Songschreiben, Rumalbern, Sex und Nichtstun. Stella und Leif leben in Berlin. Räumlich ein wenig anders als gewöhnliche junge Berliner, denn sie bewohnen eine selbstgebaute Kleingartenlaube. Wenn Stella und Leif im Studio des Heimathafen Neukölln ihren erfüllten Alltag vorspielen, verflüchtigen sich Leistungsgedanken. Denn dieses junge Liebespaar lebt beneidenswert leicht, ehrlich und unverstellt.
Stella (Katrin Hansmeier) trägt Blümchen-Overall und Gummistiefel, sonnt sich und putzt Fenster. Leif (Johann Jürgens) zupft in Weste und Unterhemd an seiner Gitarre und sucht nach der zweiten Zeile eines neuen Songs. Sie starten liebevoll Verfolgungsjagden und schlüpfen mit kindlicher Phantasie in bezaubernde Rollenspiele. Zwei mal zwei mal zwei Meter, ein drehbarer Kubus aus Sperrmüllaccessoires. Acht Kubikmeter privates Glück, das der Wirklichkeit so wundersam enthoben ist. Kein Sollen, kein Müssen. Ein Leben im Jetzt. Solange bis die Vergangenheit in den Kleingarten-Kokon einbricht.
Zwei zuviel
Erst taucht Stellas ältere Ossi-Schwester Maybritt (Barbara Wurster) auf, blondiert, charmant, ein wenig ordinär. Mit ostdeutschem Dialekt reicht sie selbstgebackenen Kuchen. Sie sucht nach einem Job und auch nach Liebe. Immer wieder kehrt sie ihre Verbitterung darüber heraus, dass „Vaddi“ sich zur DDR-Zeit mit der jüngeren Schwester in den Westen abgesetzt hat. Die Mutter und sie: zurückgelassen.
Dann stößt Leifs Bruder Ernst Theodor (Peter Becker) dazu. Hemd und Krawatte farblich abgestimmt in trendbewusstem Violett. Zehn Jahre lang haben sich die Brüder nicht gesehen. Nun kommt heraus, was Leif seiner Freundin verheimlicht hatte: Er stammt aus der westdeutschen Adelsfamilie „vorm Walde“. Weil er das noble Familienunternehmen nicht übernehmen wollte, ist er nach Berlin gegangen. Ernst Theodor leitet stolz die traditionsreiche Porzellanmanufaktur. Er witzelt süffisant über das Sperrmüll-Heim des kleinen Bruders und schenkt als Mitbringsel Crémant aus.
Heimat im Spiel
Stella und Leif definieren ihr Leben als phantasiereiches Spiel. Sie haben Zuflucht und Heimat darin gefunden. Die Geschwister sprengen das Idyll, sie nisten sich ein in der „Ewigen Heimat“ (eine gleichnamige Kleingartenanlage gibt es in Berlin-Rudow) und konfrontieren das Paar mit der verdrängten Familiengeschichte. Auch ihre eigenen Leichen kommen zum Vorschein: Maybritt findet seit Jahren weder Arbeit noch Anschluss, Ernst Theodor ist insolvent. Sie beanspruchen Teilhabe am Glück der Geschwister. So wird geschrien, gewütet und verwundet. Das Paradies ist verraten.
Drehkreuz Neukölln
Regisseurin Nicole Oder, Dramaturgin Elisabeth Tropper und deren Team haben mit „Endstation Ewige Heimat“ ein Kammerspiel entwickelt, das von Tennessee Williams „Endstation Sehnsucht“ inspiriert ist. Auch darin brechen Verwandtschaft, Vergangenheit und gegenläufige Lebensentwürfe in den Alltag eines jungen Liebespaars ein.
Die Bühne (Franziska Bornkamm) erinnert an Jan Pappelbaums architektonische Bühnenbilder. Für „Hedda Gabler“ an der Berliner Schaubühne hatte dieser eben so einen Wohnraum als Drehbühne entworfen. Nur, dass sich dort die Hedda auf einer Designer-Lounge-Couch platziert und die Bühne ferngesteuert von der Bühnentechnik bewegt wird. „Endstation Ewige Heimat“ zeigt die Neuköllner Version der Drehbühne, zusammengehämmert aus Flohmarkt-Fundstücken, von den Schauspielern selbst angeschoben. Die Laube ist Stellas und Leifs kleine rotierende Welt. Sie sorgen eigenhändig dafür, dass sie nicht still steht.
Lauben und Welt
„Endstation Ewige Heimat“ spielt heute, 50 Jahre nach dem Mauerbau. Die Figuren hadern mit Familienkonflikten und ihren Ost- und Westbiographien, amüsant, aber nicht durchgehend originell. Doch das Stück nähert sich klug und unaufdringlich einer fragwürdigen Eigenart unserer Zeit: dem Rückzug ins Private, ins Überschaubare, ins Ursprüngliche. Stella und Leif gehen symbolisch in die Gartenlaube. Andere lesen „Landlust“, kochen „Jamie Oliver“-Gerichte, diskutieren über die Entwicklung ihres Kiezes. Ist der Rückzug ins Private ein Raum für gelingende Zwischenmenschlichkeit? Oder ein Schonraum vor globalen Realitäten und gesellschaftlicher Verantwortung?
„Endstation Ewige Heimat“ fragt leise, ohne zu moralisieren. Und als zwischen Stella, Leif, Maybritt und Ernst Theodor die Fetzen fliegen, hat eine schließlich die rettende Idee: Kartenspielen als Ablenkung vom Eigentlichen, vielfach bewährt auf Familienfesten. Mau Mau in Frieden.
HEIMATHAFEN NEUKÖLLN im Saalbau Neukölln
Karl-Marx-Straße 141, Berlin-Neukölln
www.heimathafen-neukoelln.de
Weitere Aufführungstermine:
- Freitag, 26. August, 20:30 Uhr
- Sonntag, 28. August, 20:30 Uhr
- Mittwoch, 31. August, 20:30 Uhr
- Donnerstag, 01. September, 20:30 Uhr
- Freitag, 02. September, 20:30 Uhr
- Samstag, 03. September, 20:30 Uhr
- Mittwoch, 07. September, 20:30 Uhr
- Freitag, 09. September, 20:30 Uhr