Die Geschichtenmanufaktur

„Hallo, ich heiße Panal und bin 27 Jahre alt. Ich koche gern und ich koche auch selbst erfundene Rezepte.“

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Mittwoch, 28. September 2011

Sprache ist elementar. Mit Sprache entdecken wir die Welt, mit ihr lernen wir sie verstehen, mit ihr bauen wir Beziehungen auf. Da wir den ganzen Tag reden, sollte Sprache auch Spaß machen. Im Sommer 2008 schrieb ich das Konzept zur „Geschichtenmanufaktur“, einem Workshop für Kinder in dem sich alles um Sprache, das Geschichten erzählen und schreiben dreht. Was ist Sprache? Was ist eine Geschichte? Wovon will ich erzählen und wie mache ich das am besten? Wie beschreibe ich Menschen und das, was sie tun und empfinden? Am Ende wenden die Kinder und Jugendlichen das Geschichtenschreiben auf sich selbst an. Sie sollen sich vorstellen, wie ihr Leben einmal aussehen könnte.

„Mein Name ist Mahmoud. Ich bin 6 Jahre alt. Ich arbeite als Astronaut. Eines Tages kam ein Einsatz. Ich musste zur Milchstraße fliegen. Hoffentlich vergesse ich meine Eltern nicht, wenn ich so lange weg bin, dachte ich. Es ist sehr spannend die Welt aus dem All zu sehen.“

Seit Herbst 2008 habe ich 16 Geschichtenmanufakturen an Berliner Schulen und in deutschlandweiten Bildungsmaßnahmen geleitet und viel gelernt. Ich habe mit Kindern aus Einwandererfamilien der 2. und 3. Generation zusammen gearbeitet und mit jugendlichen Flüchtlingen, die erst seit wenigen Jahren in Deutschland sind. Junge Frauen und Männer, die junge Mütter und Väter geworden waren. Eine junge Afghanin, die von Unterdrückung durch die Taliban erzählte und nun glücklich war, wieder lernen zu dürfen, junge türkische Männer die nach Deutschland verheiratet wurden, ein junger Iraker, der über seine Flucht schrieb, und Jugendliche, die das deutsche Schulsystem durchlaufen hatten und doch fast Analphabeten waren.

Ich habe eine Welt kennen gelernt, die jener, in der ich selbst aufgewachsen bin, fremd war. Ich bin mit Kunst, Kultur und einem riesigen Bücherregal groß geworden, mit Ausflügen und Reisen, mit Gesangs- und Klavierunterricht, mit Töpfer- und Theaterkurs und Medienworkshops in den Ferien. Ich war oft erstaunt, was für Bildungslücken die Kinder hatten, wie schwer es ihnen fiel, Zusammenhänge zu erkennen oder Jahreszeiten zuzuordnen.

In der Geschichtenmanufaktur haben viele Kinder zum ersten Mal Geschichten geschrieben, Menschen auf dem Papier erschaffen, Hexe und Held gegeneinander antreten lassen und ihre Texte vorgelesen. Sie haben sich in Theatersportübungen selbstbewusst und schüchtern erlebt und sich selbst besser kennen gelernt. Wenn Kinder erzählen, wie es ihnen geht, wenn der vermeintliche Macho Liebesgeschichten schreibt oder ein Mädchen auf gar keinen Fall heiraten will, entdecken auch die Lehrer ganz neue Seiten an ihren Schülern.

„Später möchte ich Apothekerin werden und viel Geld verdienen, damit ich meiner Familie im Libanon helfen kann.“

In acht Projekten ist am Ende ein Buch mit den Zukunftsgeschichten der Kinder und Jugendlichen entstanden. In diesen Geschichten sind sie Abenteurer, Fußballer oder Models, Bauer, Forscherin, Schafhirtin oder Lehrer… Sie leben verstreut über die ganze Welt, haben Kinder oder leben allein. Da werden klassische Rollenverteilungen ausprobiert oder eben abgelehnt. Die entstandenen Geschichten sind allesamt entzückend, mal traurig, mal witzig, mal abenteuerlich, sie geben auch manchmal zwischen den Zeilen Einblick in die Gefühls- und Erfahrungswelt der Kinder.

Gut 160 Kinder aus Neukölln haben in den letzten Jahren nach dem Projekt ihr eigenes Buch in den Händen gehalten und hatten plötzlich einen ganz neuen Blick auf das Medium Buch.

Um diesen Geschichten eine weitere Plattform zu geben, erscheinen sie nun regelmäßig auf neukoellner.net.

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