Mandy hat Angst vorm Hermannplatz

Business am Hermannplatz: Coffee, Streetfood und Startups; jung, innovativ und schön. Mandy erkundet im fünften Teil unserer Rollberger Geschichten die neue Neuköllner Hipness und erlebt dabei einige Überraschungen.

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Mittwoch, 7. Juni 2017

Zeichnungen: Frauke Boggasch

(Alle Zitate Dritter in dieser Erzählung sind weder frei erfunden noch sind sonstige Ähnlichkeiten mit der Realität rein zufällig.)

„Ick meine, ditt was really too strange!“ „Mandy!“ knurrte ich. „But I have to practice!“ beharrte sie und klimperte kokett mit den Augen. Ich wurde lauter: „MANDY!!!“ Sie schien einzusehen, dass ich keine Lust hatte, mir das Ganze auf Englisch anzuhören.
Um Englisch zu üben, sei sie zum Streetfood-Donnerstag auf den Hermannplatz gegangen. Als Erstes habe sie einen Kaffee gewollt. „Und der unrasierte Typ hinter seiner Dreiradkaffeemaschine kiekt mir an und sacht: »Watt?!«“
Als sie endlich doch einen Cappuccino bekommen hatte, habe sie sich unter eins der Zeltdächer gesetzt, direkt neben einen Mann und eine Frau, beide höchstens dreißig und verdammt schick, also sie hätten nicht nach „born in Neukölln“ – „MANDY!!!“ – ausgesehen. Die ganze Zeit hätten sie über die Vergrößerung ihres „»Collective’s«“ gesprochen. Und dann sei es um Wohnungen gegangen und wieder um Vergrößerung und Coworking. „Ditt is doch ‘n Ding! Ick habe jegooglet. Die nennen sich »Collective«, verkofen sich als »Freelancer« und vermieten Schreibtische für zweihundertfünfzig Euro im Monat! In Neukölln! Zweihundertfünfzig!“
Dann hätten sich zwei junge Männer neben sie gesetzt und über „»travelling between London, New York, and Berlin because of actual projects«“ – „MANDY!!!“ – gesprochen. Sie hätte nicht alles verstanden, aber schließlich habe der eine gesagt – auf Englisch, aber sie übersetze jetzt: „»Es reicht nicht, 5 Prozent besser als die anderen zu sein. Du musst mindestens zehnmal so gut sein.“ Und dann hätten sie von 12, 13, 14 und mehr Stunden Arbeit am Tag gesprochen: „»Twentyfourseven.«“ – „MANDY!!!“ – „Ick meine: Die waren vielleicht Mitte 20!“
Und dann hatte sie anscheinend etwas völlig aus der Fassung gebracht. Zwei junge Frauen am Nachbartisch seien ihr aufgefallen: Nasenpiercing, grünlich gefärbte Haare, rote Strumpfhose mit Laufmaschen und schwarzer Minirock die eine; waagerechter, scharf geschnittener Pony mit Undercut, schwarzes Top und Leopardenleggins die andere: „Vintage, Weserstraße, bestimmt! They talked about their flatmate and love!“ – „MANDY!!!“ – „Mitbewohner und Liebe, ditt verstehste doch, oder?!“ Die eine sei traurig gewesen und die andere habe pausenlos geredet. Die Traurige habe eine Affäre mit einem Mitbewohner gehabt, sei aber eigentlich mit einer Mitbewohnerin zusammen. „Der jing et natürlich elend.“ Da habe die andere gesagt: „»If it is that, what you want, then just do it. Don’t care about other people. Don‘t care about morals.«“ – Mandy sah in diesem Moment so verletzlich aus, dass ich mir meinen Einspruch verkniff. – „Und dann sacht se noch: »Don’t care about all this friendshipshit!« – »Friendshipshit«!“ Sie zupfte ihren dunkelgrauen Freizeitanzug zurecht und kraulte den leise knurrenden Jan Klode unter seinem breiten Unterkiefer. Dabei blickte sie über die Balkonbrüstung hinweg tieftraurig ins Nirgendwo eines bewölkten schmutzfarbenen Neuköllner Abendhimmels. „Niemals wieder werde ich dort hingehen“, sagte sie noch. Und ich dachte: „Jetzt hat Mandy tatsächlich Angst vorm Hermannplatz.“

 

 
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