„Uns geht es um Qualität.“

Christian Morin, Katja Lucker, Martin Hossbach, künstlerisches Leitungsteam Pop-Kultur, Foto by Patrick Desbrosses

Das künstlerische Leitungsteam von Pop-Kultur: Christian Morin, Katja Lucker, Martin Hossbach (v. li., Foto: Patrick Desbrosses)

Braucht Berlin noch ein Festival? Braucht Berlin ein Festival, bei dem der Berliner Senat finanziell mitmischt? Braucht Berlin ein Berlin Festival, das sich Pop-Kultur nennt und was heißt das überhaupt: Pop? Bevor das von Martin Hossbach, Katja Lucke und Christian Morin veranstaltete Festival heute in die zweite Runde geht, musste sich das Team mit einigen Nachfragen, ein bisschen Wut und viel Spott auseinandersetzen. Mit dem Off-Kultur wurde aus der Kritik sogar ein eigenes, zeitgleich zwischen dem 31. August und 02. September laufendes zweites Festival. Wir haben die Drei aber nicht nur dazu, sondern auch zu ihren persönlichen Festival-Highlights und Absichten mit Pop-Kultur befragt. (mehr …)

Mittwoch, 31. August 2016

neukoellner.net: Was waren die vorrangigen Kriterien, nach denen Ihr das Programm von Pop-Kultur zusammengestellt habt?
Christian Morin: Wir haben Künstlerinnen und Künstler gesucht, die mit ihren Musiken, die eine große Bandbreite der aktuellen Popmusik repräsentieren, von Punk wie etwa Show Me The Body, bis Rap, wie im Falle von SassyBlack. Im Idealfall sind die Künstler_innen Entdeckungen und haben in Europa, Deutschland oder Berlin noch nie gespielt oder präsentieren überhaupt und erstmals unserem Publikum ein neues Programm, wie im Fall von Algiers. Da unser Festival auch aus einem, der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Nachwuchsprogramm besteht, war uns auch wichtig Künstlerinnen und Künstler zu finden, die bereit waren, den 250 jungen Menschen, die wir ausgewählt haben, Workshops zu geben oder Vorträge zu halten, Paradebeispiele sind hier die bereits erwähnten SassyBlack und Algiers aus den USA, aber auch Matthew Herbert aus England oder Hendrik Otremba von der Gruppe Messer.

Unter dem Stichwort Pop-Kultur könnte man durchaus ein massentaugliches Programm erwarten, doch eine ganze Reihe an Künstlern, die auf dem Festival spielen, sind weit von Charterfolgen entfernt. Was ist es also, das ihren Pop-Gehalt aus Eurer Sicht ausmacht?
Martin Hossbach: Pop hat nicht unbedingt etwas mit Charterfolgen zu tun, in den seltensten Fällen bedeutet Chartererfolg künstlerische Qualität. Uns geht es um die Qualität. Wir haben Stars und Newcomer gleichermaßen im Programm. Pop ist für mich immer mehr Behauptung als Tatsache. Obwohl fantastische Musik, wie sie zum Beispiel Alice Cohen macht, nur einem kleinen Kreis von Menschen bekannt ist, macht sie für mich trotzdem Pop. Aufgabe eines Festivals wie dem unseren ist es eben auch, unbekannte künstlerische Positionen einem größeren Publikum vorzustellen.

Vor allem in den Talks wird Pop-Kultur auch einen Blick auf musikgeschichtliche Phänomene werfen: Colin Newman, Wyndham Wallace und Ronald Lippok sprechen zum Beispiel über Krautrock, Jon Savage wird sein neues Buch über das Jahr 1966 vorstellen. Warum sind Euch Retrospektiven im Rahmen des Festivals wichtig?
Katja Lucke: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft interessieren uns gleichermaßen. Das Vergangene ist oft aktueller als man denkt. Colin Newman vertreibt schon lange seine Musik selber, ein Modell, das junge Musikerinnen und Musiker heute auch für sich entdeckt haben. Und wie Savage über das Jahr 1966 schreibt, ist ebenso aktuell. Wir interessieren uns dafür, wie man als Künstlerin oder Künstler es schafft, eine lange Karriere interessant zu gestalten, auch deshalb laden wir nicht nur junge Menschen ein.

Was sind Eure persönlichen Highlights des Festivals?
Martin Hossbach: Fishbach, schriller Synthie-Pop aus Frankreich, A-Wa, drei junge Frauen aus Israel, die mitreißend im jemenitischen Stil einer Ofra Haza singen, Alice Cohen, SassyBlack, die große türkische Sängerin Selda Bağcan – weitaus mehr als andere Festivals spielen für uns weibliche Künstlerinnen eine entscheidende Rolle. Mit Roosevelt haben wir aber auch einen deutschen Pop-Shootingstar im Programm, auf den ich mich sehr freue.
Christian Morin: Imarhan aus Algerien, die gerade eine großartige Platte beim Berliner Label City Slang herausgebracht haben. Aber auch auf Skinny Girl Diet, eine Riot-Grrrl-Band aus London freue ich mich ganz besonders. Wir haben für das Programm vor allen Dingen international sehr viel Lob bekommen. Das ist sehr interessant, denn als ich angefangen habe, mit Musik zu arbeiten, waren das vor allen Dingen deutsche Künstlerinnen und Künstler, mit denen wir in London und New York sofort sehr viel Aufmerksamkeit erzeugt haben, während in Deutschland alles sehr viel länger gedauert hat.

Pop-Kultur soll auch ein Treffpunkt für Professionals aus der Musikindustrie sein. Warum ist Euch das wichtig und wie versucht Ihr das zu erreichen?
Christian Morin: Die Musikindustrie ist einem sehr rasanten Wandel unterworfen. Geschäftsmodelle, die heute erfolgreich sind, können bereits morgen nicht mehr funktionieren. Die letzten Jahre waren sehr geprägt von einem Nachdenken über Modelle und Plattformen. Der eigentliche künstlerische Inhalt ist dabei sehr stark in den Hintergrund getreten. Wir versuchen einen Rahmen zu schaffen, der aus einem interessanten musikalischen und Diskurs-Programm besteht, bei dem die Künstlerinnen und Künstler wieder im Vordergrund stehen. Wir laden die Menschen, die sich beruflich mit Musik beschäftigen ein, sich diesem Diskurs zu öffnen. Wir müssen lernen, dass wir in einer Welt leben, in der wir sehr wenig an gelernten Dingen festhalten können und mit sehr dynamischen Prozessen umzugehen haben. Das gilt nicht nur für die Musikindustrie, sondern für die Gesellschaft insgesamt. Als Teil der Kultur haben wir hier auch eine politische Aufgabe und versuchen zu inspirieren. Im SchwuZ wird es einen Bereich geben, das Vollgutlager, wo sich die Professionals und die Künstlerinnen und Künstler treffen und miteinander ins Gespräch kommen können.

Das Musicboard Berlin fördert die Berliner Musikszene bereits auf vielfältige Weise. Warum braucht es ein eigenes Festival?
Katja Lucker: Es war eine politische Entscheidung im Abgeordnetenhaus, die Berlin Music Week an das Musicboard zu übergeben! Wir haben diese Aufgabe gerne angenommen, weil wir glauben, dass wir mit den Fördermitteln des Senats und der EU ein Festival auf die Beine stellen können, das einzigartig ist und sich von anderen Festivals abgrenzt, also auch niemandem Konkurrenz macht oder zu nahe kommt. Die Gelder, die wir für Pop-Kultur erhalten sind explizit keine, die zur Förderung der Berliner Szene ausgegeben werden können. Unser Auftrag sieht ganz klar die Weiterbildung des sogenannten Musiknachwuchses vor. Pop-Kultur Nachwuchs ist ein einmaliges Programm in der Festivallandschaft und wir waren mächtig stolz letztes Jahr auf die jungen Talente und die großartigen Dozentinnen und Dozenten. Dieses Jahr legen wir mit 250 jungen Menschen aus aller Welt, die wir in diversen Workshops weiterbilden, noch einen drauf.

Aus Kritik an Pop-Kultur ist das Festival Off-Kultur entstanden. Ein Kritikpunkt der Macher ist, dass Pop-Kultur auch die Berliner Szene widerspiegeln will und Neukölln als Festival-Standort betont, aber kleine, lokale Künstler in Eurem Programm zu wenig auftauchen würden. Was sagt Ihr dazu?
Martin Hossbach: „Die Berliner Szene“ gibt es nicht. Es gibt sie, aber sie ist in x verschiedene Szenen aufgesplittert. Bei Off-Kultur wird eine relevante Szene repräsentiert, die mich auch interessiert, aber sie ist eben auch nur eine von vielen. In unserem Programm finden sich viele aus Berlin stammende oder in Berlin lebende Künstlerinnen und Künstler wieder. „Klein“ sind sie auch, wie bereits erwähnt stellen wir ja gerade auch unbekannte Positionen vor, wie zum Beispiel Royal Comfort oder Ana Ana. Und warum sollen wir den Standort Neukölln nicht erwähnen, so wie wir es im letzten Jahr mit dem Berghain als singulärem Ort gemacht haben? Das Festival findet nunmal hier statt und nicht in Mitte oder im Wedding, wo wir uns im Herbst letzten Jahres auch Räume angeschaut haben und möglicherweise auch in einer der nächsten Ausgaben hinziehen werden.
Christian Morin: Das Programm empfinde ich nicht als Gegenprogramm. Es spielen mindestens zwei Künstlerinnen und Künstler, die im letzten Jahr bei Pop-Kultur gespielt haben. Wenn wir das Programm noch weiter ausdifferenzieren würden, in alle kleinen Szenen hinein, könnte das auch unser Programm sein, eben nur ohne unseren konzeptionellen Blick, der auf kulturelle Diversität, ausgeglichene Repräsentanz der Geschlechter und ungewohnte thematische Blickwinkel achtet. Dass die anderen Clubs in Neukölln auch etwas machen wollen, ist total gut,und ich bin bereit mit jedem zu reden – nur der ideologische Blickwinkel der Initiatoren ist etwas kurzsichtig in dem Versuch lokale und internationale Strukturen gegeneinander zu stellen. Auch über die Aspekte kultureller Förderung würde ich gerne nach dem Festival weiter diskutieren. Der Hauptinitiator von Off-Kultur, Anton Teichmann, hat selbst jahrelang bei der Initiative Musik gearbeitet, einer Förderinstitution des Bundes. Auf diesen kommenden Diskurs freue ich mich.

Das Interview ist zunächst im Groove Magazin erschienen. 

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