung und Auseinandersetzung der Künstler mit der Umgebung. Obwohl man der Arbeit den hohen Grad an Wissbegierde ohne Weiteres abnimmt, fehlt hier die entscheidende Abstraktion oder ein Spiel der Gedanken, so dass der Stadtraum mehr abgebildet als neu gedacht wird. Zu schnell erscheint hier – im Vergleich zu gezielten stadtplanerischen Projekten – eine gewisse Willkürlichkeit.

Nach einem Rundgang, der wenige weitere Werke einschließt, bleibt die Frage, die eingangs als erste durch den Kopf flattert: was ist die Aussage dieses Sammelsuriums an Eindrücken? Gibt es einen Ausgangspunkt oder ein Ziel? Die oberflächliche Ebene des Aufsammelns und Abbildens könnte jedem deutlich sein, schließlich bieten Stadträume eine unendliche Anzahl an spannenden Ereignissen und Objekten. Handelt es sich vielleicht um eine tiefere Ebene, einen insgeheim gehegten Wunsch, diese Unendlichkeit der städtischen Besonderheiten und Attribute fassen, greifen und begreifen zu können, obschon dies für unmöglich erklärt werden kann? Genau dieser Wunsch scheint allen Künstlern aber eigen zu sein, ganz gleich in welcher Weise sie sich den Phänomenen des Stadtraums annähern und auf welche Weise sie ihre emotionale Beziehung zum jeweiligen Raum zum Ausdruck bringen. Spannend bleibt die Betrachtung allemal, und auch anregend. Der Stadt, in der man täglich zur Arbeit geht, einkauft, einfach nur hin und her läuft, um etwas zu erledigen, begegnet man hier auf eine neue Art und Weise: Urbanität mal anders eben.

Ausstellung noch bis 15.9.2013.

Galerie im Körnerpark
Schierker Str. 8
Di-So 10-20 Uhr
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