Zu Besuch bei der Piratenpartei
Es ist ein Dienstagabend Anfang März im Rathaus Neukölln. Beim Betreten des kleinen Fraktionsbüros der Piraten ist die Stimmung bedrückt. „Wir haben da gerade noch was gefunden“, sagt der Fraktionsvorsitzende Steffen Burger zur Begrüßung. Die Rede ist von Manfred Alschers Kandidatur aus dem Jahre 2012. Damals bewarb er sich erst um einen Platz im Landesvorstand der Berliner Piraten. Als dies zu scheitern drohte, kandidierte er nur noch um einen Platz in der Schiedskommission. Zwei Jahre später, im Dezember 2014, fand er sich wieder im Gründungsvorstand der AfD Neukölln – als stellvertretender Sprecher. Die Anwesenden sind sichtlich erschrocken. „Der hat überhaupt nicht in die Piratenpartei seiner Zeit gepasst“, meint das Fraktionsmitglied Mathias Zaech und schüttelt den Kopf. Man sah sich zwar als eine Art Protestpartei, aber doch mit sozialem Einschlag. Laut dem Fraktionsvorsitzenden Burger, der inzwischen auf den Listen der Partei Die Linke steht, wurden damals viele Leute angezogen durch ein unbestimmtes „alles ist doof, alles muss anders werden“.
Während seiner Zeit bei den Piraten, gründete Manfred Alscher zusammen mit seinem Parteikollegen Marc Sternberg 2011 die „Squad Graf Luckner“. Der Name sollte eine Art Hommage sein an den zweifelhaften Schriftsteller und Offizier Felix Graf von Luckner, der in der NS-Zeit Lobreden auf Adolf Hitler hielt, wegen sexuellen Missbrauchs seiner Tochter und zwei Minderjährigen vor Gericht stand und sich zum Kriegsende Ruhm verschaffte, indem er die Stadt Halle an der Saale kampflos den Alliierten überließ. Manfred Alscher und Marc Sternberg betrieben darüber hinaus auch eine „Neupiraten“-Gruppe, beides im Bezirk Neukölln. Trotzdem habe man die beiden nie wirklich im Parteigeschehen wahrgenommen. Nach ein paar beleidigt wirkenden Abschiedsschreiben auf der offenen Wiki-Plattform der Berliner Piraten, verschwanden beide Gruppen 2013 zusammen mit ihren Gründern. Auch Marc Sternberg fand sich 2014 bei der AfD Neukölln wieder, als deren Sprecher.
Die Frau von der Linken
Doch nicht nur die Piraten sollte die Beschäftigung mit der AfD in Staunen versetzen. Auch der Bezirksvorstand der Neuköllner Linken musste sich mit diesem Thema befassen. Eines ihrer langjährigen Vorstandsmitglieder trat im September 2014 aus der Partei aus. Keine zwei Monate später fand sie sich als stellvertretende Sprecherin im Gründungsvorstand der AfD Neukölln wieder. Die Rede ist von Franziska Lorenz-Hoffmann. Den Frust über ihren Abgang merkt man dem Pressesprecher der Linken Neukölln Klaus-Dieter Heiser immer noch an. „Eine große Rednerin war sie nie“, so Klaus-Dieter Heiser über seine Ex-Parteigenossin, „die praktische Hilfe lag ihr“. Im Jahr 2007 fand sie über das Wasservolksbegehren zur Linkspartei. Dort kümmerte sie sich vor allem um das Thema Armut. Sie begleitete Betroffene zum Arbeitsamt, organisierte die Hartz IV Sprechstunden des Bezirksverbandes und war als eine von drei Sprecherinnen der Landesarbeitsgruppe Hartz IV auch berlinweit unterwegs.
Bereits im Herbst 2007 wurde sie gefragt, ob sie Mitglied des Bezirksvorstands werden möchte. 2011 kandidierte sie erfolglos für die BVV und engagierte sich anschließend als Verbindung zum Hartz IV Kreis in der Linken BVV-Fraktion. „Das Lob und der Zuspruch sind ihr dann wohl nach und nach zu Kopf gestiegen“, attestiert Heiser seiner ehemaligen Parteikollegin. Franziska Lorenz-Hoffmann wehrt sich gegen diesen Vorwurf. Ämter seien ihr weder in der Linken, noch jetzt in der AfD wichtig. Im Jahr 2007 sei sie während der Neuformierung der Linken wegen ihrer Begeisterung für das Programm beigetreten. Doch sei sie von Anfang an immer wieder gemobbt worden. Klaus-Dieter Heiser weist dies zurück: „Ihr praktisches Engagement wurde stets geschätzt.“ Laut Heiser begannen die wirklichen Probleme, als sie Facebook für sich entdeckte. Dort teilte sie einen Artikel über einen Hartz IV Empfänger, der sich hat krank schreiben lassen um vor dem Apple Store auf das neue iPhone zu warten. „Die Armut konnte bei dem ja nicht so groß sein“, kommentiert Lorenz-Hoffmann ihren Post heute. Mehrere Nutzer beschwerten sich in den Kommentaren. Es folgten klärende Gespräche mit dem Vorstand. „Danach war sie eingeschnappt“, so Heiser. Das war 2013. Heute geht Heiser davon aus, dass sie bereits damals innerlich gekündigt hat. Lorenz-Hoffmann bestätigt dies und sagt, dass sie bereits damals ihren Austritt eingereicht habe, dieser aber aus irgendwelchen Gründen nicht behandelt wurde. Hierüber zeigt sich Heiser erstaunt, da sie noch bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Vorstand im September 2014 aktiv am Parteileben teilgenommen habe. Kurz vor den Vorstandswahl Ende 2014 wurde dann offiziell ihr Austritt verkündet. „Es hat weh getan, dass wir sie nicht haben halten können und dass Andere auf sie Einfluss gewonnen haben“, so Heiser. Von anderen Parteiwechslern aus ihrem parteilichen Bekanntenkreis wisse man allerdings nichts. Franziska Lorenz-Hoffmann kommentiert dies heute mit: „Was ein Glück, dass ich da raus bin!“
Verschwörungstheorien via Facebook
Seit ihrem Wechsel ist ihr Werdegang bei der AfD Neukölln über Facebook gut nachzuvollziehen. Mit ihren über 4.000 Facebook-Freunden teilt sie Beiträge von Verschwörungsseiten (siehe Bild), beschwert sich über ihre Ex-Genossen und bekommt zahlreiche Kommentare auch von deutlich erkennbaren „Reichsbürgern“. Den Widerstand gegen die AfD und ihre Ex-Genossin hat sich Die Linke groß auf die Fahnen geschrieben. Zuletzt traten sie bei der öffentlichen Diskussion im Heimathafen Neukölln mit Transparenten auf und demonstrierten dagegen, dass der AfD Raum gegeben wird, um ihre Thesen unter das Volk zu bringen.
SPD will kämpfen – CDU will diskutieren
Für Mirjam Blumenthal von der SPD ist klar, dass man im Wahlkampf hart daran arbeiten müsse, dass die AfD nicht in die BVV kommt. Aktuelle Umfragen sehen sie AfD berlinweit zwischen 10% und 15%. Blumenthal stellt dazu fest, dass die AfD „keine rechtspopulistische Partei mehr ist.“ Die Parolen und das Vokabular sind für sie klar nach rechts abgerutscht, so die SPD Politikerin. Rechtspopulistisch wäre die Partei, ihrer Ansicht nach, wenn sie rechte Parolen lediglich zum Stimmenfang verwenden würde, doch die Debatten über den Begriff „völkisch“ und die Anbindung der AfD an rechtsradikale Gruppierungen wie die „Identitäre Bewegung“ zeigen ein deutlich rechtes Profil.
Die Partei mobilisiert dabei weit über rechte Kreise hinaus. „Wir haben es nicht nur mit Personen aus dem rechten Spektrum zu tun, sondern mit Menschen, die sich aus den etablierten und jungen Parteien zurückziehen und was Neues aufbauen wollen“, so Mirjam Blumenthal. Erschrecken tut sie dabei besonders der Rückzug von Mitgliedern demokratischer Parteien in die „antidemokratische“ AfD. Im Wahlkampf möchte sie mit Argumenten die AfD „stellen“ und den Wählern zeigen, dass außer Parolen nichts dahinter steckt. Dabei will sie auch bewusst in NPD- und Nicht-Wähler Wahlkreise gehen.
SPD in der Bringschuld im Kampf gegen Rechts?
Für Klaus-Dieter Heiser von den Linken ist dieses Engagement auch dringend angebracht. „Buschkowsky hat eine Reihe von Themen im Bezirk salonfähig gemacht, wo die AfD jetzt anknüpfen kann“, so Heiser zur Politik des langjährigen Neuköllner Bürgermeisters. Auch deswegen sieht er die SPD in der Bringschuld im Kampf gegen rechts. Doch wo kann man in Neukölln gegen die AfD groß vorgehen? Abseits von einzelnen Ständen und wenigen öffentlichen Auftritten, wie zuletzt im Heimathafen Neukölln, hält sich die Partei eher bedeckt. Vereinzelt finden Stammtische vorrangig im Süden des Bezirks statt. Großes Aufsehen erregte die stellvertrende Vorsitzende Franziska Lorenz-Hoffmann, als die Neukölln Arcaden Anfang des Jahres ein Foto von ihr als Werbung für die Vielfältigkeit Neuköllns benutzten. Nach Bekanntwerden ihrer Parteizugehörigkeit wurde das Bild schleunigst entfernt.
Sollte die AfD am 18. September in das Bezirksparlament gewählt werden, wollen fast alle Parteien die Zusammenarbeit verweigern – kein Händedruck, keine Debatte: totales Ignorieren soll die Strategie sein. Nur die CDU hat an einer gemeinsamen Strategie kein Interesse. „Uns kommt es auf die Inhalte an“, kommentiert Gerrit Kringel, Fraktionsvorsitzender der BVV Fraktion der CDU. „Wir haben ja auch schon Anträge von Linken oder Piraten mitgestimmt“, so Kringel weiter. Diese Parteien lägen genauso jenseits der CDU, wie die AfD. „Anti-Wahlkampf“ mache man grundsätzlich nicht. Doch man habe auch Grenzen. Was diskriminierend oder rassistisch ist, würde man natürlich nicht mittragen. Bei sachlichen Anträgen jedoch, welche auch CDU Meinungen wiederspiegeln, werde man sich nicht kategorisch verschließen. Andere Vertreter der CDU, wie zuletzt der ehemalige Hamburger Bürgermeister Ole von Beust, lehnen die Zusammenarbeit mit der AfD strikt ab. Die Gründe sind meistens klar: Der nach rechts offene Kurs, die „völkische“ Politik und die Berührungspunkte mit rechtsradikalen Bewegungen wie den „Identitären“ machen eine Zusammenarbeit für sie indiskutabel.
Ein Sprachschützer fürs Abgeordnetenhaus
Gut verankert scheint die AfD jedoch im deutschnationalen Milieu zu sein. Dem Ex-Pirat Marc Sternberger als Sprecher folgte Jörg Kapitän als Vorsitzender. Als stellvertretender Regionalleiter des „Verein Deutsche Sprache“ organisiert er Stadtspaziergänge und koordiniert die Gruppe Hauptversammlungen. Der Verein kämpft gegen Anglizismen und für klares Deutsch in Politik und Wissenschaft. Neben unterschiedlichsten Parteien finden sich unter den Kooperationspartnern auch Organisationen wie die „Landsmannschaft Ostpreußen“. Der BVG-Mitarbeiter Kapitän kandidiert als einziger Neuköllner auf der Landesliste der AfD für das Abgeordnetenhaus. Listenplatz 30. Dies offenbart auch das geringe Gewicht, dass der Neuköllner AfD im Landesverband zugemessen wird, sind es doch besonders einige Ost-Bezirke der Stadt, die als Hochburgen der AfD aus der nächsten Wahl hervorgehen könnten.
Anfang März verkündete Manfred Alscher als letzter Ex-Pirat im Bezirksvorstand der AfD seinen Rücktritt, die Gründe sind unbekannt. Als Parteiwechslerin bleibt damit lediglich die Ex-Linke Franziska Lorenz-Hoffmann zurück. Der Schatz an praktischem Politikwissen scheint nicht sehr groß zu sein. Doch der mit großer Wahrscheinlichkeit stattfindende Einzug in die BVV wird der Partei die Möglichkeit geben Arbeitserfahrung in der Bezirkspolitk zu sammeln und sich im Bezirk zu festigen. Erst recht, sollte die Partei sogar genug Stimmten für das Anrecht auf einen Stadtratsposten bekommen. Mirjam Blumenthal geht jedenfalls fest davon aus, dass sich die AfD fester etablieren wird, als NPD und Ähnliche zuvor.
Kommentare:
Die AfD ist eine respektable Partei!
Die AfD und die CSU haben recht.
– Es ergibt keinen Sinn, Millionen Menschen aus Afrika und Asien nach Deutschland umzusiedeln.
– Der Islam versucht den Menschen das Selbstbestimmungsrecht zu stehlen.
Joachim Datko – Physiker, Philosoph
Guter Artikel, vielen Dank dafür
Gute Recherche, lesenwert!