Seine erste Solo-Platte hieß „Tiere der Einsamkeit“. Jahrelang hat Tim Knillmann traurige Lieder geschrieben. Jetzt habe ich ihn bei der Open-Stage im Madame Claude gesehen und seine Texte brachten mich zum Lachen! Deshalb wollte ich den Mann kennenlernen und ließ mich in seine Neuköllner Wohnung zum Interview einladen.
neukoellner.net: Tim, ich habe dich live als Songwriter mit humorvollen Geschichten kennengelernt. Danach habe ich dich bei Myspace gesucht und fand die Seite myspace.com/timknillmann. Ich war mir aber nicht sicher, ob es wirklich deine ist. Da gibt es Titel wie „Ich wünschte ich wäre verloren“ und „So wenig Liebe“. Die Songs waren viel trauriger als ich erwartet hatte. Was ist mit dir passiert? Hast du dich verändert?
Tim: Nein, das nicht. Aber das kennst du sicher auch, dass sich die Gefühle ändern. Ich habe jetzt ein Jahr lang keine Musik mehr gemacht und gerade wieder damit angefangen. Auf die alten Songs habe ich im Moment keine Lust. Die sind so kopfhängerisch, da denkst du echt: „Um Himmelswillen! Sieht der Junge irgendwann nochmal Land? Das ist ja furchtbar!“
Worauf hast du jetzt Lust?
Ich mag es am liebsten, wenn einen Lieder berühren, aber trotzdem irgendwie einen Ausweg lassen. Genau diese Kombination kriegt man leider am seltensten hin. Auch meine neuen Lieder haben traurige Stellen, aber sie klopfen dir auf die Schulter und sagen: „Es geht irgendwie weiter“.
Warum hast du ein Jahr lang keine Musik gemacht und was hat dich jetzt dazu gebracht, wieder auf die Bühne zu gehen?
Ich habe ernsthaft angefangen zu studieren. Ich mache Geschichte und Politik auf Lehramt. Diese ganzen Auftritte und die Open-Stage-Abende, die hängen immer mit Saufen zusammen und man schlägt sich die Nacht um die Ohren. Dann kam aber letztens ein Freund auf mich zu. Er hat mich gefragt, ob ich in seinem Café spiele. Ich habe erstmal zwei Wochen gebraucht, um meine Songs wieder reinzubekommen und dann war der Abend total gut! Nicht zu vergessen ist, dass solche Auftritte ein sehr guter Nebenjob zum Studium sind. Man kann an einem Abend gut 60 bis 70 Euro machen, für eine Stunde Spaß haben.
Soweit muss man ja erstmal kommen, dass einem die Leute Geld für die eigene Musik geben. Wie hast du mit dem Musik machen angefangen?
Der entscheidende Einfluss waren die Pfadfinder. Mit 12 Jahren bin ich da hin gegangen. Es gab dort viele gute Gitarristen, von denen man etwas lernen konnte. Ich habe noch das Liederbuch von damals.
Tim geht an sein Regal und holt den „Schwarzen Adler“ raus. Ein kleines rotes Liederbuch, das er mit sauberer Schreibschrift als sein Eigentum gekennzeichnet hat.
Tim: Da stehen so deutsche Volkslieder drin und Varietéstücke aus den 20ern. Alle mit drei oder vier Akkorden. Damit habe ich das Gitarrespielen gelernt. Mit 16 Jahren kam dann die E-Gitarre.
Ich habe gelesen, dass du mal in einer Band gespielt hast. Die hieß „Diverse“. Was habt ihr für Musik gemacht?
Niedersächsischen Post-Grunge. Das war in den 90ern auf dem Land. Ich komme aus Salzgitter, einer kleinen Stadt. Aber es gab eine ziemlich gute Musikerszene. Man hat sich halt gelangweilt, denn wir hatten noch kein Internet und keine Handys. Also habe ich mit meinen Freunden Musik gemacht. Wir waren ziemlich rockig. Die große Offenbarung für uns war Tocotronic. Da wussten wir, dass man Musik mit deutschen Texten machen kann und das hört
sich am Ende auch noch gut an.
Das heißt, du hast schon immer deutsche Texte geschrieben? Ich persönlich schreibe lieber auf Englisch, weil es sonst manchmal peinlich klingt. Das Dilemma haben ja auch Tocotronic besungen: „Über Sex kann man nur auf Englisch singen“. Hattest du nie Probleme damit?
Nein, das Problem kenne ich nicht. Ich habe am Anfang kurz probiert, auf Englisch zu schreiben und dann schnell gemerkt, dass das nichts wird. Erstens berührt es mich nicht so sehr und zweitens sind die Texte dann ziemlich schnell ziemlich weit weg von mir. Ich habe keine emotionalen Anker, die ich da einschlagen kann. So Wörter wie „Mutter“ und „Himmel“. Also etwas, das so unheimlich viele Assoziationen auslöst.
Über was hast du deinen ersten Song geschrieben?
Es ging darum, wie komisch die Welt ist, und dass Menschen Tiere essen. So ein Vegetarier-Protestsong war das, glaube ich.
Hast du den vor Publikum gespielt?
Ja, das war mit der Band. Wir hatten da so eine Kneipe in Salzgitter und der Wirt hat einmal im Monat eine Open-Stage gemacht. Ansonsten war es schwer, Auftritte zu bekommen. Die wirklich interessanten Bühnen haben andere Leute bespielt. Die alten Blueser, weißt du? Die Jungs, die den ganzen Tag bei VW gearbeitet haben und dann Abends den Rock’n’Roll raushängen lassen. Das hat genervt, weil die alles besetzt haben mit ihrer Vorstellung davon, wie Musik klingen muss.
Ich kann mir denken, was du meinst. Das erste Mal, als ich in eine solche Blueskneipe gegangen bin, war ich erstaunt über das Alter des Publikums und ich habe mich stark beobachtet gefühlt. Wie ein Alien. Ich gehe aber trotzdem immer wieder hin, weil ich Blues sehr gerne mag.
Ich mag Blues ja eigentlich auch! Aber diese Kneipen sind saulangweilig! Das ist Blues minus diese ganze Rauheit, die die Musik eigentlich ausmacht. Dann ist es nur noch Opa-Sport.
Das sind ja harte Worte! Aber wenn wir schon dabei sind, dann erzähl doch mal, was deine musikalischen Einflüsse sind. Außer Tocotronic und der rauhe Blues.
Der prägendste Einfluss war mein großer Bruder. Der war Grufti durch und durch. Also hab ich als Kind mit Lego gespielt und The Cure gehört. Oder Depeche Mode und Joy Division.
Was baut man für Lego-Schlösser wenn man das hört?
Großartige! Ziemlich schwarze, mit Drachen und so. Hehe. Jetzt höre ich mir das nicht mehr an, weil es so tot traurig ist. Ansonsten habe ich immer schon Queen gehört. Zeitweise auch gerne Roxette. Das war die erste Band die ich selber entdeckt hatte.
Ich muss sagen, ich habe noch nie einen Roxette-Fan kennengelernt. Was ist das besondere an Roxette?
Die haben einfach perfekte Popsongs geschrieben.
Hast du durch das Studium von Songs deiner Lieblingsbands das Songwriting gelernt oder hast du dich dazu richtig mit Musiktheorie beschäftigt?
Mit Musiktheorie kenne ich mich nicht so gut aus. Um ein Notenblatt zu lesen, bräuchte ich eine Stunde. Ich habe mal Unterricht genommen und dann gemerkt, dass hinter dem, was ich schon immer automatisch beim Songschreiben gemacht habe, Sinn steckt. Wenn ich einen Song schreibe, dann habe ich meist eine Textzeile, die mir gefällt, und suche mir irgendeine einfache Akkordfolge. Ich lege sehr viel Wert auf die Texte, deshalb ist da musikalisch nichts kompliziertes dabei und ich mache wenig Picking.
Wenn du darüber nachdenkst, wie du dir deine Zukunft vorstellst, welche Rolle spielt Musik darin?
Im Moment habe ich wieder Lust darauf, in einer Band zu spielen. Ich suche Leute für eine Folkrock-Band. Ich denke aber, dass meine Zukunft in dem Lehrerberuf liegt. Auch wenn der Gedanke, Lehrer zu sein, mir total auf den Keks geht. Man ist dann der Arsch, der vorne steht, und keiner hat Bock auf dich. Aber ich möchte den Leuten vermitteln, dass sie nicht lernen müssen, sondern lernen dürfen, dass das ein Schatz ist. Interessanterweise gebe ich Freunden gerade Gitarrenunterricht. Sie wollten mir dafür Geld geben, aber das habe ich abgelehnt. Jetzt spielen sie für mich Lotto. Das finde ich eine ziemlich gute Zukunftsperspektive. Mit zwei Millionen komme ich schon ganz gut klar!
Der Beitrag erschien zuerst bei give me a stage.