Knautschköllner Rasenheide

Felicia Zeller liebt Neukölln. Trotz allem, denn: „Geld hat hier niemand“ und ständig weicht man „schnell fliegenden Spuckebatzen“ aus. So beschreibt es die Autorin in ihrem Buch „Einsam lehnen am Bekannten“, das derzeit als Bühnenadaption im Heimathafen Neukölln zu sehen ist. (mehr …)

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Dienstag, 28. Juni 2011

Noch gehört die gebürtige Stuttgarterin selbst zum kreativen Prekariat, das sich breit gemacht hat in Nord-Neukölln. Aber sie sitzt auf dem aufsteigenden Ast: Ihr Theaterstück „Gespräche mit Astronauten“ war jüngst für den hoch dotierten Mülheimer Dramatikerpreis nominiert sowie zu den Berliner Autorentheatertagen ins Deutsche Theater eingeladen. Beim Künstlergespräch feierte Zeller ihren Wahlheimatbezirk auf ihrem T-Shirt mit „I love NK“.

In dem Stück schikanieren überforderte Mütter ihre osteuropäischen Au-pair-Mädchen – und wenn die Chefinnen ihre Contenance verlieren, artet ihr Egoismus in Rassismus aus. Die jungen Frauen sind aus der „Mogelei“, der „Schlamparei“ oder aus „Stohlen“ zu Gast in „Knautschland“, heißt es im Zeller-Jargon. Sie haben ihre Träume mitgebracht, doch für die ist in den deutschen Familien kein Platz. Auch Felicia Zeller selbst versucht seit einigen Monaten Kind und Beruf zu vereinen. Gar nicht so einfach, doch ein Au-pair kommt nicht in Frage, für einen weiteren Mitmenschen ist ihr Zuhause zu klein.

Gestresst im Amt

Mit „Kaspar Häuser Meer“ gewann Felicia Zeller bereits 2008 in Mülheim den Publikumspreis und wurde auf zahlreichen Bühnen gespielt. In diesem Stück überschwemmen die Wortkaskaden dreier Sozialarbeiterinnen die Zuschauer mit Protokoll-Sprache und Rechtfertigungen der eigenen, kaum zu bewältigenden Arbeit im Jugendamt. Aus ihnen spricht die Angst vor dem nach einem Kollegen benannten „Björn-Out-Syndrom“ und die Not, ihre Klienten unfallfrei durch ihr verkorkstes Leben zu bringen. „Kaspar Häuser Meer“ ist ein überdrehtes und witziges Stück und bildet doch Wirklichkeit ab. Felicia Zeller dachte, sie hätte es „völlig überzeichnet. Aber dann sitzen die Leute da und sagen: Genauso ist es. Und dann ist es gut, weil ich es echter als echt gemacht habe.“

Von ihrem Realitätssinn zeugt auch die Episode am Rande einer Aufführung ihres Stücks „Club der Enttäuschten“ über Arbeitslose in einer Beschäftigungsmaßnahme vom Amt. Ein Zuschauer steckte einem der sechs Schauspieler, die er für echte Langzeitarbeitslose hielt, nach dem Stück einen Zehn-Euro-Schein zu: Sie sollten mal was trinken gehen. Dieser „verwinkelte Wahrnehmungsfehler“ amüsiert Felicia Zeller, und „dass es nur zehn Euro waren – für sechs Darsteller.“ Zellers Stücke handeln auch von Selbstverteidigung. „Schließlich versuchen die Sozialarbeiterinnen richtig gut dazustehen“, so die Autorin, „und das ist eigentlich das Interessanteste, wenn der Innendruck hoch ist.“ Aufgegeben haben ihre Protagonistinnen nicht. Sie hamsterradeln noch – in einem so rasanten Tempo, dass die Schauspieler beim Herunterrattern der Zellerschen Sprachakrobatik kaum zum Luftholen kommen.

Sex und Akrobatik

Inzwischen muss sich die junge Dramatikerin auch Kritik gefallen lassen. Bei „Gespräche mit Astronauten“ wurde ihr Zynismus und Arroganz in ihren Beschreibungen vorgeworfen. Im Moment hat sie sich ein Google-Verbot für ihren Namen verhängt, um sich vor allzu negativen Äußerungen zu schützen. „Ich wurde ja in letzter Zeit so verwöhnt mit Lobesgesang und jetzt wird halt auch ein bisschen auf mich eingedroschen. Das will man natürlich nicht, man will nur immer Lob haben.“ Solche Sätze beendet Felicia Zeller mit einem lachenden Grunzer. Sieht man sie „auf der Erfolgsspur“, kontert sie mit: „gewesen! Jetzt geht’s bergab“, und lacht erneut. Dennoch: Kritik nimmt sie ernst. Vielleicht habe sie bei den Recherchen zu „Gespräche mit Astronauten“ den neuralgischen Punkt nicht getroffen und sich zu sehr auf ihre Sprachexperimente verlassen.

Gemeinsam mit der Künstlerin Rigoletti, die sie beim Studium an der Ludwigsburger Filmakademie kennen lernte, dreht Felicia Zeller auch Kurzfilme und arbeitet an Multimedia-Projekten wie der virtuellen „Landessexklinik Baden-Württemberg“, eine Reaktion auf zuviel Sex im Netz. Dass in Zellers Theaterstücken vor allem Frauen vorkommen – in „Gespräche mit Astronauten“ schwebt der Ehemann fern der Erde als Raumfahrer durchs All – ist nicht Programm, sondern inhaltlich bedingt. Auffällig aber ist, dass die Autorin ihren Protagonisten eher Phänomene als einzelne Schicksale zugrunde legt. „Da kann es schon passieren, dass das Individuum auf der Strecke bleibt“, gibt Zeller zu. Kurz mogelt sich Nachdenklichkeit in ihre Mimik, bevor sie bekräftigt: „Aber das ist mir dann wirklich auch total wurst.“ Dafür wird der Typus, den die Figuren verkörpern, messerscharf skizziert.

Kleindealer in der „Rasenheide“

Bei ihren virtuosen Sprachspielereien verlässt sich Felicia Zeller auch auf Assoziationen, bei denen sich Worte und Gedanken verselbstständigen. Die Sätze nehmen auf diese Weise überraschende und groteske Wendungen, ohne dass der Text aus den Fugen gerät: „Scheißkunst, Scheißschriftstellerei, Scheißstatue, Scheißvielzuhohemiete!“, heißt es in „Einsam lehnen am Bekannten“. „Jetzt werde ich richtig laut, reiße an der Decke und boxe in das Denkmal mal rein, es hat die blöde Decke feig um sich gezogen und schützt sich gegen meine Tritte und Schläge, das ist kein fairer Kampf, Mensch gegen Stein.“ Diese Jonglagen haben ihr bereits Vergleiche mit der Sprachmacht Elfriede Jelineks eingebracht. Felicia Zeller achtet nicht nur auf den Inhalt von Sprache, Sinnstiftung ist auch eine Sache des Sounds. Bei Zeller selbst sind es ihr Lachen und die kleinen Grunzer, die Bedeutung variieren im Gespräch. Wirklichkeit wird darüber hinaus auf der Bühne anhand von Gesten dargestellt. Felicia Zeller freut sich über den Einfall der Regisseurin Regina Gyr, sich die Kleindealer in der „Rasenheide“ genannten Hasenheide in „Einsam lehnen…“ wie Murmeltiere bewegen zu lassen. Vielleicht schaffen es die Drogenhändler mal als Hauptfiguren in ein Zeller-Stück. Für den nötigen „Innendruck“ ist bei ihnen sicherlich gesorgt.

In geänderter Fassung erschienen im Tagesspiegel am 24. Juni 2011