U-Bahn Antigone

PAS-25: Der öffentliche Raum als Theaterbühne: Sophokles‘ „Antigone“ aufgeführt von einem jungen Schauspieler-Kollektiv am U-Bahnhof Neukölln. So mancher Voyeur bleibt da ratlos zurück.

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Donnerstag, 31. Mai 2012

Gezwitscher hallt über die Plattform. Eine Gruppe von sieben jungen Frauen macht grazile Dehnübungen. Daneben stehen zwei Männer vom BVG-Sicherheitsdienst und begutachten ein ausgehändigtes Papier. Der eine fragt kopfschüttelnd: „Was machen sie jetzt genau hier?“ Eine U-Bahn fährt ein und plötzlich wird der Bahnhof bevölkert, viele Passanten bleiben stehen und beobachten die Gruppe, welche sich, die Körperteile weiter dehnend, ihren hochtönigen Sprechübungen widmet. Es ist das Vorspiel zur „U-Bahn Antigone“ des Theaterkollektivs „Das Ist Doch Keine Art!“ am U-Bahnhof Neukölln.

Ein Brechen mit den Regeln des öffentlichen Raumes

Die Idee zur Performance des Stückes vom griechischen Dichter Sophokles hatte die israelische Regisseurin Yael Sherill. Sie will den öffentlichen Raum als Plattform nutzen. Die Schauspieler tragen bewusst keine Kostüme, da sie mit den Fahrgästen verschmelzen sollen. In der Antigone stehe schließlich die Auflehnung gegen die Regeln durch die Stieftochter des Königs Kreon im Zentrum der Handlung. Und auch die Gruppe will mit den Regeln brechen. Mit denen des Theaters und vor allem mit den sozialen Regeln des öffentlichen Raumes, eine solche Darbietung auf das bunt gemischte Neuköllner Publikum loszulassen.

Und dann geht es los: Einige Schauspielerinnen haben sich Kopfhörer aufgesetzt. Stimmengewirr. Der Chor spricht die ersten Verse in Englisch. Weitere Passanten bleiben stehen, einige Schauspielerinnen räkeln sich an den gelben Stahlträgern. Zwei halbstarke Jungs machen sich einen Scherz und postieren sich in der Mitte der Gruppe. Der eine kommt gerade vom Fußball, trägt Schienbeinschoner und lacht über die Vorstellung der sieben jungen Frauen. Bahnsteigvoyeure bekommen Zettel in die Hand gedrückt – Erklärungen, um was es sich bei vorliegender Aktion handelt. Einige bleiben stehen. Manche rümpfen mit der Nase. Viele holen ihre Smartphones heraus und filmen die Szenerie, die ihnen wie ein Flashmob vorkommen muss.

Sprachenchaos im U-Bahn-Waggon

Das Stück erreicht den nächsten Akt. Die Sprache wechselt von Englisch auf Deutsch und wieder zurück. Es verwirrt etwas, den Dialogen kann man nur schwer folgen. Die Darstellerinnen stellen sich mit großer Geste am Bahnsteig auf und steigen in die nächste U-Bahn. Der Zuschauertross folgt. In den Waggons erleben wir weiterhin ein Sprachenchaos, jede Rolle trägt in einer anderen Sprache einen Text über das Berliner U-Bahn Netz vor. Viele der zwangsläufig hinzu gekommenen Fahrgäste interessiert die Aufführung kaum. Für sie ist es offenbar nur eine weitere Freakshow in der U-Bahn.

Am Hermannplatz singt die Performance wieder im Chor. Die Choreographie ist fließend, die Darstellerinnen kommen auf den Stufen zum Stehen, die Besuchergruppe wächst, und man hat den Eindruck, dass das Stück etwas klarer wird in seiner Struktur, ehe es für alle Beteiligten wieder zurück in den U-Bahn-Waggon geht. Bis zur Grenzallee erlebt man wiederum den Chor gepaart mit Händeschütteln und Umarmungen. Die Struktur ist diffus geworden, irgendwo zwischen Rathaus Neukölln und Karl-Marx-Straße.

„Die sind ja auf Drogen“

An der Grenzallee tritt der Tross wiederum auf die Plattform und das Stück kommt zum Ende, mit einem Dialog zwischen Antigone und ihrer Schwester Ismene, die sich darüber streiten, ob man sich den Regeln des Vaters unterwerfen solle. Die Interaktion zwischen den beiden Hauptrollen nimmt an Fahrt auf. Endlich verschwindet die bisher vorherrschende Oberflächlichkeit der Darsteller. Derweil steigen zwei Mitzwanziger aus der U-Bahn, die sofort mit der Vorstellung konfrontiert werden. „Ey sag mal, was is’n das?“, fragt der eine seinen Kumpel und meint noch: „Die sind ja auf Drogen.“ „Alles Junkies, muss ja“, entgegnet der Kumpel. Das Stück kommt zum Ende. Von den etwa 30 Zuschauern gibt es Applaus und ein paar Euro.

Regisseurin Yaell Sherill lächelt. Sie sei zufrieden mit der Aufführung: „Obwohl wir etwas zu lange gebraucht haben.“ Nett und zuvorkommend gibt sie Auskunft und findet, dass die Resonanz der Passanten doch zumeist positiv gewesen sei. Bis auf ein paar kleinere Ausnahmen. Ob sie aber wirklich weiß, in welchem sozialen Raum sie sich gerade mit ihrem Stück bewegt hat, das bleibt ihr Geheimnis. Vielleicht ist die U-Bahn-Antigone nichts für jedermann, interessant ist sie aber allemal.

PAS-25: U-Bahnhof Neukölln, Fr + Sa 20 Uhr