Stolpersteine

Ein bewegender Moment für Lotte Atar und Enkel Eitam.

In der Friedelstraße wurden vergangenen Freitag Gedenksteine für Verfolgte aus der NS-Zeit verlegt. Ein bewegender Moment für Angehörige und Anwohner.

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Dienstag, 11. Juni 2013

Der Bildhauer Gunter Demnig ist schon den ganzen Freitag unterwegs, um Gedenksteine in Berlin zu verlegen. Während eines Festaktes hat er zu Tagesbeginn den 5000. Berliner Stolperstein gegenüber des Reinickendorfer Rathauses eingesetzt. Nachmittags ist er in Neukölln angekommen, um Steine vor zwei Häusern in der Friedelstraße in den Gehweg zu setzen. Hier wohnten Menschen, die in den 1940er Jahren von dem Naziregime deportiert und ermordet wurden. Ihre Namen und Schicksale sind auf den Steinen eingraviert.

Ein wenig verloren steht eine kleine Frau auf dem Bürgersteig vor der Friedelstraße 47 und sieht sich um. Lotte Atar ist 93 Jahre alt und extra aus Jerusalem angereist. Sie möchte die Verlegung der Stolpersteine für ihren Lieblingsonkel Simon Adler und seine Familie miterleben. Atars Enkel Eitam begleitet sie dabei. Der 15-Jährige steht etwas abseits auf dem Bürgersteig und zieht an einer Zigarette. „Er ist nervös, weil der Sabbat, der jüdische Ruhetag, bald einsetzt und die Steinverlegung noch nicht begonnen hat“, sagt Karolin Steinke, die ein Buch über die Lebensgeschichte der Familie Adler geschrieben hat.

Mit Hammer und Meißel

Bildhauer Demnig und sein Assistent.

Da fährt ein weißer Lieferwagen vor und Gunter Demnig, der Bildhauer, springt heraus. Er schlängelt sich durch die Menge und beginnt mit Hammer und Meißel den Boden aufzuhacken. Bereits nach einer Viertelstunde ist es soweit: Drei Steine im Gehweg nennen die Namen des jüdischen Eierhändlers Simon Adler, seiner Frau Rachel und ihres Sohnes Heinrich, denen die Nazis zuerst ihre wirtschaftliche Existenz und dann ihr Leben nahmen. Die Angehörige Lotte Atar betrachtet die Steine. „Ich dachte, die gucken raus“, sagt sie zu dem am Boden knienden Bildhauer. Der lacht: „Ne, dann würden wir Ärger kriegen.“ Das Stolpern ist bei dem Erinnerungsprojekt der Stolpersteine nicht wörtlich gemeint. Vielmehr geht es darum, den anonymisierten Opfern des Nationalsozialismus ihre Namen zurückzugeben und die vorbeigehenden Menschen zum Nachdenken anzuregen. Man soll „mit dem Kopf und mit dem Herzen“ stolpern. So zitiert Demnig gerne einen Schüler, der damit die Intention des Projekts Stolpersteine erklärte.

Insgesamt sollen in Neukölln dieses Jahr 40-50 Stolpersteine verlegt werden. Das schätzt Volker Banasiak vom Museum Neukölln. Er ist für die Organisation und Recherche der Stolpersteine im Bezirk zuständig ist. Zentral wird die Verlegung der Gedenksteine in Berlin von der Koordinierungsstelle Stolpersteine organisiert. Auf deren Internetseite kann man auf einer interaktiven Berlin-Karte die Orte der Stolpersteine finden. Die Anzahl der Steine variiert in den Bezirken erheblich. Und nicht alle Reaktionen sind positiv. „Zu Beschmutzungen kommt es immer wieder“, sagt Sören Schneider von der zentralen Koordinierungsstelle. Allerdings gab es in Neukölln laut Banasiak bisher keine Vandalismusvorfälle. Trotzdem ist die Polizei bei der Verlegung mit zwei Mann vor Ort.

Anwohner beseitigen Schmierereien

Erst am vorigen Tag hatten Anwohner in Friedenau erneut Schmierereien an mindestens 55 Stolpersteinen entdeckt. Ermittlungsergebnisse gibt es laut Polizeisprecher Klaus Schubert bisher nicht. Diesen Freitag kamen etwa 12 Kinder aus den umliegenden Kitas, um die Steine zu säubern. Allerdings waren ihnen engagierte Anwohner zuvorgekommen. „Als wir uns um 10 Uhr in der Stierstraße trafen, waren hier alle Steine wieder blitzblank“, sagt Petra T. Fritsche, die sich in dem Schöneberger Stadtteil in einer Initiative für Stolpersteine engagiert. Für die Kinder blieben nur noch vier mit schwarzer Farbe verschmutzte Steine in der Fregestraße übrig.

Gedenken an die Opfer.

Demnig lässt sich von den Vandalismusvorfällen nicht beirren. Gerade beginnt er, vor dem zweiten Haus in der Friedelstraße Steine für das Ehepaar Ernst und Gertrud Heilfron und ihre beiden Töchter Ingeborg und Susanne zu verlegen. Die Familie wurde am 14. November 1941 nach Minsk in Weißrussland deportiert und dort ermordet. Hier ist die Hausgemeinschaft von der Straßennummer 49 initiativ geworden.

Nach einer knappen Dreiviertelstunde sind alle Steine auf der Friedelstraße verlegt und erinnern an die NS-Verbrechen an den Familien Adler und Heilfron. Der Bildhauer Demnig ist nach getaner Arbeit genauso schnell wieder verschwunden, wie er gekommen ist. Auf dem Gehweg stehen noch einige Anwohner mit Volker Banasiak und seinem Chef, dem Museumsleiter Udo Gößwald, zusammen. Die frisch verlegten Stolpersteine sind mit Rosen geschmückt. Lotte Atar, die Angehörige der Familie Adler, läuft zwischen den Gedenksteinen umher. Der Beginn des Sabbats scheint die alte Dame gerade nicht zu beschäftigen. Dafür treibt sie die Frage um, warum die Stolpersteine nicht aus dem Boden ragen. „Im Fernsehen sehen die viel größer und höher aus“, sagt sie und blickt den Museumsleiter streng an.

"Im Fernsehen sehen die viel größer und höher aus"

Fotos: Julia Jungmann