„Keinen reinen Konsumscheiß“

Ahoj! Souvenirmanufaktur

Die Ahoj! Souvenirmanufaktur, Bild: Aktion KMS

Neukölln to go – handgefertigte Andenken an Neukölln und von Neuköllnern gibt es in der Souvenirmanufaktur Ahoj.

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Samstag, 12. März 2011

Inhaberin Tanja Dickert

Wer nach Paris reist, kehrt oft mit einem Schlüsselanhänger in Form eines Eifelturms zurück; wer in London war, erstaunt Freunde und Bekannte mit einem Big Ben von drei Zentimetern Größe und Berliner Touristen freuen sich wahlweise über Miniaturen des Brandenburger Tores, des Fernsehturms oder seit 1989 auch über ein echtes – nach Möglichkeit bemaltes – Stück Mauer.

Wer nach Neukölln reist, kommt zwar mit einem Berg kurioser und aufregender Geschichten zurück, dafür jedoch meist mit leeren Händen. Damit unerschrockene Besucher des Problembezirks auch ein materielles Andenken mit nach Hause nehmen können, um sich dort vor ungläubigen Familienmitgliedern mit ihrer Abenteuerreise zu brüsten, eröffnete die Künstlerin Tanja Dickert 2007 ihre Souvenirmanufaktur Ahoj. Zunächst ansässig in der Braunschweiger Straße, zog der kleine Laden punktgenau zum Kunst- und Kulturfestival 48 Stunden Neukölln im Juni 2010 in die Hertzbergstraße 1, direkt an den Richardplatz – dem Kern des historischen Rixdorf’.

Tritt man durch die schmale Tür des Eckhauses ins Ladeninnere umgibt einen unerwartet viel Platz. Statt zwischen vollgeramschten Regalen, in denen es unablässig blinkt und glitzert, wie man es sonst aus gängigen Souvenirläden kennt, findet man sich in einem ruhigen, aufgeräumten Raum mit einer überschaubaren Auswahl wieder. Bei Vielem ist der Neukölln-Bezug sofort ersichtlich, so beispielsweise beim Neuköllnisch Wasser – einem gefährlich grünen Kräuterlikör oder dem süßen Pendant aus Honig, der Rixdorfer-Süßen sowie den Rixdorfer-Glückskugeln, die man sich für ein paar Cent aus den quietschbunten, altmodischen Kaugummi-Automaten ziehen kann.

Eingang zur Souvenirmanufaktur "Ahoj"

Eingang zur Souvenirmanufaktur „Ahoj“

„Bei einigen Sachen, die ich verkaufe, fragen die Leute sich aber auch: ‚Und was hat das nun mit Neukölln zu tun?’ Aber alles, was hier steht, muss zumindest einmal von einem Neuköllner angefasst worden sein.“, erzählt Tanja Dickert. Da gibt es zum Beispiel das Kochbuch: Die Linse ist global. Die Idee dazu stammt von Ralf Döbbeling, Pfarrer der Stadtmissionsgemeinde Neukölln, der von der Vielseitigkeit des bisher eher weniger be- und geachteten Gemüses begeistert ist. Eine Alternative zu überzüchteten und überteuerten Schnittblumen als Gastgeschenk sind die bunten Nudelsträuße einer Neuköllner Hausfrau, die sich damit Etwas dazuverdient. „Das ist das Schöne an dem Konzept, dass man Leute, die bisher gar nicht gestalterisch tätig waren, motivieren kann, kreativ zu sein, was Neues auszuprobieren.“, schwärmt die 38-jährige Ladeninhaberin. Die vielen nostalgischen Blechschilder, die Dickert verkauft, werden in einem Neuköllner Betrieb gefertigt, dort werden auch die Aufkleber gedruckt. Auf einem steht: Rixdorf Royal. Tadel verpflichet – Tugenden, die einige Kilometer nordwestlich, im Regierungsviertel in Berlin-Mitte, bisweilen in Vergessenheit geraten.

„Am beliebtesten sind jedoch die zahlreichen Buttons, besonders der Neukölln macht glücklich-Button.“ Simpel, aber originell – das ist das Prinzip der Souvenirmanufaktur.

Tanja Dickert ist das, was man neudeutsch eine Networkerin nennt. Aber sie benötigt dafür weder Facebook noch Xing, sie setzt lieber auf lokal – statt global. Dickert ist Mitglied der Kreativen Gesellschaft Berlin und der Künstlerkolonie Rixdorf. Sie gibt Führungen im Böhmischen Dorf und organisiert Kulturfestivals des Kiezes mit. „Es geht mir hier um den sozialen Aspekt. Ich will keine reine Konsumscheiße. Nur soviel, dass ich die Miete bezahlen kann.“ Dafür wandte sie sich 2007 an die EU und beantragte Fördergelder im Rahmen des europäischen Projektes Lokales Soziales Kapital, das ihr die Ladenanmietung ermöglichte.

Viel Laufkundschaft hat die Souvenirmanufaktur Ahoj noch nicht, die meisten Kunden kommen aus der Nachbarschaft. „Aber man bemerkt eine leichte Veränderung. Es kommen auch schon öfter mal ausländische Touristen hier rein.“, erzählt Dickerts Mitarbeiter, der seit seiner Kindheit im Kiez lebt.

Wichtig ist der Ladeninhaberin außerdem ein Stück lokales Geschichtsbewusstsein zu vermitteln. „Ein Migrationsproblem gibt es hier seit 1737. Das ist kein neues Problem des Bezirks.“ Anfang des 18. Jahrhunderts erlaubte Friedrich Wilhelm I. die Ansiedlung böhmischer Glaubensflüchtlinge, die ihre Sprache und Gepflogenheiten mit ins damalige Rixdorf brachten. Der in Tschechien unter Freunden übliche Gruß Ahoj, der sich in der Folge auch unter den Rixdorfern etablierte, wurde zum Namensgeber der Souvenirmanufaktur. Ein Comic mit dem bedeutungsvollen Titel Weltreiche erblühten und fielen, der die 650-jährige Geschichte Rixdorf’ erzählt, und ein Kunst- und Architekturführer, der vom Jugendstilbad am Rathaus Neukölln bis zur Gropiusstadt alle baulichen Sehenswürdigkeiten erläutert, lassen sich somit ebenfalls in den Regalen finden.

Wie wohl in jedem Souvenirladen dieser Welt gehen jedoch auch in Neukölln Kunst und Kitsch oftmals fließend ineinander über. Doch was anderswo billig produzierte Ramschware ist, wird hier in limitierter Auflage handgefertigt. Außerdem besteht die Möglichkeit, sein ganz persönliches Neuköllner Souvenir anfertigen zu lassen.

Paris hat den Eifelturm, London Big Ben und Berlin-Mitte den Fernsehturm – und Neukölln? Falls es doch einmal ein Wahrzeichen und mit ihm einen entsprechenden Schlüsselanhänger geben sollte, würde das, ginge es nach Tanja Dickert, die Rixdorfer Rieke, eine von ihr entworfene Figur eines tanzenden Mädchens – aber dann natürlich: Made in Neukölln.

Zur Souvenirmanufaktur „Ahoj“