Fotos: Emmanuele Contini
neukoellner.net: Wie viele Leute sind an Silvester in der Rettungsstelle vor Ort?
Dr. Maurer: Wir haben von ärztlicher Seite immer Internisten, Chirurgen und Neurologen vor Ort, nicht nur an Silvester. Fachärzte aus anderen Bereichen können wir bei Bedarf dazu rufen. Die Besetzung mit Pflegekräften wird in der Silvesternacht im Vergleich zu normalen Tagen aber etwas verstärkt.
Wo gibt es an Silvester besonders viel zu tun und wie hoch sind die Fallzahlen?
An Silvester behandeln wir vor allem mehr Brandverletzungen und leichte Handverletzungen als sonst, die durch explodierende Böller verursacht wurden. Außerdem landen viele Patienten mit Intoxikationen, d.h. nach dem Konsum von Alkohol oder Drogen in der Rettungsstelle. Das betrifft in erster Linie dann die Unfallchirurgie und den internistischen Bereich. Über einzelne Arten von Verletzungen führen wir aber keine Statistik. Und richtig schwere Verletzungen, wie den Verlust von Fingern, hatten wir zum Glück in diesem Jahr nicht. Fazit: Es war ein verhältnismäßig ruhiger Start ins neue Jahr.
Würden Sie sagen, dass Neukölln ein besonders gefährliches Pflaster zu Silvester ist?
Es gibt vielleicht im Vergleich ein paar mehr Körperverletzungen, aber wir haben als Krankenhaus auch ein sehr großes Einzugsgebiet. Das relativiert die Zahlen auch wieder. Ich konnte in den letzten paar Jahren auch keinen besonderen Anstieg erkennen. Insofern, ist der Bezirk vielleicht auch nicht so gefährlich, wie manchmal dargestellt.
In welchen Situationen müssen die Ärzte die Polizei rufen?
Wir rufen die Polizei, wenn eine akute Bedrohung vorliegt. Dafür haben wir einen Notfallknopf, der direkt mit der Wache verbunden ist. Ansonsten schreitet auch unser Wachschutz ein, wenn es Probleme gibt. Oft sind es gar nicht die Patienten selbst, die für Unruhe sorgen, sondern eher die Angehörigen, die hier ihren Willen durchsetzen wollen. Da versuchen wir nach Möglichkeit schon im Vorfeld zu deeskalieren, damit es gar nicht erst zu bedrohlichen Situationen kommt. Das Personal wird dafür auch extra geschult.
Würden Sie Böller verbieten, wenn Sie könnten?
Da gibt es mehrere Aspekte. Ich glaube, selbst der Landesbranddirektor sagte kürzlich: „Aus feuertechnischen Gründen – Ja“. Damit könnte man viele Wohnungsbrände verhindern. Aus medizinischer, speziell aus handchirurgischer Sicht wäre ein Verbot auch sinnvoll, vor allem wenn zusätzlich noch Alkohol ins Spiel kommt. Aber andererseits scheint es ja vielen Menschen viel Spaß zu machen. Insofern würde ich es nicht grundsätzlich verbieten. Die Leute kennen das Risiko und müssen selber die Verantwortung übernehmen.
Und Sie selber: Wunderkerze, Rakete oder auch gerne mal Böller?
Rakete! Vor Böllern habe ich Respekt. Und selbst wenn ich eine Rakete zünde, gehe ich schnell auf Distanz. Ich habe einfach schon zu oft gesehen, was passieren kann.
Nehmen Sie sich mit Ihrem Team trotzdem Zeit, um auf das neue Jahr anzustoßen?
Ja, allerdings gibt es bei uns kein gemütliches Zusammensitzen. Wir haben ja viel zu tun. Aber zwischen 23:30 und 00:00 Uhr ist bei uns Schichtwechsel. Da treffen gleich zwei Teams aufeinander, und dann stoßen wir kurz mal mit einem alkoholfreien Sekt an. So hat man wenigstens das Gefühl, irgendwie auch ein bisschen zu feiern.
Ist die Nachtschicht an Silvester bei den Kollegen beliebt?
Nicht wirklich. Ein Kollege hatte sich erstaunlicher Weise freiwillig zum Nachtdienst gemeldet. Das fand ich sehr tapfer. Aber ansonsten versuchen wir es so gerecht wie möglich einzuteilen. Als Rettungsstelle sind wir ja das ganze Jahr rund um die Uhr im Einsatz. Wer an Weihnachten keinen Dienst hat, muss eben Silvester ran.
Wohnen Sie selbst in Neukölln? Was ist für Sie typisch Neukölln?
Ich selbst wohne in Lichtenrade. Neukölln ist für mich ein sehr lebendiger, multikultureller und teilweise geradezu jugendlicher Bezirk. Es gibt natürlich unbestreitbar auch Probleme. Aber wenn ich manchmal am S-Bahnhof Neukölln vorbeilaufe – da ist die Feuerwache von Neukölln, wo wir auch oft im Notarzteinsatzfahrzeug sitzen – dann sehe ich dort schon sehr viele junge Leute. Für mich ist Neukölln ein lebendiger, schöner Bezirk.