Interview: Undine Hill, Fotos: Anna Blattner
neukoellnernet: Wäre ich ein junger, für Körperverletzung verurteilter Neuköllner – könnte ich dann sagen: Ok, statt Gefängnis wähle ich 40 Stunden Fahrradreparatur im „Statt Knast“?
Omer Džananović: Nein, so einfach läuft das nicht. Wird ein Jugendlicher verurteilt, kann er dem Gefängnis entgehen,wenn er einer sozialpädagogischen Einrichtung wie dem Statt Knast empfohlen wird. Entscheidend ist hier aber das Votum der Staatsanwaltschaft. Je nach Schwere der Tat muss der Jugendliche dann zu einem Beratungsgespräch kommen, Sozialstunden leisten, oder teilweise auch an einem Kompetenztraining teilnehmen. In diesem veranstalten wir meist Rollenspiele. Das ist oft sehr hart für die Jugendlichen. Oft lernen sie erst über dieses Training, sich in ihre Oper hineinzufühlen und nehmen ihre Rolle als Täter an. Die häufigsten Fälle beinhalten jedoch 20-40 Sozialstunden, in denen die Straftäter zum Reparieren der Fahrräder herkommen. Sie können sich außerdem in unserer Siebdruckwerkstatt kreativ betätigen oder sogar lernen, Origami zu falten.
Machen Jugendliche bei Ihnen tatsächlich Origami?
Es war ein Experiment und hat erstaunlich gut funktioniert. Bei diesen Feinstarbeiten kommen viele erstaunlich gut zur Ruhe. Das ist genau der Zustand, den wir erzeugen möchten.
Warum ist diese innere Ruhe so wichtig?
Die Meisten sind erst sehr verschlossen und blocken ab, wenn sie hier ankommen. Wenn sie sich allerdings auf das Reparieren der Fahrräder konzentrieren und dabei Hilfestellungen von uns entgegen nehmen, baut sich die Blockade langsam ab. Diesen Moment nutzen wir, um an sie heranzukommen. Sobald wir das Gefühl haben, dass ein Jugendlicher bereit ist zu reden, holen wir ihn aus der Werkstatt und setzen uns gemeinsam mit seiner Tat auseinander.
Wer hat sich den Statt Knast ausgedacht?
Statt Knast entstand in den 80ern, getragen vom Nachbarschaftsverein Neukölln. Damals haben Sozialarbeiter in Neukölln nach einer Lösung gesucht, Jugendlichen eine Chance zu geben, die wegen kleineren Vorfällen verurteilt werden. Denn oft spielt mangelnde soziale Integration eine große Rolle bei der Entscheidung zu einer kriminellen Handlung. Und eben diese wird nicht gerade verbessert, wenn sie zusammen mit Schwerstraffälligen im Gefängnis sitzen. Das Konzept, in Werkstätten Straftaten sozialpädagogisch aufzuarbeiten, wurde gut von der Justiz angenommen und als Alternativprogramm in das Strafverfahren integriert.
Scheitern Sie auch mal?
Das ist natürlich personenabhängig, aber da die meisten Jugendlichen bei uns einen Migrationshintergrund haben, hilft es schon, dass ich selbst Bosnier bin. Es ist absolut notwendig, immer die Autorität zu wahren. In manchen Fällen hat ein Jugendlicher absolut keinen Bock und lehnt sich gegen uns auf. Einige versuchen, uns über den Tisch zu ziehen. Wenn wir denjenigen dann nicht umstimmen können, verlieren wir ihn. Die Konsequenz ist, dass wir an die Jugendgerichtshilfe rückmelden müssen, dass er seine Auflagen nicht erfüllt hat.
Um die Jugendkriminalität in Neukölln in den Griff zu kriegen – was ist aus Ihrer Sicht am wichtigsten?
Die Jugendlichen sollen durch uns besser verstehen, was es bedeutet, sich in der Gesellschaft zu bewegen und welche Verhaltensweisen nicht akzeptiert werden können. Bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund können die Außenwelt und natürlich Sanktionen als einen starke Bedrohung wahrgenommen werden. Die Familien und Gangs bilden den Rückzugsort, in dem sich alle gegenseitig unterstützen. Körperverletzungen haben hier häufig eine Schutzfunktion, wenn die Familie oder Gang der Jugendlichen ins Spiel kommt.
Haben Sie gerade einen Jugendlichen hier, auf den das zutrifft?
Ja, den Nihat. Er und seine Freunde haben einen anderen Jugendlichen zusammengeschlagen, der angeblich Nihats Schwester sexuell belästigt haben soll. Das Opfer hat geklagt. Allerdings nur gegen zwei der Täter, die anderen haben das Opfer mit Geld bestochen. Da es sich um leichte Körperverletzung handelte, wurden Nihat und sein bester Freund zu 25 Stunden im Statt Knast verurteilt. Wir haben bereits über die Tat geredet, allerdings gibt es eine gewisse Barriere. Sie haben vorher nicht mit Nihat’s Schwester gesprochen und so kam erst vor Gericht raus, dass das Opfer unschuldig ist. Da schämen sich die beiden natürlich und das macht es für die jungen Kerle schwerer, ihre Tat zu reflektieren.
Hi Nihat – wie ist deine Meinung zum Statt Knast?
Nihat: Es ist schon chillig hier – letztes Mal musste ich Zäune entrosten. Ne, es ist cool hier und Omer ist ein netter Typ. Er sagt sofort, wenn etwas nicht ok ist. Körperverletzung ist schon nicht so schön. Man lernt ja aus seinen Fehlern. Ich glaube nicht, dass ich das nochmal mache. Nächstes Mal, wenn was los ist: 110 ist jetzt mein bester Freund! Außer, wenn es um meine Familie geht.
Und was machst Du nach dem Statt Knast?
Nihat: Ich suche mir was zum Arbeiten. Ich werde mich für ne Ausbildung bewerben. Meine Schwester hilft mir beim Bewerbungen schreiben.
Omer, wie macht sich Nihat bislang?
Omer: 25 Stunden Arbeit sind natürlich nicht viel, um grundlegend etwas an seinen Verhaltensweisen zu ändern. Trotzdem können wir diese Zeit nutzen, um ihm Feedback zu geben, wie Körperverletzung in der Gesellschaft ankommt. Wir versuchen, ihm durch Struktur und Regelmäßigkeit beizubringen, wie er seine Energie sinnvoll einsetzen kann. Nachhaltige Betreuung ist da von großer Bedeutung. Wir vermitteln die Jugendlichen an Jugendclubs aus unserem Netzwerk. In schwereren Fällen regen wir zu einer Familienberatung an.
Der Statt Knast ist eine non-profit Organisation und freut sich über Sachspenden. Fahrräder können gegen Bezahlung zur Reparatur von Dienstag bis Freitag von 16 -20 Uhr abgegeben werden.
www.stattknast.de
Nogatstrasse 31, 12051 Berlin.
Kommentare:
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Rinku Soni
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