Text: KMM
Die Bühne ist rund. Sie dreht sich anfangs noch als Gepäckband am Flughafen Schönefeld, um in den darauffolgenden zweieinhalb Stunden um Klischees und Stereotype zu rotieren. „Berliner Leben“ kreist um Gentrifizierung, steigende Mieten, naive Touristen, Schwabenwitze und legitimes Schwarzfahren.
Saufen ohne zu verschnaufen
Angekommen in der als Themenhotel ausgegebenen Wohngemeinschaft in Kreuzkölln, wird das Wochenende für das ukrainische Touristenpärchen Natascha (Sarah Papadopoulou) und Alexej (Clemens Gnad) eingeläutet. Der Kleinkriminelle und Frauenheld Omar (Janko Danailow) hat sich der Beiden angenommen, um ihnen einen ausgefallen Aufenthalt in der Hauptstadt zu bescheren. Der Drogendealer, der die Touristen so richtig ausnehmen will, wirkt in seinem Spiel wie ein kleiner aufgekratzter Junge, der mit Verbrechen eigentlich nicht viel am Hut hat. Trotzdem stürzt er sich gemeinsam mit den reichen Ukrainern in eine Operette, der inhaltlich nichts peinlich ist: Drogen, Party, Sex und die Admiralbrücke. Männer wollen nichts außer Geschlechtsverkehr mit Frauen, Frauen wollen Schuhe kaufen. Es sind schmerzliche Klischees, die geistlos überspitzt werden. Kriss Rudolph reimt wenig erheiternde Saufparolen wie „Wir-saufen-saufen-saufen-ohne-zu-verschnaufen“ oder degradiert humorlos ein lesbisches Paar zu „Leckschwestern“.
Das rettende Drumherum
Die textliche Plattitüde in Berliner Leben wird gerettet durch eine humorvolle Choreografie (Juliane Offenbach), die es schafft, amüsierend ins Groteske zu rücken und damit die Ironie auf die Bühne holt. Wenn synchron getanzt wird und Musik zur Unterhaltung avanciert, gewährt sich den Zuschauern die Chance, zu vergessen, was inhaltlich auf sie niederprasselt. Darin liegt die Stärke von Berliner Leben. Auch Bühnenbild und Ausstattung (Michael Köpke) retten in ihrer Dynamik die Reime: Es wird geräumt, bewegt, gedreht. In seiner simplen Botschaft kann man dem runden Schauplatz nur recht geben: Berlin dreht sich am liebsten um sich selbst. Komponiert wurde mit Feinsinnigkeit, die den abgeschmackten Charakteren fehlt. Unter musikalischer Leitung von Hans-Peter Kirchberg entfaltet sich eine instrumentelle Vielfalt von Klavier, Schlagzeug, Akkordeon oder auch Wassergläsern zwischen Klassik und Moderne. Antagonistisch ist es auch gesanglich, wenn das ukrainische Paar die traditionelle Oper stimmlich aufleben lässt, so dass die Berliner dagegen lächerlich wirken.
„Oben Knödel, unten Dödel“
Doch mit Klischees will Berliner Leben nicht aufräumen. Es geht nicht darum, die Figuren in ihrer Authentizität erstrahlen zu lassen, sondern sie in geistloser Komik bis zur Fremdscham des Zuschauers zu treiben. Unklar bleiben Charaktere wie Showstar und Barbesitzerin Rosetta (Maria Jamborsky), die sich wenig überraschend als Transsexuelle entpuppt („Oben Knödel / unten Dödel“), um dann in den Kanon über die Berliner Toleranz und Offenheit einzustimmen. Es wird zu einem unangenehmen Augenblick, dass Rosetta – „die begehrteste Frau der Stadt“ – den ukrainischen Touristen in tiefes Unverständnis stürzt, weil sie „kein Loch“ hat. Dies sind Momente der Aufführung, bei denen man nicht weiß, ob man gehen soll, sich fremdschämen will oder sich wie manch einer im Publikum lachend die Schenkel schlägt: „Mama Mia“.
Vielleicht ist das die tatsächliche Parallele die man zur Berliner Realität ziehen kann: Eine ambivalente Emotion zwischen Ab- und Zuneigung, die dem Gefühl, in dieser Stadt zu leben, am nächsten kommt.
Weitere Spieltermine in der Neuköllner Oper: 31. März, 1.April und 5.-8. April, 13., 14., 26., 27. April 2012, 20 Uhr; Tickets gibts hier.