Das Problem heißt Rassismus

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Nazis raus: Dem Aufmarsch einer Handvoll NPD-Sympathisanten vor dem Neuköllner Rathaus stellten sich im Februar 2014 300 Gegendemonstranten entgegen. (Foto: Felix Herzog)

Anlässlich der internationalen Wochen gegen Rassismus lädt das Bezirksamt für Soziales am heutigen Mittwoch gemeinsam mit der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus zu einer Diskussionsveranstaltung ins Neuköllner Rathaus. Thema: “Wer ist das Volk? Gemeinsam gegen Vorurteile und Menschenfeindlichkeit”.

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Mittwoch, 16. März 2016

Zu besprechen gibt es viel: Die Anzahl rechtsextremer Straftaten in der Hauptstadt ist in den letzten zwei Jahren stark angestiegen. Dazu herrscht ein Rechtsrutsch in der Gesellschaft, der sich bei den drei Landtagswahlen am vergangenen Wochenende nur all zu deutlich manifestierte.

Am 21. März 1966, vor 50 Jahren also, hielten die Vereinten Nationen erstmals den Internationalen Tag gegen Rassismus ab. Seitdem steht der Tag im Zeichen des Kampfes gegen Menschenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus. Doch selten war das Thema innerhalb der letzten Jahrzehnte so präsent in der Öffentlichkeit, wie es derzeit der Fall ist. Einer der oft genannten Gründe ist die “Flüchtlingskrise”. Sie politisiert und polarisiert die Gesellschaft – befördert Hilfeleistungen, Solidarität und ehrenamtliche Unterstützung auf der einen und Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt auf der anderen Seite.

„Augen nicht verschließen!“

“Man darf seine Augen nicht vor Rechtspopulismus und einer konstruierten Volksgemeinschaft verschließen”, sagt Bernd Szczepanski (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Neuköllns Bezirksstadtrat für Soziales und Initiator einer Veranstaltungsreihe gegen Rechts. Auch deshalb veranstaltet das Bezirksamt gemeinsam mit der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, kurz KIgA, eine Diskussionsrunde und hat Vertreter der Rechtsextremismusforschung von Bürgerinitiativen und Beratungsstellen eingeladen. Ziel ist es, sich gemeinsam in unterschiedliche Themen- und Diskussionsgruppen zu begeben und über Rassismus und Menschenfeindlichkeit auszutauschen.

Der multinationale Bezirk Neukölln “genießt” zwar den Ruf einer hohen Kriminalitätsrate, wurde aber bislang eher selten als ein Stadtteil mit einem Rassismusproblem wahrgenommen. Bundesweit für Schlagzeilen sorgte allerdings ein Vorfall im Sommer 2015: Ein in Neukölln gemeldeter Mann hatte in einer U-Bahn unter fremdenfeindlichen Parolen auf eine Frau und ihre zwei Kinder uriniert. Zwar lässt sich kein starker Anstieg von rechtsextremistisch motivierten Straftaten in der Neuköllner Kriminalstatistik nachweisen, wie der stellvertretende Pressesprecher der Berliner Polizei, Thomas Neuendorf, erklärt. Jedoch werden in der amtlichen Statistik natürlich nur jene Straftaten erfasst, die auch angezeigt werden.

Die große Dunkelziffer

In einer jüngst veröffentlichten Studie, kommen die Opferberatungsstelle Reach Out und die Berliner Register zu dem Ergebnis, dass die Anzahl rassistischer Straftaten in Berlin innerhalb der letzten beiden Jahre deutlich angestiegen ist. In Neukölln selbst bleibt die Zahl der Straftaten nahezu konstant und auf verlgeichsweise hohem Niveau. 133 fremdenfeindliche, rassistische oder antisemitische Straftaten zählte man im Bezirk. Zu diesen Taten kommt es meistens in der Öffentlichkeit, also an Bahnhöfen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Sabine Hammer von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin sagt: “Wir bekommen immer mehr Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern, die in ihrem direkten Umfeld mit rassistischen Ressentiments konfrontiert werden und uns deswegen kontaktieren.” Wie man mit rechter Hetze und rechtsmotivierten Straftaten, deren Zeuge man geworden ist, umgehen soll und welche Schritte jeder Mensch dagegen einleiten kann, darüber möchte Hammer auch im Rathaus sprechen. Und mit Sicherheit wird dann auch die AfD Thema sein.

Wer hat Angst vor der AfD?

Innerhalb von zwei Jahren hat sich die Alternative für Deutschland von einer völkisch geprägten Anti-Euro-Partei zu einer national-konservativen, rechtspopulistischen Partei entwickelt. Zwar unterscheidet sich der Duktus der unterschiedlichen AfD-Landesverbände, doch haben sie die Gemeinsamkeit, Ängste vor Überfremdung zu schüren, indem sie rassistische und fremdenfeindliche Hetze betreiben. Somit lässt sich zur Zeit nur schwer über Fremdenfeindlichkeit und Rassimus reden, ohne die Auswirkungen der politischen Linie der AfD mit einzubeziehen.

Am 18. September finden in Neukölln Bezirkswahlen statt. Hat eine rechtspopulistische Partei die Chance in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) einzuziehen? Bernd Sczcepanski ist sich da nicht so sicher. „Ja, die AfD wird auch in Neukölln Stimmen für sich gewinnen können. Doch es gab hier auch einmal eine stärkere NPD und die wurde zurückgedrängt.” Der Grund für diesen Kraftakt liegt wohl “in der starken Zivilgesellschaft Neuköllns”, erklärt Sabine Hammer. “Ob es nun die Hufeisensiedlung ist oder die Karl-Marx-Straße, in Neukölln gibt es viele, die sich gegen Rechts wehren”, ergänzt Szczepanski.

Begegnungen schaffen, Vorurteile abbauen

“Eine große Rolle für den Abbau von rassistischen und menschenfeindlichen Vorurteilen spielen Begegnungen”, sagt Lukas Schulte, Mitarbeiter des Bündnis Neukölln. “Unsere Organisation fördert Treffen, Kontaktaufnahmen und Patenschaften zwischen Neuköllnern und Geflüchteten. Begegnungen können Vorurteile abbauen – das ist unser Ziel.” Natürlich laufe auch bei Kontaktaufnahmen zwischen Geflüchteten und Sprachkurslehrern oder interessierten Paten durchaus mal etwas schief. “Daher ist es besonders wichtig, solche Treffen unter reflektierter Betreuung durchzuführen”, erklärt Schulte.

Für die Initiatoren soll die Diskussionsveranstaltung vor allem ein Forum des Austausches sein. “Wir wollen zeigen, dass die Politik klar Stellung bezieht und ein klares Statement des Rathauses setzen”, sagt Szczepanski. Das Thema Rassismus wird auch nach den internationalen Aktionswochen nicht aus der öffentlichen Debatte verschwinden.

Wer also erfahren will, wer das Volk ist und wie man gemeinsam gegen Vorurteile und Menschenfeindlichkeit vorgehen kann, ist herzlich dazu angehalten am Mittwoch um 18:30 Uhr in den BVV-Saal des Neuköllner Rathauses zu kommen und mit zu diskutieren.

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Kommentare:

  • Bla sagt:

    Reachout zählt Infostände von Parteien als rechtsextremistischen Vorfall und stellt das in der Öffentlichkeit auch noch als Anstieg von Gewalt dar.

    Diese Praxis diskreditiert Engagement gegen Extremismus und ist vollkommen ungeeignet, als Nachweis für ein Rassismusproblem herzuhalten.

    Wie wäre es denn, wenn ihr dazu einmal investigativ recherchiert? Oder dazu, dass Reachout keinerlei Interesse an Opfern anderer Extremisten hat?

    Davon abgesehen: Gut, dass viele Menschen in Neukölln sich den Extremisten entgegenstellen.

  • neukoellner.net sagt:

    Liebes Bla,
    vielen Dank für deine Nachricht. Über Verfehlungen von Hilfsorganisationen und Beratungsstellen kann man heute Abend mit den Menschen diskutieren, die sie leiten. Also nichts wie hin da.

    Liebe Grüße
    Torben

  • Gunter Haedke sagt:

    Gut recherchierter Artikel Zusammenschau wichtiger Informationen. Der Hoffnung des Stadtrates auf eine nur kleine AfD Wählerschaft kann ich leider nicht folgen. Neukölln besteht auch Britz, Buckow und Rudow, da ist’s nicht so bunt gemischt wie in Nord-Neukölln. Und selbst im vielfältig erscheinenden Rixdorf verbirgt sich manch eine Wählerstimme, die sich sonst nicht artikuliert. Dennoch: bleibt vielfältig, zeigt selbstbewußt eure Neukölln-Identität und denkt an buchstäblich alle (!) die hier leben.
    Gunter