A German dialect called English

Unterwegs im Epizentrum. In Neukölln hat sich eine lebhafte Szene englischsprachiger Comedy entwickelt. So lebhaft, dass auch ein Deutsch-Muttersprachler mitmischen möchte.

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Dienstag, 14. Mai 2013

Jeden Dienstagabend ist das Sameheads in der Richardstraße 10 überfüllt mit Menschen, die vom Lachen Bauchschmerzen bekommen möchten. Sie warten geduldig darauf, dass im hinteren Teil der Bar irgendjemand ein Zeichen zum Einlass gibt. Ein kleiner Tisch dient als Kassiertresen, für zwei Euro Eintritt gibt es noch einen Neuköllner Pfirsichschnaps gratis obendrauf. An der Wand hängt ein altes bemaltes Laken, auf dem „We Are Not Gemüsed“ steht, ein paar Paprikaschoten aus Plastik dienen als Deko. Auf  Klappstühlen, Bierbänken oder einer Couch können die Gäste hier die wohl beste englischsprachige Comedy-Show Berlins erleben.

„We Are Not Gemüsed“ im Sameheads ist quasi das Epizentrum des Epizentrums. Zwei Drittel der englischen Comedy-Szene in Berlin spielen sich zurzeit in Neukölln ab. Im Sameheads tritt jeder Comedian der Szene auf. Jede Woche bewerben sich mehr als 30 Comedians auf ca. 10 Plätze. 50 bis 100 Gäste pilgern jeden Dienstag in die Richardstraße, die Open-Mic-Veranstaltung hat die höchste regelmäßige Zuschauerzahl aller englischsprachigen Comedy-Shows in Berlin. Erschaffer der Show „We Are Not Gemüsed“, Paul Salamone und Caroline Clifford, schätzen das internationale Flair. Alle sind willkommen, Hauptsache, es ist lustig. Caroline hatte nicht nur die Idee zum Namen, zusätzlich lässt sie sich jede Woche auch ein neues Thema einfallen: The Gemüsual suspects, Dude, where’s my kohl!?, Bohne with the wind, Zwiebel Knievel oder Dark Side of the Rübe, um nur einige zu nennen. Sie kümmert sich auch um die Musik, während Paul sein eigenes Können zum Besten gibt: „I hope you guys can understand me, I speak a strange German dialect called English.“

Paul Salamone schätzt das internationale Flair. Alle sind willkommen, Hauptsache, es ist lustig. © Foto: Taras Girnyk

Das Café Myxa in der Lenaustraße mit den gemütlichen Steinwänden und den robusten Holzmöbeln ist das Zuhause für die sehr beliebte Showcase „The Neukölln Confessional“. Hier wird von den Machern ausgewählt, wer auf der Bühne stehen darf, und das sind nur die Besten. Der Host von Neukölln-Confessional Nate Blanchard aus Kalifornien hat durch sein Video „Shit Expat Berliners Say“ auf YouTube bereits eine kleine Berühmtheit erreicht. Nate ist ein Naturtalent der Selbstdarstellung und thematisiert gerne das Schwulsein. Zelebrierend erinnert er das Publikum an Frankreichs Befürwortung der Homo-Ehe. Er schlägt auch gleich einen neuen Slogan für unsere Nachbarn vor: „Égalité, Fraternité, Beyoncé.“

Auch den Buzz Club in der Pflügerstraße sollte man gesehen haben. Jeden Sonntag führen hier Tim Whelan und Chris Glen aus England durch eine eher an das Variété angelehnte Show. So gibt es auch Musik, Poesie und die sehr beeindruckenden Klavierkünste von Tim Whelan zu bestaunen.

Doch die englischsprachigen Bühnen bieten auch deutschsprachigen Talenten neue Perspektiven. Georg Kammerer, der aktiv bei der PARTEI im Ortsverband Neukölln mitmischt, tritt regelmäßig als Comedian auf. Er sieht Stand-Up-Comedy, wie man sie heute kennt, als eine amerikanische Kunstform. Im englischen Sprachraum ist sie weiter entwickelt als hierzulande. Nicht zuletzt gibt es mehr Freiheiten bei der Themenwahl, ob eigene Erfahrungen oder komplexe soziale oder politische Themen, alles ist erlaubt. Georg denkt auch, das „an dem Klischee, dass die deutsche Gesellschaft irgendwie ein seltsames Verhältnis zum Humor pflegt, durchaus was dran ist.“ Hierzulande wird noch zwanghaft zwischen Comedy und Kabarett unterschieden, also in „vermeintlich plattes Zotenreißen und vermeintlich intelligente politische Satire unterteilt.“ Das alte deutsche Problem der Trennung zwischen Bildung und Unterhaltung.

„Let’s make jokes about germans!“

Grenzüberschreitenden Humor und viel Sexualität muss der Zuschauer auf jeden Fall ertragen können. Carmen Chraim aus dem Libanon erzählt auf der Gemüsed-Bühne über Vorurteile gegenüber Arabern, um dann direkt das Hauptthema einzuleiten: „Let’s make jokes about germans!“ Dabei dürfen auch die Nazis nicht fehlen. Der Kanadier Daniel-Ryan Spaulding erklärt, dass die Deutschen unglaublich einfach gestrickt sind. Man muss nur sagen: Hey, das ist nicht erlaubt! Und schon lenken sie mit einem „Oh, sorry, ok.“ ein. Stefan Danziger setzt dann seine logische Schlussfolgerung oben drauf: „I think there was no need to build the wall!“

Die Engländerin Caroline Clifford gehört zu den wenigen Frauen, die regelmäßig mitmischen. Sie ist eigentlich Programmiererin und malt auch Comics. Seit 2011 ist Neukölln ihr Zuhause. An Talent allerdings fehlt es den Damen sicher nicht. So erzählt Caroline, dass sie sich eine neue Sexstellung namens Vogelspinne ausgedacht hat. Das ist wenn sie Sex hat, nachdem sie sich drei Wochen lang nicht die Beine rasierte.

Die Atmosphäre der Shows ist überwältigend, weil alle lieben, was sie tun. Dabei hätte der Amerikaner Paul Salamone vor sieben Jahren wohl selbst nicht geglaubt, dass er seine Berufung als Stand-Up-Comedian in Berlin finden würde. Abseits der Bühne ist er ein sehr angenehmer, kluger Gesprächspartner, dem man nicht anmerkt, dass er professionell Witze erzählt. Eine schwarze Hornbrille ziert sein jugendliches Gesicht. Er ist 36 Jahre alt, könnte aber auch als Ende 20 durchgehen. „Das höre ich oft“, sagt er. Es scheint ihn nicht zu stören.

„Scheitern muss gelernt werden“

Eigentlich ist er Grafiker. In den USA gründete er mit seiner damaligen Freundin eine kleine Firma, die gleichzeitig auch sein zu Hause war. Die Mieter über der Wohnung gaben eine Dinner Party und vergaßen, die Kerzen auszumachen. In einer Nacht im Mai 2007 verbrennt die Wohnung, die Firma, fast sein ganzes Leben versinkt in Schutt und Asche. Die Versicherung von 125 Dollar pro Jahr haben sie nicht abgeschlossen. Im September 2007 zieht er nach Berlin, eigentlich will er nur drei Monate bleiben. Er hat dieses Bedürfnis, Deutsch zu lernen und möchte einen Strich ziehen.

„Man sollte jede Gelegenheit nutzen, auf der Bühne zu stehen“, sagt Paul, „das Scheitern muss gelernt werden“. Nachdem seine Beziehung der Distanz nicht standhält, will er sein Selbstbewusstsein wieder haben, also geht Paul auf die Bühne. 2008, als er anfängt, gibt es genau eine regelmäßige englische Comedy-Nacht pro Monat. Er redet sich durch kleine Bars, kreiert seine eigenen Shows – mittlerweile tourt er durch ganz Europa. Die Szene wird größer, zieht mehr junge Leute an, sogar Radio Fritz will ein Interview. Inzwischen kann man in Berlin an manchen Tagen der Woche sogar zwischen zwei englischsprachigen Comedy-Shows wählen. Trotzdem konstatiert Paul trocken, dass niemand dieser Comedians in Berlin bisher davon leben kann. Vielleicht liegt es daran, dass der Bekanntheitsgrad noch nicht groß genug ist, oder es Berührungsängste gibt. Denn wer einmal dabei war, der kommt auf jeden Fall wieder.

„Deutsche Comedy-Formate sind oft technisch sehr professionell“, sagt Paul, „aber für mich sind die Witze wichtiger.“ Alles, was er braucht, ist ein Mikrofon.  So sitzt der Zuschauer auf irgendeiner alten Sitzgelegenheit, nippt an seinem Bier, ist eingenommen von der angenehmen Atmosphäre, kugelt sich vor Lachen und fragt sich bereits nach dem zweiten Comedian wie es sein kann, dass diese höchst talentierten jungen Menschen noch immer in irgendeiner rauchigen Bar am Existenzminimum kratzen.

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