Heißes Eisen Flüchtlings-Problematik

Seit mehreren Wochen protestieren am Brandenburger Tor Flüchtlinge aus ganz Deutschland gegen die schlechten Lebensbedingungen für Flüchtlinge. Unterstützt werden sie dabei unter anderem von Anne Helm, Vize-Fraktionsvorsitzende der Neuköllner Piratenpartei in der BVV. Ein Gespräch über die Situation im Camp und die Flüchtlingspolitik des Bezirks Neukölln. (mehr …)

Mittwoch, 14. November 2012

neukoellner.net: Anne, Du unterstützt seit mehreren Wochen den Protest der Flüchtlinge hier in Berlin. Wie bist Du dazu gekommen, Dich zu engagieren?

Anne Helm: Als die Flüchtlinge vor zweieinhalb Wochen in den Hungerstreik getreten sind, war ich das erste Mal hier am Brandenburger Tor. Abends stellte ich dabei fest, dass es sehr wenig Unterstützung gibt und habe mir zudem große Sorgen gemacht wegen der Polizei: Tagsüber war wegen der strengen Auflagen vor den Augen der Touristen wenig passiert. Auch als ich gegen Mitternacht nach Hause ging, sagte die Polizei zu, dass – wenn keine weiteren Schlafsäcke dazu kämen – sie den Status quo akzeptieren würden und den Leuten nicht ihre Schlafsäcke wegnähmen. Am nächsten Morgen erfuhr ich aber, dass die Polizei dies nicht eingehalten und nachdem die Unterstützer weg waren, den Flüchtlingen die Schlafsäcke entrissen hatte. Danach war mir klar, dass ich meine Möglichkeiten, die ich durch meine vielen Follower auf Twitter und die vielen engagierten Leute, die ich aus Parteien und dem sonstigen linken Spektrum kenne, nutzen muss, um Unterstützung für die Flüchtlinge zu mobilisieren.

Bei der Mobilisierung alleine blieb es dann aber nicht.

Als die Aufmerksamkeit immer größer wurde, wurden auch die Repressionen der Polizei immer stärker: Von staatlicher Seite bekam man wohl Angst, dass die Aufmerksamkeit nun schon zu groß sei, als dass man das Camp klammheimlich räumen könnte. So wurden die Übergriffe immer schlimmer. Von da an habe ich mich verpflichtet gefühlt, den Protest auch weiter zu unterstützen.

Du sprichst die Übergriffe an. Hat sich das fortgesetzt, oder hat sich am Verhalten der Polizei etwas geändert?

Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts, dass die polizeilichen Maßnahmen nicht rechtens waren, hat sich die Situation merklich entspannt. Die Erfahrungen mit der Polizei haben zwar auch danach noch zu angespannten Situationen geführt, aber inzwischen hat sich das deutlich beruhigt.

Worauf konzentriert Ihr Eure Arbeit jetzt?

Das Camp vor dem Brandenburger Tor

Inzwischen geht es vielmehr um das weitere politische Vorgehen und darauf kann sich nun wieder mehr konzentriert werden. Das ist das Schöne. Andererseits gibt es aber auch Anzeigen gegen die Polizei und da werden wir auf jeden Fall keine Ruhe geben.

Eine Eurer politischen Forderungen ist die Verbesserung der Unterbringungssituation für Flüchtlinge in Deutschland. Wie ist da derzeit die Lage im Bezirk Neukölln?

Im Bezirk Neukölln soll auf dem Gelände der Clay-Oberschule in Rudow eine neue Unterbringung gebaut werden. Eine Notunterkunft, die meiner Meinung nach aus mehreren Gründen sehr bedenklich ist.

Welche?

Zum einen gab es gerade eine Nazi-Kundgebung mit dem Motto „Rudow muss deutsch bleiben“. Und auch die CDU hat in Plenarsitzungen mehrmals angedeutet, dass die Unterbringung in Rudow nicht gebaut werden kann, da dort die Sicherheit der Flüchtlinge gefährdet sei, was sich meiner Meinung nach aus deren Mund jedoch schon fast wie eine Drohung anhört. Von der CDU gab es ja auch eine Bürgerveranstaltung zu dem Thema, wo die NPD offenbar „herzlich begrüßt“ worden ist. Das macht mir große Sorgen, da wir auch hier im Camp schon Übergriffe von Rechten hatten – auch auf Aktivisten, bei denen es einen Überfall vor der eigenen Haustür gab. Zum anderen bringen diese Notunterkünfte, die ja nur temporär gedacht sind, das Problem mit sich, dass sie nur sehr niedrige Standards haben. Die eigentlichen Standards, die man für eine vernünftige Wohnsituation zu Grunde legt, gelten dafür nicht, da es sich nur um Notunterkünfte handelt. Auf der einen Seite brauchen wir diese, denn wegen der fehlgeschlagenen Politik sind die bestehenden Auffangunterkünfte zurzeit völlig überfüllt. Wir müssen die Menschen aber natürlich unterbringen. Aber ich habe auch die Angst, dass daraus wieder eine Dauereinrichtung wird und dass dort Menschen jahrelang unter Umständen leben werden, die keine zumutbare Wohnsituation im eigentlichen Sinn darstellt.

Der Bürgermeister von Lichtenberg hat sich nun beschwert, dass in den anderen Bezirken zu wenige Unterkünfte geschaffen würden. Ist davon auch Neukölln betroffen?

Solidarität - zumindest von den Kindern

Ich glaube so etwas wird jeder Bezirk von sich sagen. Neukölln stützt sich in der Argumentation zum Beispiel teilweise darauf, dass es dort überproportional viele Unterkünfte für Obdachlose gibt, in denen zurzeit auch Flüchtlinge notuntergebracht sind. Neukölln sieht damit seine Schuldigkeit als getan an. Dies sollte jedoch keine Argumentationsgrundlage sein, denn das ist keine Willkommenspolitik. Da wäre es natürlich schön, wenn es eine überbezirkliche Solidarität gäbe, sodass man die vernünftigste und menschenwürdigste Unterbringung findet und eben nicht derart argumentiert. Stattdessen stand aber beispielsweise im Beschluss für die Notunterkunft in Neukölln, dass man unbedingt vermeiden wolle, noch mehr Flüchtlinge nach Neukölln kommen zu lassen. Es gäbe ja schon jetzt viele Unterkünfte hier. Wenn es jedoch sein müsse, würde man die Notunterkunft in Rudow bauen. Eine Formulierung, wegen der ich und meine Fraktion dem Beschluss nicht zustimmen konnten.

Wie ist zu diesem Thema allgemein die Diskussion in der BVV? Du sagst, dass die CDU sehr ablehnend ist, wie sieht es da bei den anderen Fraktionen aus?

Ich würde nicht unterstellen, dass die Haltung eher ablehnend ist. Es ist halt ein sehr heißes Eisen zurzeit in Neukölln: Wir haben eine sehr aktive und gewaltbereite rechte Szene in Rudow. Und natürlich hat auch das Buch von Heinz Buschkowsky für ordentlich Zunder gesorgt. Ich habe daher das Gefühl, dass außer von ein paar Populisten in der CDU das Thema zumindest ernst und sensibel angegangen wird. Jetzt ist der Bau erst mal von den regierenden Parteien beschlossen worden. Wir müssen nun sehen, dass der Bau in der konkreten Umsetzung so gut wie möglich wird.

Wie angesprochen sieht der Beschluss den Bau der Notunterbringung in Rudow vor. Wieso gerade dort?

Es soll in Rudow gebaut werden, da man vermeiden möchte, dass die sozialen Strukturen, die im Norden von Neukölln schon sehr belastet sind, etwa durch die vielen Sinti und Roma, die wir hier zur Schule schicken und die kein Deutsch sprechen, nicht weiter belastet werden. Ich finde jedoch, dass wir erst einiges tun müssen, um die Sicherheit und gesellschaftliche Teilhabe der Flüchtlinge, die in Rudow leben werden, gewährleisten zu können. Denn wenn diese Menschen sich nicht aus ihren Unterkünften hinaus trauen können, aus Angst oder weil es keine sozialen Strukturen vor Ort gibt, ist das meiner Meinung nach auch menschenunwürdig, egal wie die Unterbringung aussieht.

Wäre demnach trotz der angespannten Lage in Nord-Neukölln eine Unterbringung dort besser, oder ist dies nicht machbar?

Machbar ist vieles, wenn es gewollt ist. Meine Position ist, dass ich nicht über die Mehrheiten verfügen kann, diese Entscheidung zu kippen. Deswegen möchte ich versuchen, auf die Probleme, die Rudow hat, aufmerksam zu machen. Und zwar nicht nach Art der CDU, sondern indem man die Sorgen dort ernst nimmt, dass es in Rudow eine sehr starke Rechte gibt, die gegen eine Flüchtlingsunterbringung mobilisiert. Daher sollte man eben nicht versuchen, zur Problemlösung einen gigantischen Zaun hochzuziehen, der die Menschen isoliert.

Ist man da auf dem rechten Auge Blind?

Natürlich. Aber das darf sich nicht mehr lange so halten. Es gibt in Rudow bisher vor allem sehr viele Angriffe auf linke Einrichtungen, die sagen, dass es aus Angst heraus einen Mangel an Solidarität gibt. Ich habe schon oft erlebt, dass Ämter und politische Einrichtungen Drohungen nicht ernst genommen haben. Wenn wir also in Rudow eine Einrichtung bauen, ist es auf gar keinen Fall zulässig, dass Drohungen klein geredet werden, oder man auf dem rechten Auge blind ist. Das halte ich wirklich für fatal.

Wie könnte man ansetzen, um in der Zivilgesellschaft Engagement zu fördern und Ängste abzubauen? Kann die Politik da etwas machen?

Ja, da kann auf jeden Fall etwas gemacht werden. Es gibt ja EU-Gelder, die speziell dafür da sind, in Rudow gegen Rechtsextremismus vorzugehen. Doch ich habe das Gefühl, dass sie falsch ausgegeben werden. Sie setzen dort eher auf Imagekampagnen, als tatsächlich konzentrierte Aktionen zu machen, beispielsweise in Jugendzentren, oder dort, wo Menschen unter Druck gesetzt, oder abgeworben werden. Ich finde, da müsste man nicht eine großflächige Imagekampagne machen, sondern gezielt beim Aussteigen helfen, oder dabei, den Druck von einzelnen Leuten zu nehmen. Wenn es größere Solidarität von den Einrichtungen, den Behörden und der Politik gäbe, dann könnte man sich so eine Imagekampagne sparen.

Ein anderes Thema: Es gab neulich nach einer Aktion von Grünen und Piraten Stimmen, die meinten, hier würden auch Parteiinteressen vertreten und es ginge nicht nur um die Situation der Flüchtlinge. Ein begründeter Vorwurf?

Sensibel sein muss man damit. Ich glaube da muss sich jeder auch immer wieder selbst überprüfen. Aber ich habe eigentlich nicht den Eindruck…

Hat denn Dein Engagement hier parteipolitische Gründe?

Nein, Umgekehrt. Ich bin parteipolitisch engagiert, weil ich es für nötig halte, dass sich in der Politik etwas ändert. Aber wir brauchen natürlich auch Hilfe von Seiten der Politik. Wir haben es am Brandenburger Tor mehrmals gehabt, dass die Polizei immer dann zugegriffen hat, wenn die Abgeordneten aus dem Bundestag oder Abgeordnetenhaus weg waren. Ich habe dann die Abgeordneten mitten in der Nacht angerufen und sie waren in einer Viertelstunde hier und plötzlich war die Polizei wieder ruhig, da es natürlich nicht so schön aussieht, wenn man prominente Politiker abführt oder Gewalt gegen sie anwendet. Insofern glaube ich müssen Aktivismus und Politik ein bisschen Hand in Hand gehen.

Zum Schluss noch: Wie können Bürger in Neukölln die Flüchtlinge im Camp aktiv unterstützen?

Ein Thermoskanne mit heißem Tee ist immer willkommen

Zuhören ist das aller Wichtigste. Ich kann sehr empfehlen, mal vorbei zu kommen und einen heißen Tee mitzubringen und sich einfach die Geschichten erzählen zu lassen. Jetzt da die Refugees wieder Schlaf und Essen bekommen, ist der Austausch sehr viel reger geworden und entspannter. Es sind sehr sympathische, spannende Menschen, die interessante Geschichten zu erzählen haben.

Und die Flüchtlinge außerhalb des Protestcamps?

Ich würde empfehlen, sich zu informieren, wo in der Umgebung Flüchtlingsunterkünfte sind, denn das ist teilweise gar nicht so einfach herauszufinden. Auch sollte man dort fragen, ob man die Menschen nicht besuchen kann. Denn ich habe das Gefühl, viele Leute wollen nicht glauben, dass die Situation derart schlecht ist, weil es uns natürlich ein unangenehmes Gefühl bereitet, dass Menschen in unserem schönen Rechtsstaat so behandelt werden. Das Hingucken und Zuhören ist daher das Allerwichtigste, um dann in den Diskurs zu treten, wie wichtig es ist, die Situation für Flüchtlinge zu verbessern.