Karin genießt die Zigarette nach dem deftigen Weihnachtsessen im Estrel-Hotel auf der Sonnenallee. Die 60-Jährige aus Wedding sitzt alleine an einem runden, festlich eingedeckten Tisch. Ihre Bekannten schwirren durch den großen Saal des Hotels und sie passt auf Jacken und Tüten auf. Zum siebten Mal ist die Frau in dem Hotel und nimmt an der gestrigen „Weihnachtsfeier für Obdachlose mit Frank Zander“ teil, die sich zum 19. mal jährt. Vor ihr steht ein Bier in einem Plastikbecher. Hin und wieder nippt sie an dem Gerstengetränk und zieht dann wieder an ihrer Zigarette. „Eigentlich trinke ich keinen Alkohol“, sagt sie. Aber heute sei es die Ausnahme, weil es schließlich ein Festessen sei. Dass man in dieser Lokalität rauchen kann, findet Karin gut. „Überall ist es ja inzwischen verboten“, ergänzt sie. Viel will Karin an diesem Spätnachmittag nicht mehr machen, außer noch ein Stück Kuchen essen, sitzen und die Leute beobachten.
Gleich hinter ihrem Rücken stehen Friseure und waschen und schneiden Männern und Frauen die Haaren. Die Schlange für die Kopfrasur ist lang. Aber die Gäste sind geduldig. Überhaupt wirken die insgesamt 2.800 Besucher, die vom Diakonische Werk Berlin-Brandenburg, der Caritas und dem Schlagersänger Zander eingeladen wurden, sehr verschüchtert und still. Vor allem die nicht grade geringe Zahl von Reportern mit ihren großen Kameras lassen einen unsicheren Ausdruck auf den Gesichtern zurück. Blitzlichtgewitter sind die Wenigsten gewöhnt. Wer kein Bändchen bei einer der 70 Ausgabestellen in Berlin bekommen hat und somit nicht das kostenlose Menü genießen kann, bekommt draußen von Hilfskräften eine Tüte mit Naschwerk und allerlei Gebrauchsgegenständen, zusammen mit einem Weihnachtsgruß. „Und vielleicht bekommen sie beim nächsten Mal ein Bändchen“, sagt Marcus Zander, Sohn des Schlagersängers und Mitveranstalter.
265 Helfer servieren 3200 Gänsekäulen
Einige von den Gästen kommen seit Jahren ins Estrel und lassen sich von Zander und C-Promis wie Natascha Ochsenknecht, Lou Bega oder Ayman bewirten. Dem fast in Vergessenheit geratenen Sänger steht alle paar Minuten ein zweiköpfiges Kamerateam eines Privatsenders im Windschatten. Exklusiv-Story, um das kommende Album zu promoten. Damit auch keine Sauce oder Rotkohl auf die Designerjeans oder die Lackschuhe von Dolce and Gabbana tropfen, tragen die Promis graue Schürzen um die Hüften. Eine weiße Serviette auf dem Unterarm rundet die Servicemontur ab. Insgesamt servieren 265 Helfer 3200 Gänsekeulen mit Knödeln. Ein Nachschlag ist garantiert.
Unter den Servicekräften sind 43 Prominente wie Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky. Man hat Mühe, ihn zwischen den Tischen, den zahlreichen Gästen und anderen Berühmtheiten zu entdecken. Er steht in einer dunklen Ecke mit dem Hotelkoch Peter Griebel und unterhält sich. Seine Schürze hängt mittlerweile auf halb acht. Buschkowsky sieht leicht geschafft aber zufrieden aus. Auf der Bühne heizt unterdessen die Band „Seeed“ ein und gibt einige Songs von den alten Platten zum Besten. Viele der Gäste sehen die Band zum ersten Mal und freuen sich riesig. So auch Peter (70) aus Spandau und sein Freund Christian (54) aus Neukölln. Sie haben von Peter Fox und dessen Combo noch nie was gehört. „Aber das macht ja nichts“, sagt Peter und blinzelt hinter seinen dicken Brillengläsern hervor. „Frank Zander hat sich sehr bemüht und sorgt dafür, dass es allen Leuten gut geht“, wirft er noch ein. Sein Freund Christian nickt und lächelt schüchtern. Dass auch Neuköllns polarisierender SPD-Bürgermeister mit von der Partie ist, stört die beiden Männer nicht. „Er hat sein Herz schon am rechten Fleck“, sagt Peter und sein Blick schweift wieder zur Bühne.
„Für mich zählt nur geben, geben, geben.“
Frank Zander hat im Vergleich zu seinen Kollegen den härtesten Job. Während Sänger Lou Bega sich posierend und breit grinsend vor den Kameras zeigt, immer mit einer anderen Frau in den Armen, und fleißig Kurzinterviews für Radio- und TV-Sender gibt, begrüßt und schüttelt Zander den Gästen am Eingang die Hände und umarmt sie teilweise auch. „Mich haut diese Veranstaltung jedes Mal aufs Neue um“, sagt er mit rauer Stimme. Für ihn sei dieses Weihnachtsessen „stets eine emotionale Sache“, für die es sich jedes Jahr lohne, Sponsoren und Initiatoren zu akquirieren. „Für mich zählt nur geben, geben, geben. Ich nehme nichts mit, wenn ich sterbe. Und Leute wie Dieter Bohlen, die reden immer vom Sparen, sind aber letztlich geizig“, ergänzt Zander leicht aufgebracht. Man merkt, dass ihn die sozialen Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft missfallen und er auf seine Art und Weise gegen sie ankämpft und versucht, zumindest für einige Stunden, Menschen, die ohne Wohnung, Hab und Gut sind oder nur ein geringes Einkommen haben und auf staatliche Hilfe angewiesen sind, eine Freude und Abwechslung vom tristen Alltag zu bereiten.