Spaß am Lärm

Laermschau_TitelDie einen amüsieren sich, die anderen stört’s. Die Wissenschaftsshow „Geht’s Noch!?“ versucht in einer Kneipe auszuloten, welche Lautstärke für Anwohner zumutbar ist. Und das ziemlich unterhaltsam.

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Montag, 2. September 2013

„Rock’n’Roll ain’t Noise Pollution“ – sangen AC/DC schon 1980. Die meisten Nachbarn von Berliner Veranstaltungsorten mit Live-Musik sehen das aber anders. Mit einer Coverversion des Songs eröffnen Charlotte Rieber und Boris Joens den ersten Teil der Veranstaltungsreihe „Geht’s Noch?!“ im Alter Roter Löwe Rein, die Besitzerin der Kneipe an der Gitarre, der Musiker an der singenden Säge. Nach der musikalischen Einlage führen sie gekonnt in das Thema ein: Joens spricht von einem „Zumutungsdreieck“ zwischen Musikern, Bars und Nachbarn. Der Schall stelle die Verbindung zwischen ihnen dar, mit all seinen positiven und negativen Effekten. „Geht’s Noch?!“ sei in diesem Zusammenhang eine Frage, die immer wieder gestellt werde, so Charlotte Rieber. Auch wenn es immer eine rhetorische Frage sei, mit der Antwort: Nein, es geht nicht. Es ist zu laut, es ist zu viel.

Suche nach dem Kompromiss

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Boris Joens moderiert durch die Wissenschaftsshow „Geht’s Noch?!“

Mit der Veranstaltungsreihe wollen die beiden Initiatoren herausfinden, ob es nicht doch irgendwie geht, ob nicht ein Kompromiss gefunden werden kann: Zwischen denen, die Musik machen, die Musik hören wollen, und die zwangsweise der Musik ausgesetzt sind. Gerade in Neukölln ein längst überfälliger Anspruch, befinden wir uns doch im „angesagten Hotspot“, wie mittlerweile selbst das Easyjet-Magazin schreibt. Und sogar die Stadt Berlin wirbt mittlerweile mit der „lässigen Abgeranztheit“ der Kneipen. Eine Entwicklung, die sich rasend schnell vollzogen hat, und auf Kosten derer geht, die schon vor Jahren in die damals noch ruhigen Straßen gezogen sind. Wie die Journalistin Susanne Lenz, die darüber in der Berliner Zeitung schrieb: „Mit dem Tempo, in dem sich mein Kiez veränderte, konnte ich nicht mithalten.“ Aber diese grundsätzlichen Dinge stehen heute nicht auf dem Programm. Sie zu beeinflussen wäre eher eine Sache für Stadtplaner oder die Politik. Auch soll der Abend keine Podiumsdiskussion sein, wie Boris Joens betont. Stattdessen wolle man sich mit handfester „Kneipenforschung“ dem Thema Lärm im Kiez nähern.

Zum Einstieg gibt es deshalb einen wissenschaftlichen Vortrag von Prof. Dr. Brigitte Schulte-Fortkamp, die an der TU Berlin den Fachbereich Psychoakustik und Lärmwirkung betreut. Mit Hörbeispielen, Diagrammen und Schaubildern macht sie deutlich, dass der messbare Schalldruck nicht der wahrgenommenen Lautstärke entsprechen muss. Sie bemüht sich um Anschaulichkeit, aber wer im Publikum nicht vom Fach ist, schaut trotzdem erst mal etwas ratlos. „Was heißt das jetzt für uns?“, fragt Boris Joerns in die Runde. Neben ihm haben mittlerweile Platz genommen: Lutz Henke, Kurator des Artitude Kunstvereins in Kreuzberg, Markus Döring, der am Görlitzer Park wohnt und die Anwohnerseite vertritt, sowie Hanno Leichtmann, Schlagzeuger und Soundkünstler.

Telefonschaltung zum Nachbarn

Lutz Henke berichtet, dass eine einmalige Störung weniger das Problem sei, als wenn jemand dauernd laut ist. „Außerdem gibt es auch Leute, die einfach ein Problem damit haben, wenn jemand Spaß hat.“ Markus Döring nennt den Görli vor seinem Fenster ein „24-Stunden-Sound-Desaster“ und erzählt von stundenlangen Bandproben im Park, nächtlichen Streits zwischen Dealern und einer ominösen Person, die offenbar Spaß daran hat, Flaschen zu zerschlagen. Zum Ende folgt ein Spiel, das final den Kompromiss zum Lärmproblem finden soll. Dazu bringt Charlotte Rieber den Anwohnervertreter Markus Döring in ein Zimmer direkt über der Bar. Per Live-Schaltung kann ihn das Publikum sehen, in einem Sessel vor dem Fernseher sitzend. Hanno Leichtmann tritt an ein aufgebautes Sammelsurium aus Instrumenten. Er beginnt mit einer Klangperformance, während Charlotte Rieber telefonisch Kontakt mit Döring in der Wohnung darüber hält.

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Markus Döring in der Rolle des Kneipennachbarns: Er testet, wie laut die Musik in der Bar in der Wohnung darüber wirkt.

Leichtmann wird immer lauter an den Synthies, Trommeln und Schellen, bis Döring durchgibt, dass er den Fernseher kaum mehr hören kann. Leichtmann spielt also wieder etwas leiser, bis eine Lautstärke gefunden wird, die für alle Seiten – Publikum, Barbesitzer und Nachbar – annehmbar ist. Eine Messung ergibt etwa 80 Dezibel in der Bar, 59 in der darüber liegenden Wohnung. Die Moderatoren Rieber und Joens freuen sich, das gesteckte Ziel erreicht zu haben. Ihnen gelang ein sehr guter Einstand in die Veranstaltungsreihe, die für alle Seiten Erkenntnisse brachte. Vor allem die Mischung aus Musik, wissenschaftlichen Fakten und persönlichen Erlebnissen sowie die Einbindung des Publikums machte den Abend unterhaltsamer als jede Podiumsdiskussion. Ob sich durch solche Initiativen tatsächlich auch etwas im Kiez ändern wird, ist wohl eher unwahrscheinlich. Zu begrüßen ist es aber in jedem Fall.

Die nächsten Veranstaltungen:

03.10.2013 Lärmschutzmaßnahmen
31.10.2013 Recht
28.11.2013 Stadtplanung

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