Inklusion geht am besten ohne Extrawurst

Lavaliero Mann ist künstlerischer Leiter des SchwuZ Berlin. (Foto: Nadine Seidler / Golden Box)

Randgruppen sind für die großen Parteien oft uninteressant, weil sie keine Wählermassen mobilisieren. So finden die Belange der LGBTQI Community selten Eingang in die Parteiprogramme. Dabei könnte die Politik gerade für diese Gruppe einiges tun. Ein Gespräch mit Lavaliero Mann, dem künstlerischen Leiter des SchwulenZentrum (SchwuZ) Berlin in der Neuköllner Rollbergstraße.
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Dienstag, 22. August 2017

Interview: Anne Höhn

neukoellner.net: Noch knapp sechs Wochen bis zur Bundestagswahl. Gibt es eine Partei, von der du dich repräsentiert fühlst?
Lavaliero Mann: (lacht) Also keine, bei der ich sagen würde: That´s it! Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass sogenannte Minderheiten nicht Hauptrolle in solchen Programmen spielen, denn die Haupt-Wähler*innenstimmen kommen ja auch woanders her. Außerdem führen die Parteien in Deutschland tendenziell Sonderregelungen für Minderheiten ein, anstatt eine Gesetzgebung zu schaffen, die alle mit einschließt und von der letztendlich auch alle profitieren können.

Welche zum Beispiel?
Ich nehme mal als Beispiel Intergeschlechtlichkeit. Intergeschlechtliche Menschen wurden Jahrzehnte lang erforscht und pathologisiert. Noch immer werden sie nach der Geburt operiert, auch wenn es medizinisch gesehen nicht notwendig ist. Ziel ist hierbei nach wie vor eine geschlechtliche Eindeutigkeit herzustellen, die es so gar nicht gibt und deswegen absolut nicht nötig ist. Und das in einer Phase, in der sie das nicht selbst bestimmen können, ob sie das wollen. Man könnte doch einfach verbieten, dass Genital angleichende Maßnahmen durchgeführt werden, außer, wenn sie lebensnotwendig sind, ohne, dass die betreffende Person das selbst bestimmen kann. Das ist absolut übergriffig.

Kennst du intergeschlechtliche Bürger*innen, die heute darunter leiden, dass sie nach ihrer Geburt gegen ihren Willen operiert wurden?
Klar. Die sagen „Ich wünschte, das wäre nicht gemacht worden, weil so fühle ich mich, als hätte mir jemand etwas weggenommen. Meine Entscheidungsfreiheit in erster Linie und auch meine Körperlichkeit.“ Dafür kämpfen Verbände von und für die Belange von intergeschlechtlichen Menschen schon seit Jahrzehnten. Dadurch, dass das immer in einem medizinischen Diskurs verhandelt wird, erscheint es nicht so krass. Aber wenn man mal objektiv darüber nachdenkt, was für ein Horror das ist, wenn jemand einfach ohne Einwilligung deinen Körper verändert, dann wird sofort deutlich, was das für ein krasser Ein- und Übergriff ist. Und wenn die Medizin sich das Recht nimmt das zu tun, dann muss man das einfach verbieten. Da helfen nur ganz klare Gesetzesvorlagen.

Vor dem Grundgesetz sind nicht alle gleich

Verständlich, aber hat eine trans- oder inter*geschlechtliche Person nicht auch andere Ansprüche als der Hetero-Durchschnitt?
Ok, jetzt muss ich nochmal anders ausholen. Die Probleme und Diskriminierungen die ich zum Beispiel als Trans*person erfahre, sind Ergebnis eines sehr einschränkenden 2-Geschlechtersytems, dass genauso zu Sexismus, Homo-, Bi- und Transfeindlichkeit führt, also unter dem sehr viele Leute Ungleichbehandlungen und Diskriminierungen erfahren. Wir brauchen also grundsätzlich gesellschaftlich ein realitätsabbildendes Verständnis, dass anerkennt, dass es viele verschiedene Geschlechter und Ausdrucksweisen davon gibt, und dass diese okay und vor allem gleichwertig sind. Niemand darf aufgrund dieses repressiven Systems das Recht auf körperliche und psychische Unversehrtheit abgesprochen werden. Man müsste das Grundgesetz dann so verändern, dass zum einen alle Rechte gewährleistet werden, aber dabei dann nicht gleichzeitig immer eine Extrawurst gemacht wird, die anzeigt: Du bist zwar gleich, aber nicht so ganz, du läufst unter einem anderen Paragrafen.

Und wie sähe das dann aus?
Ich müsste mich nicht mehr vor dem Staat via einer Sonderregelung wie sie momentan im Transsexuellengesetz (TSG) gegeben ist, beweisen bzw. meine Trans*identität legitimieren lassen. Ich könnte durch einen einfachen und unbürokratischen Akt schlicht meinen Vornamen ändern lassen – das ist übrigens in vielen anderen Ländern bereits Standard. Denn wer ich bin, weiß am besten ich selbst. Da würde ja wohl niemand widersprechen.

Das SchwuZ ist ein Ort der Freude, Feierei und Freiheit. Aber auch der politischen Diskurse. Wie wirkt sich die Landespolitik auf das SchwuZ aus?
Wir hatten natürlich auch im SchwuZ auf einmal viele geflüchtete Gäste, das war echt was Neues und war und ist ein langer Prozess der Integration auf allen Seiten. Wir sind aber ganz proaktiv damit umgegangen und haben ganz klar gesagt, natürlich gehören queere Geflüchtete zum SchwuZ, auch wenn das am Anfang viel Sensibilisierungsarbeit in die Berliner LGBTQI-Szene hinein war. Die Leute sprechen teilweise kein Deutsch und kein Englisch und die Feierkultur ist teilweise eine andere, die anders aussieht.

Wie sieht sie denn aus?
Es gibt zum Beispiel einen bestimmten Ausdruck der Freude, der hört sich ein bisschen ähnlich an wie ein Jodeln (lacht) und wenn das auf einmal 30 Leute im Club machen, das zieht schon Aufmerksamkeit auf sich. Zudem haben viele der Geflüchteten eine ganz starke Hetero-Performance, weil sie es gewohnt sind ihr Queer-Sein nicht zu zeigen oder es nicht zeigen zu können. Das war für uns alle zunächst ungewohnt und führte zu Irritationen und das war auch nicht immer alles schön. Besonders nicht für die Geflüchteten, denn es wurden medial einfach auch viele Ängste geschürt: Wer arabisch ausseht, steht gleich unter Terrorverdacht. Aber das war im SchwuZ noch nie so, dass immer alles völlig harmonisch und hippiemäßig abläuft oder ablief, da gab es immer mal Reibereien und Auseinandersetzungen auch zwischen den verschiedenen Identitätsgruppen. Die haben uns aber letztendlich immer weitergebracht.

Wo man so sein kann, wie man möchte

Hast du den Eindruck, queere Geflüchtete haben es schwerer als Hetero-Geflüchtete?
Es ist schon so, dass Leute, die mehrfach diskriminiert sind, für viele eine Zielscheibe sind. Sie erfahren von anderen Geflüchteten und auch in der deutschen Gesellschaft  Gewalt, weil viele Menschen homo- oder trans*feindlich sind. Diese Leute brauchen sichere Räume, in denen sie unbehelligt leben können. Mehr noch brauchen sie aber eine Gesellschaft die sie offen und freundlich aufnimmt.

Und was kann der Staat tun, um diese Leute zu schützen?
Es gibt ja in Treptow eine Unterkunft für queere Geflüchtete, das ist etwas Besonderes. Die Unterkünfte bieten einen Schutzraum für eben diese Gruppe, die woanders massive Diskriminierung und Gewalt erfährt. Das gibt es bisher leider nur in Berlin, aber es hat Strahlkraft, hoffentlich auch in andere Bundesländer. Das reicht aber nicht. Die Leute können und sollten nicht ewig in gesonderten Unterkünften leben. Wir müssen uns öffnen und gemeinsam dafür Sorge tragen dass Integration geschehen kann. Der Staat kann und sollte das noch viel mehr unterstützen, zum Beispiel in Programmen, die proaktive Partizipation von Geflüchteten fördert und gesamtgesellschaftlich rassistische Vorurteile und Ängste abbauen, Stichwort Quartiersmanagement.

Was würdest du dir für die Zukunft wünschen von der politischen Führung?
Dass sie mit daran arbeiten Vorurteile abzubauen. Nur so ist Menschen, egal, ob stigmatisiert weil geflüchtet, schwul oder trans*, geholfen. Es ist beispielsweise eine Katastrophe, dass das SchwuZ laut Aussage vieler Geflüchteter der einzige Klub ist, der sie reinlässt. Andere Locations verweigern Personen mit augenscheinlichem Migrationshintergrund den Eintritt.

Ihr seid also auch für Hetero-Geflüchtete eine Anlaufstelle?
Ja. Wir hatten vor drei Wochen ein Vorstellungsgespräch für einen Job an der Tür mit einem Geflüchteten der hetero ist, der seit zwei Wochen in Berlin ist. Wir haben dann erst mal nachgefragt, ob er überhaupt schon mal im SchwuZ war und weiß, was das SchwuZ ist. Dann meinte er: Ja. Weiß ich. Das SchwuZ ist in der Geflüchteten-Community berühmt als der Ort, an dem man so sein kann, wie man möchte.

 

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