In was für einem Kiez wollen wir leben? (3)

Anna, Erzieherin, lebt seit 25 Jahren in Neukölln. Wir wollten von ihr wissen, was sie sich für Neukölln erhofft. Teil 3 unserer Serie, in Zusammenarbeit mit dem tazblog M29.

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Samstag, 10. September 2011

Anna:

„Ich vermisse das alte Neukölln, das nur noch minimal da ist. Früher, wenn ich auf dem Markt war, fühlte ich mich wie in der Türkei. Heute komme ich mir vor, wie im Prenzlauer Berg. Das alte Neukölln war einfach, grün, nicht voll und vor allem nicht hip. Wir waren einfach da und wir waren glücklich. Am Anfang fand ich es gut, dass was in Neukölln passiert ist. Denn früher war der Weg von der U-Bahn zu meiner Wohnung echt langweilig. Es gab ja keine Läden. Ich finde die Veränderungen inzwischen schon sehr extrem. Leute, die noch vor fünf Jahren gesagt haben „Bäh Neukölln“ ziehen jetzt her, wir haben eine Monokultur von Cafés, Kneipen und Designerläden. Ich glaube ja, dass es gewollt ist, dass sich in den Innenstädten bald nur noch reiche Leute die Mieten leisten können. Da wird zum Beispiel ein Quartiersmanagement aufgemacht, die wollen den Kiez schöner machen und es führt dazu, dass die ärmeren, bildungsferneren Leute, wegziehen müssen. Es gibt zwar noch viele Menschen mit Migrationshintergrund, aber die sind unsichtbar geworden. Es gibt kein Gemüseladen mehr, kaum noch ein türkisches Männercafé. Ein befreundeter Künstler hatte bis vor kurzem hier jahrelang ein Ladenatelier, die Hausbesitzer haben ihm wegen Eigenbedarfs gekündigt. Jetzt steht der Laden leer.

Ich habe letztens mit dem Jugendamt telefoniert, weil ich überlegt hatte, einen Kinderladen in Neukölln aufzubauen. Die Kinder sind da, aber die Mieten für die Flächen sind so teuer, dass sie keiner bezahlen kann.

Ich finde, man müsste das steuern. Es müsste genug bezahlbarer Wohnraum vorhanden bleiben, damit die Leute die hier leben, auch bleiben können. Auch im Kleinhandel sollte man gucken, dass es in einer Straße noch was anderes gibt als Cafés und Kneipen.“

Artikel erschienen am 23.06.2011 im tazblog M29 von unserer Autorin Elisabeth Wirth.