Text und Interview: Franziska Grammes und Regina Lechner, Fotos: Anna Blattner
Lee Tom öffnet die Tür im Jogginganzug und wirkt erst einmal unscheinbar. Sie bittet in einen kahlen Raum ihrer kleinen Zweizimmerwohnung in einem Neuköllner Hinterhaus: Eine Wand besteht komplett aus einem Spiegel, in der Mitte reichen zwei Stangen vom Parkett bis zur Decke. Die 24-Jährige entledigt sich ihres Hoodies, sucht in ihrem Laptop nach der richtigen Playlist und fragt nach unserer Tanzerfahrung. Wir tanzen gerne, doch die Standards haben wir nicht unbedingt gelernt. Also legen wir zunächst mit dem Warm-Up los. Hüftenkreisen, Push-Ups, Squats – es zieht schnell in den Oberschenkeln und den Bauchmuskeln. Dass die gerade noch so unauffällige Israelin ihren durchtrainierten Körper bis in die Fingerspitzen unter Kontrolle hat, ist jeder ihrer Bewegungen anzusehen.
Kein Wunder, denn beim Pole Dance, einer Mischung aus Tanz und Akrobatik an der Stange, wird durch die ständige Spannung der ganze Körper trainiert. Lee führt eindrucksvoll vor, wie anmutig es wirken kann, wenn der laszive Tanz unter besagter Körperspannung ausgeführt wird. Wir zeigen ebenso eindrucksvoll, wie ungelenk Bewegungen aussehen, wenn die Körperspannung nicht gehalten wird. Hinter dem, was bei Tänzerinnen so lässig aussieht, steckt jahrelanges Training.
Für Selbstzweifel ist während dieser schnellen und schweißtreibenden Stunde allerdings keine Zeit. Lee hat eine Choreografie im Kopf, die bis zum Ende der Stunde sitzen soll. Dass in ihren Unterricht auch Elemente aus Ballett und Modern Dance einfließen, merkt man an ihren Anweisungen: „Plié!“ ruft sie immer wieder – in die Knie gehen, und zwar schön langsam. „Beine strecken!“, „Take some Schwung!“, lauten die zackigen Hinweise in einer Mischung aus Deutsch und Englisch. Wir balancieren auf den Fußballen um die Stange, wie auf waghalsigen Highheels. Das macht lange Beine, ist aber auch wahnsinnig anstrengend. Immer wieder fragen wir sie nach einzelnen Elementen der Choreografie, die sie geduldig erklärt und wiederholt. Am Ende haben wir nicht nur die Reihenfolge verinnerlicht. Wir verlassen Lees Wohnung auch mit mehr Hüftschwung und Körperbewusstsein.
Mit jahrelanger, täglicher Übung kann der Tanz an der Stange aussehen wie bei Lee:
Zum Abschluss der Stunde hat uns Lee einige Fragen zum Pole Dance beantwortet:
neukoellner.net: Lee, wie bist du zum Pole Dance gekommen?
Lee Tom: Ich habe in Israel eine Tanzausbildung gemacht, von klassischem Ballett bis Modern Dance war alles dabei. Etwa vor drei bis vier Jahren habe ich mit Pole Dance begonnen. Ich mag Pole Dance als Krafttraining und als Herausforderung für mich selbst. Als ich nach Berlin gezogen bin, hatte ich zunächst einen Bürojob. Das fand ich allerdings viel anstrengender als das Tanzen. Ich muss mich einfach bewegen.
Wer kommt zu dir zum Pole Dance-Unterricht? Gibt es da eine bestimmte Zielgruppe?
Ich unterrichte hier eher Anfänger. Erst geht den meisten eher darum, Spaß zu haben, sich selbst auszudrücken und dabei in Form zu kommen. Dann beginnt man aber, sich Ziele zu setzen und übt eine bestimmte Figur oder Drehung immer und immer wieder, bis sie endlich gelingt. Und dann ist es einfach ein tolles Gefühl!
Gibt es verschiedene Richtungen beim Pole Dance?
Das hängt ganz vom Hintergrund des Tänzers ab: Im Grunde kann man Elemente aus allen Tanzstilen integrieren, etwa Ballett oder Salsa, oder auch Elemente aus der rhythmischen Sportgymnastik oder aus der Artistik. Ich persönlich mag gerne einen exotischen Stil, setze gerne meinen Po ein und mache viele “Bodywaves”, wobei man den ganzen Körper wie eine Welle bewegt.
Pole Dance wird natürlich oft mit Strip-Clubs in Verbindung gebracht. Kommen denn auch professionelle Tänzerinnen zu dir zum Training?
Nein, und ehrlich gesagt sieht man diesen Clubs selten Frauen, die wirklich gut tanzen können. Sie müssen das auch nicht. Eine richtige Tanzshow mit einer Choreografie und herausfordernden Elementen ist sehr anstrengend und man muss viel dafür trainieren.
Wie sehen deine weiteren Pläne mit Pole Dance Neukölln aus?
Im Moment unterrichte ich zusammen mit meiner Kollegin Mira bei mir Zuhause, aber wir wollen bald eine größere Schule eröffnen und haben auch schon neue Räume gefunden, die wir gerade renovieren. Allerdings nicht in Neukölln, sondern in Schöneberg. Die Eröffnung ist hoffentlich im Mai. In Israel habe ich sehr viel Zeit in einem Pole Dance Zentrum verbracht. Das war eine richtige Community und etwas ähnliches wollen wir hier auch aufbauen. Dort soll es offene Klassen geben, in denen Leute auf verschiedenen Levels trainieren können und sich auf diese Weise austauschen und motivieren.
Pole Dance Neukölln
Silbersteinstr. 114
Terminvereinbarung über die Website oder Facebook-Seite
Kommentare:
Pole Dance ist ein anspruchsvoller Sport. Es ist schön dass er durch solche Berichte aus der Schmuddelecke gezogen wird.
Danke für den tollen Artikel. Pole Dance wird leider immer noch als Striptease angesehen. Dabei ist dieser Sport soviel mehr! Es wird Zeit dies zu ändern 😉