Die Faszination des Knisterns

Vinylausstellung Museum NeuköllnWas macht Schallplatten so begehrt? Eine Ausstellung im Museum Neukölln widmet sich dem Tonträger als Alltagsgegenstand, dem ein besonderer Zauber innewohnt. (mehr …)

Dienstag, 4. November 2014

Man tritt in den alten Gutshof in Britz und steht mitten in einem altmodischen Wohnzimmer aus den Fünfziger Jahren. Zumindest wird es angedeutet: Ein plüschiges Sofa, eine geblümte Tapete und ein Plattenspieler geben einen Eindruck vom Umfeld, in dem man vor sechzig Jahren Musik hörte. An der Wand hängen ein paar Schwarz-Weiß-Fotos, die Teenager mit Plattenhüllen in den Händen zeigen. In der Nachkriegszeit kamen die meisten Deutschen erstmals mit Schallplatten in Berührung.

In den Zwanziger und Dreißiger Jahren gab es bereits Tonträger aus Schellack. Im Krieg musste der Kunststoff jedoch für andere Zwecke verwendet werden und so wurde in dieser Phase kaum noch Musik auf Platte gepresst. Doch als in der Zeit des Wirtschaftswunders der Rock’n’Roll nach Deutschland kam, wurde die Schallplatte zur Botschafterin des amerikanischen Lifestyles. Die Jugend erkannte: Der Tonträger ist viel mehr als schwarzes Plastik, das Musik abspielt – es ist das Tor zu einer anderen Welt.

Vinylausstellung Museum Neukölln

Die erste deutsche Jukebox stammt aus Neukölln

Was die Faszination rund um Schallplatten ausmacht, versucht die Ausstellung „Mythos Vinyl“ im Museum Neukölln erfahrbar zu machen. Man erfährt hier, dass die erste Jukebox Deutschlands ein Neuköllner Produkt ist – hergestellt von der Firma Wiegandt & Söhne. Von ihrem Modell „Tonmaster“ wurden zwischen 1956 und 60 rund 13.000 Stück gebaut. Eines davon steht nun im Museum Neukölln, zusammen mit einigen Musiktruhen und Plattenspielern. Doch „Mythos Vinyl“ ist keine technische Ausstellung, vielmehr geht es um die Darstellung einer Alltagskultur.

Zahlreiche Plattencover – von den Beatles bis Jimi Hendrix – zieren die Wände, außerdem wurden allerhand Memorabilia wie Konzertkarten oder speziell geformte Schallplatten von Musikliebhabern aus Neukölln zusammengetragen. In der Mitte des Raumes befindet sich eine kleine Tanzfläche mit großer Diskokugel. Und natürlich darf eine Person nicht fehlen: Jacky Spelter, der „Kaiser von Neukölln“ oder auch „Rummelplatz-Elvis“, wie ihn der Tagesspiegel in einem ausführlichen Nachruf zu seinem Tod 2004 nannte. Er war Bandleader von „Jacky and his Strangers“. Ein Teil seines Nachlasses ging an das Museum Neukölln: Eine Menge Fotos, ein schwarzer Jethelm – Spelter war passionierter Rollerfaher – sowie Autogrammkarten und natürlich das schwarze Hemd, das in glitzernden Buchstaben den Schriftzug der Musikgruppe trägt.

Die Ausstellung ist optisch gut aufbereitet, doch um wirklich ein Gespür für das Thema zu bekommen, sollte man sich unbedingt ein iPad am Empfang ausleihen. Das Museum ließ eine App anfertigen: 50 Neuköllner erzählen von ihrer Lieblingsplatte, außerdem gibt es endlich auch Musik zu hören. Es ist nämlich ansonsten eine sehr leise Ausstellung zu einem Gegenstand, der sich ja eigentlich ums Hören dreht. „Es ist ganz kratzig am Anfang“, sagt ein Vinylfan, „und wenn man das Stück auf CD hört ohne das Kratzen, ist die Musik ganz nackt.“ Und genau da liegt das Besondere des „Schwarzen Goldes“: Keine Platte ist wie die andere, die Zeit hinterlässt ihre Spuren und die Musik lässt sich sogar fühlen, wenn man über die Rillen fährt. Heute ist die Schallplatte wieder in Mode, was man auch an den zahlreichen Plattenläden erkennt, die es mittlerweile in Neukölln gibt. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass man sich in Zeiten von Downloadplattformen und Streamingdiensten wieder danach sehnt, ein Stück Musik in den Händen zu halten. Der neue Vinylboom wird in der Ausstellung nicht thematisiert. Das ist schade, denn auch dabei handelt es sich um ein Stück Neukölln.

Museum Neukölln
Alt-Britz 81
Di-So 10-18 Uhr
www.museum-neukoelln.de
„Mythos Vinyl“ geht bis 28.12.2014. Es gibt ein interessantes Rahmenprogramm und einen Blog zur Ausstellung. 

Mehr Plattencontent beim Neukoellner: hier entlang.

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