Text: Irina Marjell, Collage: Katrin Friedmann
Frau Thoben
Meine Oma ist sehr sparsam. Werbeprospekte studiert sie mit größter Sorgfalt, oder lässt sie studieren. Dabei ist sie erstaunlicherweise recht markenbewusst. So wird eine Markenmargarine, sobald sie für ein paar Cents weniger im Angebot ist, sofort auf Vorrat gekauft. Ob und wie man 3 kg Margarine verbrauchen wird, ist da erstmal zweitrangig.
Oft kommt es beim Einkauf auch zu Missverständnissen, deren Ursprung ich manchmal erst viel später begreife. Wer bei meiner Oma seinen Besuch ankündigt, bekommt gelegentlich den Auftrag, vorher in einem bestimmten Geschäft das Angebot für sie zu prüfen. So geschehen beim Bäcker Thoben’s in der Karl-Marx-Straße. Dort sollte herausgefunden werden, ob sie dies oder jenes gerade zu diesem oder jenem Preis im Angebot hat. Erst viel später begriff ich, dass „sie“ selbst verständlich Frau Thoben war. Wer auch sonst?
Viel zu oft lasse ich mich dazu hinreißen meiner Oma die heutige Welt zu erklären und diese für sie unnötig zu verkomplizieren. Wieso kann ich meiner Oma nicht die Illusion der tüchtigen Bäckersfrau Frau Thoben bewahren?
In diesem Moment war ich einfach der Meinung, dass man durchaus auch eine über 90-Jährige darüber aufklären darf, wie es heute in der Welt zugeht. Und so habe ich ihr erklärt, dass Thoben eine große Kette mit 32 Filialen und 225 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Berlin ist. Dass es eben recht unwahrscheinlich ist, dass die freundliche Verkäuferin in der Karl-Marx-Straße Frau Thoben heißt.
Ehrlich gesagt, ich glaube, sie hat mir nicht mal zugehört.
Zum Geburtstag
Zum Geburtstag erhält meine Oma jedes Jahr wunderbare Glückwunschkarten. Aber nicht wie unsereins von Tante Erika oder Onkel Rolf, sondern vom Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky höchstpersönlich. Ab ihrem 90. Geburtstag wollte man meine Oma dann regelmäßig zum Wiegenfest besuchen kommen, um ihr einen Blumenstrauß zu überreichen. Meine Oma lehnte ein solches Vorhaben Jahr für Jahr kategorisch ab. Mit diesen Leuten habe sie schließlich nichts am Hut.
Wo es nun auf ihren 95. Geburtstag zugeht, sprach sie verwunderlicherweise neulich davon, dass sie gegen einen Besuch diesmal nichts einzuwenden hätte. Allerdings war an ihren plötzlichen Sinneswandel eine Bedingung geknüpft. Meine Oma wollte keinen Blumenstrauß, meine Oma wollte einen Kaktus zum Ehrentag. Natürlich nicht irgendeinen. Als Kakteenliebhaberin, wie sie sich selbst gerne bezeichnet, würde sie sich natürlich nicht mit jeder x-beliebigen Sukkulente abspeisen lassen. Zu leicht wollte sie es dem Glückwunsch-Komitee natürlich auch nicht machen.
Zu ihrem letzten Geburtstag hatte man meiner Oma mit der Glückwunschkarte auch ein Heft mit Angeboten für Senioren im Bezirk mitgeschickt. Da sie selbst nicht mehr besonders gut sehen kann, begann ich ihr vorzulesen: Ausflüge, Kaffeekränzchen, Bastelkreise… Ich kam nicht besonders weit, denn meine Oma forderte mich unsanft dazu auf, die Hefte, gemeinsam mit den Buschkowsky’schen Glückwünschen, in den Papierkorb zu werfen.
Auch die Kirche schreibt meiner Oma jedes Jahr eine schöne Karte und legt dieser einen noch schöneren Überweisungsträger bei. Darüber müssen wir alle immer herzlich lachen. Besonders meine Oma.