Text: Sara Reichelt, Bilder: Katrin Friedmann
Auf dem glänzenden Parkettboden des 120 Quadratmeter großen Raumes schlängeln sich munter Lichterketten. Ocker- und türkisfarbige Kissen sind wie bunte Blüten auf dem Boden verstreut. In einer Ecke bilden nebeneinander platzierte Matratzen eine bequeme Spielwiese. Ein japanischer Paravent trennt vom Raum eine Ecke ab. Dorthin darf man sich zurückziehen, wenn man eine Kuschelauszeit braucht.
Mustafa Toplu* trägt eine graue Jogginghose und ein knallblaues Sweat-Shirt. Seit der Trennung von seiner Frau und seinem Umzug von Hannover nach Berlin fühlt sich der 52-jährige Sozialpädagoge oft einsam und vermisst Körperkontakt. Vor einer neuen engen Bindung hat er im Moment noch Angst. Ein Kollege hat ihn dazu inspiriert, auf eine Kuschelparty zu gehen. Gemeinsam mit rund 30 Männern und Frauen zwischen 20 und Mitte 60 sitzt er auf dem Boden.
Berühren, ohne falsche Erwartungen zu wecken
Der Abend ist angeleitet von Rosemarie Doebner, Biologin und ausgebildete Kuscheltrainerin, die jetzt in die Runde lächelt. Mehrmals pro Monat veranstaltet die 48-Jährige Wohlfühlkuschelabende. Sie hat eine Stoffmaus mitgebracht, die von Teilnehmer zu Teilnehmer wandert. Jeder soll seinen Vornamen nennen und kurz sagen, warum er Berührung mag. „Ich heiße Mustafa und bin frisch geschieden. Im Moment möchte ich keine feste Partnerschaft“, sagt Toplu mit leiser Stimme. „Dennoch will ich Frauen spüren, ohne falsche Erwartungen zu wecken. Das ist für mich als Muslim sonst schwierig.“ Er legt die graue, weiche Maus sanft vor die etwas rundliche, weißhaarige Frau an seiner rechten Seite. „Ich bin Ruth und genieße Körperkontakt in diesem geschützten Rahmen sehr. Das Wichtigste sind für mich die eigenen Grenzen und das Neinsagen. Das kann ich hier üben“, meint sie und schlingt die Arme fest um ihre hochgezogenen Knie. „Mir macht Berührung einfach nur Spaß! Ich bin Adriana“, sagt eine Frau in einem tief ausgeschnittenen roten T-Shirt und einer weißen, weiten Leinenhose. Nach einer knappen Stunde ist die Maus wieder bei Doebner angekommen und sie erklärt die Regeln.
Der dreistündige Kuschelwohlfühlabend kostet 17 Euro und spielt sich im Osho Mauz in der Hasenheide ab. Im Jahr 2004 riefen die Beziehungsberaterin Marcia Bacynski und der Sexualtherapeut Reid Mihalko in New York die erste „Cuddle Party“ ins Leben. Sie wollten damit Paaren helfen, ihre langweilig gewordenen Langzeitbeziehungen wiederzubeleben. Inzwischen besuchen sowohl Menschen in festen Partnerschaften als auch Singles solche Partys.
„Bleibt bei euch“
„Für mich ist es eine wunderschöne Aufgabe, fremde Menschen miteinander in Berührung zu bringen“, meint Doebner. „Sie wollen neue Erfahrungen mit sich und anderen machen.“ Die Kuschler sollen sowohl ihre eigenen Grenzen als auch die der anderen spüren und respektieren. Einen großen Wert legt die Partyleiterin auf die Unterscheidung zwischen Berührung und Sexualität. Umarmen, Streicheln und Halten sind erlaubt, Küssen und Berührungen an den Brüsten oder gar im Genitalbereich sind tabu.
Nach der Anfangsrunde steht Mustafa Toplu auf und schließt die Augen. Die 16 Männer und fast eben so viele Frauen tasten sich aneinander vorbei, zueinander hin oder voneinander weg. Es bilden sich bewegte Knäuel aus Händen, Armen, Beinen, Schultern und Köpfen. Nach 20 Minuten erklingt die beruhigende Stimme von Rosemarie Doebner: „Bleibt bei euch. Ich gebe euch noch einen Moment zum Nachspüren. Macht nun langsam eure Augen auf, um anzukommen. Betrachtet die Menschen in eurer Nähe. Wenn ihr wollt, geht aufeinander zu und nehmt euch in den Arm.“ Stimmen und Lachen klingen durch den Raum. Einige kennen sich von früheren Partys. Manche umarmen sich fest. Toplu legt strahlend den Arm um die Frau, die neben ihm steht.
Außerhalb der Familie kaum Körperkontakt
Abgesehen von Berührungen zwischen Eltern und Kindern und zwischen Liebenden ist es in unserer Gesellschaft schwierig, Körperkontakt zu bekommen. Gerade zwischen Männern und Frauen führt der Wunsch nach körperlicher Nähe oft zu Missverständnissen. „Auf meinen Kuschelpartys möchte ich einen Wohlfühlraum schaffen, in dem sich Menschen ihre tiefe Sehnsucht nach Nähe, Berührung und Geborgenheit erfüllen können“, betont Doebner auf der Kuschelparty-Website. Die körperliche Berührung wirke sich sowohl positiv auf das Immunsystem als auch auf die seelische Belastbarkeit aus.
Am Ende des Abends gibt es einen Feedback-Kreis. Toplu hält Händchen mit den beiden Frauen, die rechts und links neben ihm sitzen. Doebner bittet die Kuschler, das aktuelle Befinden mit einem einzigen Wort zu beschreiben. „Berührt“, sagt Toplu und löst damit ein liebevolles Gelächter aus. Die meisten fühlen sich glücklich, ganz im Hier und Jetzt und entspannter als zu Beginn der Party. Die Frau mit dem roten T-Shirt, die sich Adriana nennt, bietet an, das Kuscheln in ihrer Wohnung fortzusetzen, was bei einigen auf reges Interesse stößt. Die Abschiedsumarmungen ziehen sich über eine halbe Stunde hin. Toplu macht sich direkt auf den Weg nach Hause. Er denkt darüber nach, wieder hinzugehen.
*Namen auf Wunsch des Interviewten geändert.
Mehr Infos findet ihr auf der Webseite des Meditations- und Veranstaltungszentrum Osho Mauz (Hasenheide 9). Weitere Termine, Orte und Informationen darüber, wie die Partys ablaufen, gibt es auf www.die-kuschelparty.de und www.alle-kuschelpartys.de.
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Brauche wen zum Kuscheln