„Zum Jammern fehlt uns die Zeit“

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Foto: Anne Stephanie Wildermann

Waffen gegen Fremdenfeindlichkeit sind: Aufklärung und Transparenz. Doch nicht immer wird darauf zurückgegriffen – wie der Bau zwei neuer Flüchtlingswohnheime zeigt. In einem Fall geht derzeit einiges schief. (mehr …)

Montag, 26. Januar 2015

Benni (29), ist ein Anwohner des leer stehenden, brachliegenden Sportplatzes an der Karl-Marx-Straße Ecke Grenzallee. Der Bau eines Flüchtlingswohnheims direkt in seiner Nachbarschaft konfrontierte den Sporttherapeuten mit seinen eigenen Vorurteilen und Ängsten. „Oh je, jetzt hab ich Bettler und potenzielle Kriminalität direkt in der Nachbarschaft“, solche Gedanken kamen ihm. Dazu kam die Befürchtung, Kundeneinschnitte in seiner Praxis und dadurch Einbußen zu erwarten. Die Sorgen Bennis – egal ob berechtigt oder nicht – werden von vielen Anwohnern geteilt. Neue Flüchtlingswohnheime werden gebaut und allzu häufig mangelt es an der Kommunikation zwischen Stadt und Bürger. Wozu unbeantwortete Ängste der Anwohner führen können, lässt sich derzeit in Marzahn, Buch und Falkensee erleben. So mahnte der Neuköllner Bezirksstadtrat für Soziales, Bernd Szczepanski (Bündnis 90/Die Grünen), in einem Interview mit neukoellner.net vom 18.12.2014 an, wie wichtig es sei „möglichst früh eine Mobilisierung aller relevanten Gruppen in der Nachbarschaft zu vollziehen.“ So könnten Fremdenfeindlichkeit und Protestbewegungen verhindert werden.

Der Wohnheimbau als Chance

„Die frühe Mobilisierung aller relevanten Gruppen“ – genau dies ist das Ziel der Initiative „Neuköllner Bündnis“. Von Wirtschafts- und Kirchenverbänden bis zur Antifa und den Bezirksparteien arbeiten hier verschiedene Gruppen vereint, um „Respekt und Vielfalt“ in Neukölln zu erhalten. So erreichte auch Benni ein Flyer des Aktionsbündnisses gegen Rechts und brachte ihn zum Nachdenken.

Benni informierte sich, redete mit anderen, las den Flyer und stellte fest: „Die Flüchtlinge sind Menschen, die auf Unterstützung und Perspektive angewiesen sind. Ihnen mit Vorurteilen zu begegnen, verändert nichts. Die Situation gibt mir die Möglichkeit, nicht nur von menschlichen Werten und Offenheit zu reden, sondern sie zu leben.“

Container statt Turnhallen

Vorurteile durch Aufklärung bekämpfen, das sei das Hauptwerkzeug im Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, sagt auch Irmgard Wurdack, Pressesprecherin des „Bündnis Neukölln“. So würde man im nächsten Arbeitsschritt, die Nachbarn des Flüchtlingswohnheims in der Karl-Marx-Straße, zu einer Anwohnerversammlung einladen, um ihnen und ihren Sorgen durch Informationen und offene Gespräche entgegenzukommen.

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Flyer des „Bündnis Neukölln“, Foto: Torben Lehning

Doch bestimmte Vorgehensweisen erschweren dies. Am 6. Januar 2015 erreichte die Bezirke eine Aufforderung des Berliner Landesamts für Gesundheit und Soziales (LaGeSo), Turnhallen zu benennen, in denen Erstaufnahme-Wohnheime für Flüchtlinge errichtet werden könnten. „Der Neuköllner Bezirk hat sich, so gut wie es möglich war, dagegen gewehrt und mit den noch stehenden Containern der Hermann-Sander-Schule im Mariendorfer Weg, eine bessere Alternative gefunden“, berichtet Bernd Szczepanski. Ende des Monats sollen die, Aufgrund eines Schulumzugs, noch bereitstehenden Container von Flüchtlingen bewohnt werden. „Der Bezirk hat nun dem LaGeSo die Container übergeben. Letztere suchen nun nach einem Träger“, erklärt der Bezirksstadtrat.

Bezirk und Anwohner überrumpelt

Irmgard Wurdack sieht extremen Handlungsbedarf, denn „zum Jammern fehlt uns jetzt die Zeit. Ich betrachte das unangekündigte und kurzfristig beschlossene Flüchtlingsheim als Herausforderung.“ Es gälte so schnell wie möglich den rund 100 Flüchtlingen, deren Einzug kurz bevor steht, entgegenzukommen. Viele Nachbarn müssten kurzfristig informiert und viele Einrichtungsgegenstände und Kleider organisiert werden.

Es bleibt abzuwarten, inwiefern die vom LaGeSo in einem intransparenten Verfahren beschlossene und im Eiltempo durchgeführte Errichtung eines Erstaufnahmeauflagers zu Protesten in der Nachbarschaft führen wird. Eines steht jedoch fest: Die Vorgehensweise des Landesamts widerspricht allen Erfahrungen, die man in der Vergangenheit bezüglich der Errichtung von Flüchtlingswohnheimen gemacht hat. Anstatt die Nachbarschaft ins Boot zu holen und in die Planung des Wohnheimes mit einzubeziehen, überrumpelte man sowohl den Bezirk als auch die Anwohner.

Ganz anders das Flüchtlingsheim in der Karl-Marx-Straße. Das sei weit über die Mindeststandards hinaus ausgestattet, so Bernd Szczepanski. Die Kommunikation mit den Anwohnern lief sehr frühzeitig an. „Noch nie erreichten uns so viele Unterstützungsanfragen“, so Irmgard Wurdack.

Mangel an Planung und Kommunikation

Das LaGeSo Berlin scheint die Meinung zu vertreten, Willkommenskultur beginne erst beim Einzug der Flüchtlinge ins Wohnheim. Was fehlt, ist eine Debatte über die Dringlichkeit längerfristiger Planungen und festgelegter Kommunikationsstrategien zwischen Politikern und Anwohnern. Und längerfristige Planungen sind notwendig – wie sich derzeit am Mariendorfer Weg zeigt: Selbst ein gut geplantes, gut kommuniziertes Container-Flüchtlingswohnheim, ist immer noch ein Container-Flüchtlingswohnheim und verhindert eine Integration der Flüchtlinge in den Stadtbezirk. Doch da das Heim Ende Januar bezogen wird, bleibt dem Bezirk keine Möglichkeit, eine bessere Behausung zu finden.

Noch ein langer Weg

„Kürzungen im sozialen Wohnungsbau haben die momentane Situation herbeigeführt. Wir versuchen dem mittlerweile entgegenzusteuern, doch haben noch einen langen Weg vor uns“, erläutert Bernd Szczepanski die Raumknappheit. Ein Weg den viele Neuköllnerinnen und Neuköllner bereit sind zu gehen. So sagt auch Max (34), ein Anwohner des geplanten Flüchtlingsheims, in der Karl-Marx-Straße: „In Wahrheit muss man sich schämen, dass ein so großes und wohlhabendes Land so wenig Flüchtlinge aufnimmt. Ich selber bin mit jemandem, der aus Syrien geflüchtet ist, befreundet und habe selber zwei Jahre direkt neben einem Flüchtlingsheim in Bremen gewohnt. Die Angst, die geschürt wird, ist totaler Quatsch.“

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