Mit seinem Herz hängt Bernd Girke (72) nicht an dem Kiehlsteg am Weichselplatz in Neukölln. Für den Anwohner, der seit seiner Geburt in der Weichselstraße wohnt und den Bau der Mauer und des Stegs im Jahr 1962 miterlebt hat, erfüllt der 33 Meter lange Fuß- und Radfahrerüberweg vor allem eine praktische Funktion. Dennoch ist der Senior gegen den Abriss, der Anfang der Woche stattfinden soll. Am Samstagvormittag trafen sich Anwohner und Mitglieder der Bürgerinitiative „Kiehlsteg erhalten“, um gegen den geplanten Abriss von Seiten der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zu demonstrieren. Warum der Steg abgerissen werden soll, weiß niemand. Nur Mutmaßungen werden bei den Demonstrierenden laut. Von zu hohen Instandhaltungskosten ist die Rede, ebenso von dem unansehnlichen Äußeren. „Eine Aussichtsplattform steht dem Ufer besser“, vermutet einer der Anwesenden als Motivation für den Abriss. Ein anderer unterstellt der Senatsverwaltung, dass sie die historische Bedeutung des Stegs ausradieren wolle.
Auf der Karte ist der Steg eingezeichnet
Transparente und bunte Schnüre zieren den hölzernen Handlauf des Stegs. Auf einem grünen Pappkarton kleben Bilder, die Fotos des Ortes zu DDR-Zeiten zeigen. Sie lassen erahnen, welche Bedeutung der mittlerweile verwitterte Steg für die Bürger damals hatte. Es ist kurz vor zwölf Uhr und der kleine Platz am Kanal füllt sich mit immer mehr Anwohnern, Kindern und Hunden. Die Stimmung ist locker und friedlich. Bunte Ballons werden an die Kinder verteilt, Mütter und Väter stehen zusammen, trinken Kaffee aus Thermobechern und plaudern. Tom Küstner (35) beantwortet Fragen und tauscht sich mit Demonstrierenden über weitere Schritte der Bürgerinitiative aus. Der Anwohner hat die Initiative erst vor wenigen Tagen ins Leben gerufen. „Wie wussten gar nichts und auch jetzt haben wir keine Ahnung“, sagt er leicht angesäuert.
Unprofessionalität gepaart mit Arroganz
Der Grund für seinen Unmut: Vor kurzem lag in den Briefkästen der Anwohner die Zeitung „Karlson“, die das Konzept des Sanierungsgebietes Karl-Marx-Straße und Sonnenallee präsentiert. Auf einem großen Faltplan sind mit verschiedenen Farben die geplanten Veränderungen markiert. Auf diesem Plan ist der Kiehlsteg eingezeichnet – ohne farbige Kennzeichnung. „Laut dieser Karte soll es also keinen Abriss geben“, betont Küstner und tippt mit seinem Zeigefinger auf die betreffende Stelle. Seiner Ansicht nach sei über einen internen Dienstweg in der Behörde beschlossen worden, dass der Steg doch abgerissen werden soll. Der Kopf der Bürgerinitiative ärgert sich über die fehlende Kommunikation von Seiten der Politik und der Behörde. „Ich unterstelle denen ja nicht, dass sie uns böswillig Infos vorenthalten. Es wird einfach nur eine Unprofessionalität an den Tag gelegt, gepaart mit Arroganz,“ sagt Küstner.
Sanierungskosten in Höhe von 260.000 Euro
Weder er noch die anderen 15 Mitglieder der Initiative wissen, an wen sie sich konkret mit ihren Fragen bei der Behörde wenden sollen. „Wir wissen nicht, wer verantwortlich für den Abriss ist, wer ihn in Auftrag gegeben hat und warum die Sanierungskosten von 260.000 Euro so hoch sind.“ Küstner glaubt, dass es auch billiger geht. Aus diesem Grund will die Initiative ein Konzept einreichen. Die Kosten sollen dabei unter 40.000 Euro liegen. Den Steg unter Denkmalschutz zu setzen, hat die Bürgerinitiative bereits versucht – ist aber mit ihrem Vorstoß gescheitert. „Das kann nur der Eigentümer, also das Land Berlin und kein Bürger“, erklärt Andrea von Lieven, die Mitglied der Bürgerinitiative ist, Unterschriften sammelt und Flyer verteilt.
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Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass eine Aussichtsplattform gebaut werden soll. Wann das passiert und wie viel sie kostet, weiß niemand. „In trockenen Tüchern ist da noch nichts“, betont Küstner und lächelt entspannt. Das erste Mal an diesem Tag, denn die Zeit läuft gegen die Bürgerinitiative.