Text: Alena Hecker, Fotos: Jacqueline Schulz
Bärlauch im Stadtpark, Holunder am Straßenrand, Himbeeren auf der Verkehrsinsel. Den wenigsten Menschen ist wohl bewusst, dass sie nicht auf dem Land wohnen müssen, um hin und wieder ein paar wild wachsende Früchte naschen zu können. Ich habe vor ein paar Jahren von mundraub.org erfahren. Mir gefiel die Idee sofort, habe mich aber selbst seitdem nie auf die Suche nach Essbarem zum Ernten begeben. Dabei liegt das Gute so nah! Mit meiner Familie wohne ich nicht weit vom Volkspark Hasenheide entfernt. Dass der Park nicht nur mit Wiesen und Streichelzoo ausgestattet ist, sondern auch mit essbaren Beeren und Früchten, ist mir bei meinen bisherigen Besuchen noch nicht aufgefallen.
Ernte in der Hasenheide
Zeit also, das städtische Ernteparadies zu erobern! Zusammen mit meinen beiden Söhnen und einer befreundeten Familie mache ich mich auf die Suche. Den auf der Karte eingetragenen „Mirabellenbaum am Wegesrand“ finden wir sofort, meine Freunde Charlotte und Sebastian haben ihn selbst vor kurzem zufällig bei einem Spaziergang entdeckt. Leider hängen die Früchte hoch oben im Baum und wir haben keinerlei Erntehilfe zur Hand. Sebastians halbherziger Versuch, auf den Baum zu klettern, schlägt ebenfalls fehl. Also heben wir ein paar unversehrte Früchte vom Boden auf und probieren. Die Kinder finden’s aufregend und verlangen nach mehr.
Bruno, meinem Einjährigen, kann ich gerade noch rechtzeitig eine vergammelte Frucht entreißen, die er sich gerade in den Mund stecken will. Was mir beim Aufsammeln der Mirabellen ebenfalls durch den Kopf geht, ist die Tatsache, dass der Park als einer der Drogenumschlagsplätze Berlins gilt. Die Dealer verstecken ihre Ware in den Büschen und Sträuchern des Parks und warten auffällig unauffällig am Wegesrand auf Kundschaft. Was hat der Boden hier schon alles mitgemacht, von dem wir die Früchte auflesen? Immerhin: Die Gefahr, sich beim Naschen im Park mit einem Fuchsbandwurm zu infizieren, ist gering. 45 Menschen sind 2015 in Deutschland erkrankt, statistisch gesehen ist es wohl wahrscheinlicher, vom Blitz getroffen zu werden.
Viele unbekannte Obstsorten
An einer anderen Stelle in der Hasenheide sollen Zwetschgenbäume stehen. Der Fundort ist nur vage beschrieben, langsam fahren wir mit den Rädern den Parkweg ab. Keine Zwetschgenbäume zu sehen, stattdessen massenhaft Holunder und einige Beerensorten, die wir nicht zuordnen können. Die Kinder sind in Entdeckerlaune und würden am liebsten alles probieren. Ein Bestimmungsbuch wäre jetzt hilfreich. Mir wird bewusst, wie wenig Ahnung ich habe, was Pflanzen und Beeren angeht. Ein Blick in die Mundraub-Karte verstärkt das Gefühl. Kornelkirschen und Früchte des Speierlings soll man in der Nähe ernten können. Wir schauen uns an: Noch nie gehört!
Praktischerweise bietet mundraub.org zu den Früchten und Kräutern auch gleich kurze Erklärtexte. So erfahren wir, dass sich viele Beerensorten, die in rohem Zustand oftmals Giftstoffe enthalten, für Schnäpse oder Marmelade eignen. Sogar die Früchte der Eberesche, Vogelbeeren genannt, kann man dann bedenkenlos essen. Wir bleiben trotzdem erstmal bei den Dingen, die wir kennen – Sanddorn zum Beispiel. „An der Wiese“ soll es einen Strauch geben, schreibt Nutzer mischulja knapp. Keine besonders sinnvolle Beschreibung, denn die Wiese ist groß. Zwar bietet die Mundraub-Karte die Möglichkeit, ein Foto vom Fundort hochzuladen, doch kaum ein registrierter Mundräuber macht davon Gebrauch.
Neuer Fundort sorft für volle Backen
Die Kleinen fangen an zu quengeln, die Großen verlangen nach Keksen. Als wir unseren Blick über Gelände schweifen lassen, entdecken wir tatsächlich noch etwas, das wir ganz sicher kennen: Mitten auf der Wiese, verwoben mit anderen Sträuchern, steht ein Apfelbaum. Er trägt kleine Früchte, vielleicht noch nicht ganz reif, aber was soll’s. Alle kauen mit vollen Backen und genießen das Erfolgserlebnis. Dass der Baum gar nicht auf der Mundraub-Karte eingetragen war – geschenkt! Gleich morgen registriere ich mich als Mundräuberin und stelle den Fundort ins Netz.