Grenzen der Beteiligung

Platz der Stadt Hof heute: City-Toilette und Asia-Snack als Hauptattraktionen

Die Karl-Marx-Straße soll lebenswerter, bunter und erfolgreicher werden – so das Ziel. Ein Bericht vom Infoabend über die geplanten Veränderungen und Baumaßnahmen. (mehr …)

Mittwoch, 22. Februar 2012

Dienstagabend, 18 Uhr. Ein Infoabend im Rathaus Neukölln. Köln-Zimmer, erster Stock. Die Volkshochschule Neukölln hat eingeladen, um über die geplanten Veränderungen im Rahmen der Aktion Karl-Marx-Straße zu informieren. Referent: Horst Evertz von eben der „[Aktion! Karl-Marx-Straße]“.

18 Menschen sind gekommen, meist ältere. Der Sitzungssaal ist etwa zur Hälfte gefüllt. „Mit soviel Andrang hatte ich nicht gerechnet“, sagt der Vertreter der Volkshochschule.

Als kleine Einleitung erklärt er die Hintergründe der Aktion: Bei der Konferenz von Rio 1992 ist die Agenda 21 beschlossen worden. Danach könne dem katastrophalen Ressoucenverbrauch der Welt nur das Konzept der Nachhaltigkeit entgegengesetzt werden. Auf der lokalen Ebene heißt das, dass die autofähige Stadt der zukunftsfähigen Stadt weichen müsse. Gleichzeitig müsse man die Schwächeren vor den Stärkeren schützen.

Alle dürfen mitmachen

Zentral für die Verbesserung der Lebensumstände ist die Partizipation. Referent Horst Evertz erklärt das Konzept des bottom-up, dass also Entscheidungen über Maßnahmen nicht von oben aufgedrückt werden, sondern zumindest in Kollaboration mit den betroffenen Bewohnern entwickelt werden. So habe man es beispielsweise mit der Planung bei der Erneuerung des Platz der Stadt Hof gemacht. „Stimmt nicht!“, ruft ein älterer Herr. Er wohne direkt am Platz, seit 62 Jahren, und er sei nicht gefragt worden.

Der Platz der Stadt Hof soll erweitert werden. Bäume sollen gepflanzt werden. Der Boden mit verschiedenen Mosaiksteinen ausgelegt werden. Ein Stein für jeden Neuköllner, 300.000 insgesamt. Die Anordnung der Steine soll die kulturelle Vielfalt symbolisieren. Das heißt: Jeder Stein, der eine Nationalität repräsentiert, wird auch aus diesem Land importiert. Dabei wird natürlich darauf geachtet, dass diese Steine pflegeleicht sind. Nachhaltigkeit geht bis ins Detail. Die Deutschen werden übrigens von einem Stein namens Grauwacke repräsentiert.

Ganghoferstraße wird dichtgemacht

Evertz versucht die bisherigen Aktionen darzustellen, mit denen eine Bürgerbeteiligung initiiert werden sollte. Etwa die blauen „Sitzgelegenheiten“, die im Sommer 2010 auf dem Platz der Stadt Hof standen, und überraschend positiv aufgenommen worden wären. Doch das interessiert den älteren Herrn wenig. „Werden sie nun die Ganghoferstraße dichtmachen oder nicht?“, will er wissen. „Dazu komme ich gleich“, beschwichtigt Evertz. Die Ganghoferstraße wird dichtgemacht. Zufahrt zu Richard- und Ganghoferstraße nur noch über die Anzengruberstraße.

Das war die Information, die der ältere Herr wissen wollte. Während Evertz weiterspricht, steht er auf: „ Schönen Dank. Schönen Abend. Tschüss.“ Und geht.

Hässliche Beleuchtung

Veränderungen rufen Ängste hervor und auch Protest. Eine Dame mischt sich immer wieder ein. Als Evertz über die geplante, durchgehende Beleuchtung der Karl-Marx-Straße referiert, platzt ihr der Kragen. Es sei unterträglich, beschwert sie sich, dass schon jetzt der Rathausturm die ganze Nacht beleuchtet wird. Sie fände das hässlich und es sei unnötiger Stromverbrauch.

Ihr Argument: Wenn die Bürger darüber entscheiden sollen, was gemacht wird, müssten sie auch gehört werden. Sie findet es hässlich. Zählt ihre Stimme etwa nicht? Der Versuch, ihr zu erklären, dass bei so einem umfangreichen Projekt Geschmacksfragen nicht endlos eine Rolle spielen könnten, scheitert. Evertz nennt es „Grenzen der Beteiligung“.

Zudem würden durch den Einsatz von Energiesparlampen die Stromkosten auf ein Bruchteil der heutigen Ausgaben gesenkt. Ziel der Beleuchtung sei es, die objektive Sicherheit, etwa für Fußgänger und Radfahrer, als auch die subjektive Sicherheit zu verbessern. Die Dame ist nicht zu überzeugen. „Hässlich“, ist ihr Urteil zu den Beleuchtungsfragen.

„Können wir bitte mit dem Thema weitermachen?“, fordern immer mehr der Anwesenden. Langsam wird die Stimmung vergiftet.

Jung, Bunt, Shoppingmall

Einkaufen stehe nicht mehr im Mittelpunkt, erklärt Evertz weiter, denn Shopping werde immer mehr zum Event. Deshalb sei es wichtig, neben Einkaufsmöglichkeiten auch gastronomische und kulturelle Angebote einzubinden. Das Konzept der Mall scheint man nicht totzukriegen. Nun trifft es also die Karl-Marx-Straße, die ja den Vorteil hat, viele Geschäfte zu haben und viele Künstler, die in der Nähe wohnen. Das gastronomische Angebot allerdings könne erweitert werden. „Wieso, wir ham doch eenen Döner neben dem anderen“, kommt ein kurzer Zwischenruf.

Jung, Bunt, Erfolgreich. So sieht die Aktion Karl-Marx-Straße den Bezirk Neukölln. Oder zumindest Nordneukölln.

Neukölln bleibt Neukölln

Am Ende dürfen Fragen gestellt werden. Die Frau, die das Licht hässlich findet, hat noch einen weiteren Punkt. Die Bäume. Warum soviele gefällt werden, warum so wenig neue gepflanzt. „Es findet ein Baumholocaust in Berlin statt.“ Sie sagt tatsächlich Holocaust. 10-15 zusätzliche Bäume könne man pflanzen, erklärt Evertz mit bemerkenswerter Contenace. Mehr sei nicht drin.

Als allerletztes kommt eine junge Frau mit Fragen dran. Wie die Aufwertung die Mietpreise beeinflusse, inwieweit das beachtet werde. Das Gespenst Prenzlauer Berg. Inwieweit wäre die kulturelle Vielfalt, mit der sich Neukölln zu rühmen pflegt, dann noch gewährleistet?

Evertz erklärt, dass es ein wichtiger Punkt sei, über den man den ganzen Abend referieren könne. Aber jenseits aller Bemühungen, die von der Aktion Karl-Marx-Straße geleistet würden zu dem Thema, habe er wenig Sorgen. 80 Prozent der Häuser in Nordneukölln gehörten privaten Einzelbesitzern. Und es sei von jeher ein Stadtteil der Zuwanderung gewesen. Klar, manche Dinge würden sich verändern, aber: „Neukölln bleibt Neukölln.“

Was auch immer das im echten Leben bedeuten mag.

Kommentare:

  • matthias sagt:

    (vorab: ich war auch vor Ort. Leider kommt mein Kommentar nun etwas spät, weil ich diesen Artikel erst jetzt gefunden habe.)

    in dem Zusammenhang mit dem Etikett „Agenda21“ und „Bürgerbeteiligung“ finde ich ja die Frage spannend, wie das im konkreten Fall „Aktion! Karl-Marx-Straße“ aussieht.
    Ist es denn so, dass die AnwohnerInnen über die Umstrukturierung als solche, also dass die KMS zum Sanierungsgebiet ausgerufen wurde, wobei es ausdrücklich nicht um Mängel im Wohnungsbestand geht, sondern allein um die Attraktivität als zentrale Einkaufsstraße, mitentschieden haben? Gab es diesen Bedarf bei den AnwohnerInnen tatsächlich, oder stecken dahinter nicht doch allein Investoren- und Händlerinteressen?
    In meinen Augen ist es einfach nur dreistes Marketingkalkül, wenn die ganze Zeit von Bürgerbeteiligung gesprochen wird, die grundlegenden und richtungsweisenden Entscheidungen aber längst gefällt wurden, bevor man die AnwohnerInnen zur „Partizipation“ eingeladen hat. Die dürfen sich dann gerne über die Farbe des neuen Asphaltes oder über die Anzahl der Parkplätze streiten und dann auch gerne so viel pöbeln, wie sie wollen. Hauptsache am Ende wurde allen das Gefühl von Beteiligung vermittelt. Schließlich ist die Identifikation das Hauptziel einer jeder Marketingkampagne.
    Dabei geraten dann andere essentielle Fragen völlig in den Hintergrund. Fragen, die für die BürgerInnen doch eigentlich noch viel wichtiger sein sollten, schließlich geht es um einen ordentlichen Batzen Geld, um die Verteilung öffentlicher Gelder. Wieviel fließt wofür und wohin? und wer sind die eigentlichen Nutznießer? Braucht der Bezirk Neukölln vorrangig Investitionen in die Konsumstruktur? Wären die Gelder im Sinne der gepriesenen Nachhaltigkeit nicht doch besser in sozialstrukturelle Maßnahmen (Bildung, Integration, soziale Einrichtungen usw) zu stecken? Darüber hat doch nie irgendein Anwohner je entscheiden können. Wenn es ums Geld geht, hat er/sie das Maul zu halten.

    Umso dummdreister ist es, wenn der Herr Evertz es auch noch als Erfolg der ganzen Kampagne verkaufen will, dass man sich in den Verhandlungen mit den Besitzern/Investoren der alten Kindl-Brauerei darauf geeinigt hat, die Kosten für einen weiteren öffentlichen Zugang zum Gelände (Treppenaufgang Neckarstr) zu teilen (habe leider nicht mehr die Zahlen im Kopf, aber es handelt sich um mehrere Millionen Euro). Die Besitzer sollten doch von sich aus schon ein starkes Interesse daran haben, dass ihr Gelände gut und von allen Seiten zugänglich ist, um das dort angesiedelte / geplante Gewerbe (Kultur, Gastronomie, etc.) rentabel zu gestalten. Warum muss da die öffentliche Hand nochmal reinbuttern?

    Überhaupt… dass sich Evertz, BSGmbH und Co sich als Anwalt der Bürger und der öffentlichen Hand darstellen, ist unerträglich. In erster Linie sind sie Vertreter der Immobilienwirtschaft und verfolgen somit ganz andere Interessen, als die der mietenden Anwohner, was sie aber in ihrer Außendarstellung natürlich tunlichst vermeiden.

    Insgesamt war diese „Infoveranstaltung“ mE also nur eine weitere Marketingpropagandashow der finanzkräftigen Akteure hinter der „Aktion!Karl-Marx-Strasse“. „bottom-up“?!? ja fürn Ar***!!!

    gruß
    matthias