Der Sheriff von Neukölln

Spaeti_zu_2In einem schwierigen bis gefährlichen Problembezirk sind Polizei und Ordnungsamt an der Grenze ihrer Handlungsfähigkeit. Die ganze Polizei? Nein! Ein Wachtmeister kennt noch Recht und Ordnung: Sonntag für Sonntag zieht er von Späti zu Späti und betritt kurz nach gesetzlichem Ladenschluss die Geschäfte, um Dampf abzulassen. Er ist der Schatten, der die Nacht verklagt, und er hat eine Mission: einen Kiez an den Rande der Versorgungssicherheit zu bringen.  (mehr …)

Mittwoch, 15. April 2015

Zwar gibt es in „Berlins Gefahrenzone Nr. 1“ von Überfällen über Crackdealen bis zu Mord- und Totschlag eine Menge Straftaten zu verfolgen, doch lässt es sich ein Mann nicht nehmen, den Kiez zwischen Kottbusser Damm und Maybachufer auch im kleinen zu einem besseren Ort zu machen. Spätibetreiber, die am heiligen Sonn- und Feiertag geöffnet haben, belegt er mit dicken Bußgeldern. Kein Nachbar hat ihn zur Hilfe gerufen, keine Beschwerde wegen Ruhestörung erreichte das Polizeirevier. Aber der Sheriff kennt das Gesetz und das setzt er durch.

An jedem verdammten Sonntag: Späti verboten

Der Fall ist klar: An Sonn- und Feiertagen haben alle Geschäfte in Berlin geschlossen zu sein. Das Gesetz zum Schutz von Sonn- und Feiertagen sieht eine Ausnahmeregelung für Tankstellen und solche Geschäfte vor, die nur Tabakwaren, Milchprodukte, Zeitungsartikel, Blumen und Backwaren verkaufen. Diese Läden dürfen zwischen 7 – 16 Uhr geöffnet haben.

Raviolidosen und Panninisticker – (ill)egal

Und doch: Wer Sonntagabend hungrig oder durstig vor die Tür geht, weil der Sonntag mal wieder zu schnell kam, kommt hier ohne Probleme an eine rettende Dose Ravioli, die Ersatzzahnbürste, ein eiskaltes Bier und den langersehnten Pannini-Glitzersticker. Und dafür braucht es keine teure Tankstelle. Über tausend Spätkäufe in Berlin stellen die Versorgung der Hauptstadtbewohner zu jeder Tages- und Nachtzeit sicher. Der Umstand, dass viele BerlinerInnen dabei nicht um die Illegalität ihres Wochenendshoppings wissen, liegt vor allem daran, dass die meisten Spätis am Sonntag eben einfach geöffnet haben.

Wen störts?

Kaum jemand scheint sich ernsthaft um die Ladenöffnungszeiten der Spätis zu scheren. Das Ordnungsamt arbeitet am Sonntag von 11-19 Uhr und  vor allem rund um’s Rathaus haben in dieser Zeit viele Läden geschlossen. Dazu haben wir im vergangenen Jahr mit einigen Späti-Angestellten gesprochen. Dennoch weiß ein Betreiber heute zu berichten: „Wir wurden noch nie vom Ordnungsamt belangt.“ Sowohl Ordnungsamtmitarbeiter als auch Polizisten kämen am Wochenende „liebend gerne zu Besuch.“ Nicht, um den Spätkaufbetreiber anzuzeigen, sondern um sich mit einer Cola oder einem Eis eine wohlverdiente Pause zu gönnen. Die meisten Beamten haben vermutlich Wichtigeres zu tun, als ihre eigene Limonadenquelle auszudörren.

Wer hat Angst vorm Sheriff?

Doch eine Person hat offenbar doch etwas gegen das Neuköllner Späti-Idyll zwischen Kottbusser Damm und Maybachufer einzuwenden. Er ist der Schatten, der die Nacht verklagt. Der Sheriff von Neukölln ist ein furchtloser Polizeibeamter, der es sich offenbar zu Lebensaufgabe gemacht hat, einen Kiez an den Rande der Versorgungssicherheit zu klagen. Der Polizeiabschnitt 54, das ist sein Revier. An drei von vier Sonntagen im Monat taucht er auf, wird laut, schreit und zeigt an. Die Bußgelder können zwischen 300 und 1200 Euro liegen. Die Hinweise der Betreiber, dass Sonntage am lukrativsten sind und sie die 24/7-Öffnungszeiten benötigen, um überhaupt bestehen zu können, interessieren den Sheriff nicht. Warum auch? Ein Spätkaufbesitzer erzählt, er habe zum Gesetzeshüter gesagt: „Du machst uns allen hier Angst“. Der habe erwidert: „Das ist auch richtig so. Schließlich bin ich bei der Polizei“.

Spaeti_zu_3

Veim Heimwerkerbedarf bis zur internationalen Presse: Spätis versorgen Neukölln mit allem, was es braucht.

Am siebten Tag ruhte Gott, aber muss das der Mann und die Frau im Presseshop auch? Das Argument pro Ladenschluss: Der gesetzlich verordnete Ruhetag wirkt der Ausbeutung der Arbeitnehmer entgegen. Ein Späti-Mitarbeiter entgegnet, dass die meisten Spätis Familienbetriebe sind, in denen jeder mal aushilft. Er kenne niemanden, der mehr als 40 Stunden in der Woche arbeiten müsse.

Verklage deinen Späti – DIY!

Wenn du dich dazu berufen fühlst, kannst du dich vor deinem Nachbarspäti auf die Lauer legen. Überprüfe die Öffnungszeiten, fotografiere die Waren, rufe das Ordnungsamt an und jage dem Besitzer eine deftige Klage an den Hals. Gesetz ist Gesetz. Was jedoch mit einem Gesetz passiert, an dem keiner Interesse hat, kann man nicht nur in Neukölln, sondern auch in vielen weiteren Berliner Bezirken beobachten: Nicht viel.

Der Gewinner der Geschichte – der Sheriff von Neukölln, der sich seinen Kiez macht, wie er ihn mag. Viele Spätibetreiber sorgen sich darum, wie lange sie ihr Geschäft noch aufrechterhalten können. Gesetz ist Gesetz. Uns bleibt nur ein Appell:

Lieber Sheriff vom Polizeiabschnitt 54,

wäre es nicht schöner, sich ein Eis zu kaufen und die laue Sommernacht am Maybachufer zu genießen? Vielleicht triffst du dort auf einen vertriebenen Dealer aus dem Görli. Ihr tauscht euch über unsinnige Kontrollen aus und lacht über die Welt.

Hinweis der Redaktion: Dieser Beitrag wurde am 16.4. nachträglich editiert.

Au ja, ich spende via: PayPal | Überweisung | Bankeinzug | Flattr

 

Kommentare:

  • Kuffi sagt:

    Ich verstehe die Aufregung nicht:
    Hier beschwert man sich über das Gesetz zum Thema „Ladenöffnungszeiten“. Dieses Gesetz wurde von den Volksvertretern irgendwann mal beschlossen. Die Polizei hat nun auch von den Volksvertretern die Aufgabe bekommen, dass diese Gesetze auch ihre Wirkungen entfalten können.
    Der Staat bezahlt die Polizei doch genau dafür, warum soll jetzt der Polizist seine Aufgabe nicht nachkommen, weil einzelne Bürger dieses Gesetz für unsinnig erachten. Ich würde nicht der Polizei einen Vorwurf machen, sondern dem Ordnungsamt, weil diese dafür originär zuständig sind.
    – Warum macht das Ordnungsamt nicht seine Arbeit? Zu wenig Personal?
    – Warum stattet der Senat die Bezirke nicht mit entsprechend Personal aus?
    – Unsinniges Gesetz? Warum findet man keine parlamentarische Mehrheit, um dieses Gesetz zu ändern?

    Den „schwarzen Peter“ der Polizei zu zuschieben ist zwar in Berlin in Mode, aber inhaltlich falsch!

  • Gunter Haedke sagt:

    Gut recherchiert und den Nagel auf den Kopf getroffen!