Interview & Text: Cornelia Saxe
Treptower Straße 22, nahe dem Kiehlufer. Annika Krump steht dort, wo ihr Berliner Leben als Literaturstudentin im Jahr 1992 beginnt. Neukölln ist längst noch nicht hip. Der nahe gelegene S-Bahnhof Sonnenallee ist Anfang der 90er-Jahre ein toter Bahnhof, weil die Ringbahn nach der Maueröffnung noch nicht wieder fährt. Es gibt keine Cafés am Ufer und auch keine Szenelokalitäten. Aber es gibt dort bis heute den Imbiss Traum-Eck. Dort steigt Annika Krump meist in den Bus. Für ihre Auftritte als Kunstfigur „Palma Kunkel – Die singende Tellermiene“ trägt die gebürtige Triererin eine Haarscheibe ähnliche einer Vinylplatte schräg auf dem Kopf – und erntet an der Bushaltestelle vor dem Imbiss stets ein großes Hallo.
neukoellner.net: Gab es einen Traum für Sie, als Sie damals hier gelebt haben?
Annika Krump: Das war auf jeden Fall Palma Kunkel. Diesen Haarteller habe ich mir schon mit 16 in Trier gemacht und bin damit durch die Stadt gelaufen. Es war ein Spießrutenlauf in einer kleinen katholischen Stadt! Die Entscheidung, von der Volksbühne wegzugehen und meine eigene Kunst zu machen, das war die Erfüllung eines Traums. Das mache ich ja bist heute!
Über ein Studentenprojekt stößt sie zuvor auf die Volksbühne. Der damalige Chefdramaturg Matthias Lilienthal möchte sie vom Fleck weg als PR-Frau engagieren und ist überrascht, dass sie erst 21 ist. Die Volksbühne erfindet sich in der frisch vereinten Hauptstadt gerade neu. Zitate aus der Eröffnungsrede des neuen Intendanten Frank Castorf zur Spielzeit 1992/93 finden sich in Annika Krumps 2015 erschienenen Buch „Tagebuch einer Hospitantin – Berliner Volksbühne 1992/93“: „Ick weeß ja och nicht, wie’s hier weiterjeht. (…) Ick bitte euch, einfach mal een Jahr durchzuhalten. Ick bin ja och keen Intendant.“ In Regie und Dramaturgie assistiert sie Frank Castorf („Rheinische Rebellen“), Christoph Schlingensief („100 Jahre CDU“), Christoph Marthaler („Murx“) und Herbert Fritsch („Die rausfallenden alten Weiber“).
neukoellner.net: Wie war das für Sie als junge Frau mit diesen Großkalibern zu arbeiten?
Annika Krump: Ich kannte diese Namen nicht. Ich bin da so reingerutscht. Es waren ja erstmal Menschen, die einem da begegnet sind. Und Marthaler und Schlingensief sind durch die Volksbühne erst bekannt geworden. Ich habe sie auch mit Unsicherheiten kennengelernt. Also die saßen am Kantinentisch, gerade Schlingensief, wo er nicht wusste: Ist das gut, was ich hier mache? Ich hab dann festgestellt, Künstler sind nicht immer nur toll und erfolgreich, sondern da ist auch viel Zweifel und Menschlichkeit.
Nach zwei Jahren Neukölln zieht Annika Krump 1994 nach Mitte in die Nähe ihres Theaters, wo sie seit mehr als 20 Jahren immer noch wohnt.
neukoellner.net: Wie blicken Sie dem Ende der Intendanz von Frank Castorf und seinem Nachfolger Chris Dercon, derzeit noch Leiter der Tate Gallery of Modern Art in London, im Jahr 2017 entgegen?
Annika Krump: Ich habe dabei widersprüchliche Gefühle. Zum einen fühle ich mich der Volksbühne immer noch sehr verbunden. Ich hab da seit 20 Jahren nicht mehr fest gearbeitet, und die Leute sind genauso herzlich, als wäre ich vorgestern aus der Tür gegangen. Chris Dercon kann ich überhaupt nicht beurteilen. Aber ist es natürlich auch ein großes Glück, wenn man 25 Jahre ein Ensemble, einen Intendanten und wiederkehrende Regisseure hat, um überhaupt ein Theater zu entwickeln. Weil an vielen Theatern ist nach spätestens fünf Jahren ein kompletter Wechsel. Und am Beispiel der Volksbühne sieht man eben auch, was das bringt, wenn man die Leute mal länger zusammenarbeiten lässt.
Wir sind inzwischen vom Traum-Eck in den Fishtank umgezogen – ein kleines improvisiertes Café mit wackligen Tischen und Stühlen draußen in der Sonne neben dem Nahkauf am Kiehlufer. Annika Krump erinnert sich an ihre Zeit in der Treptower Straße. Sie wohnt damals in einem Zimmer zur Untermiete und hört die alkoholisierten Nachbarn durch die Wand, die am liebsten „Pippi Langstrumpf“ gucken.
Wenn sie frische Luft braucht, erkundet die gebürtige Westdeutsche neugierig den angrenzenden Ostteil – entdeckt für sich den Treptower Park und den Plänterwald, wo sie gern spazieren geht und neue Ideen sammelt. Oder sie schaut im „Zauberkönig“ in der Hermannstraße vorbei – mit seinen Zauberblumen, der Pyrotechnik oder abgehackten Gummihänden das meist frequentierte Geschäft von Palma Kunkel.
Wie ein Schmetterling durchläuft Annika Krump als Künstlerin immer wieder Metamorphosen. Am Anfang steht eben jene verspielte „Palma Kunkel“, mit der sie sich von der Volksbühne emanzipiert. Den Namen der Kunstfigur hat sie bei dem Dichter Christian Morgenstern gefunden, dessen „Galgenlieder“ sie auf der Bühne performt. Zur Jahrtausendwende erblickt die seriöse „Handtaschenträgerin“ das Licht. Mit einem Literaturprogramm von Wiener Dichtern hat sie in den Hamburger Kammerspielen Premiere. „Mademoiselle Papillon“ mit zwei großen Schmetterlingsflügeln im Haar wird bei einem Aufenthalt in New York geboren und in Berlin zur Salon-Gastgeberin.
Heute bringt Annika Krump ihre eigenen Texte auf die Bühne – und hat ihre Heimat geadelt. Sie nennt sich jetzt „AnniKa von Trier“. Ihre politisch-philosophischen Texte handeln vom Vergehen der Zeit und vom Wandel Berlins wie in diesem Lied über Patchworkfamilien.
Auch zu dieser Figur gehört wieder ein Salon. In dieser selbst kreierten Gemeinschaft kann sie der Einsamkeit bei der künstlerischen Arbeit entkommen. Unter dem Motto „Jetzt oder nie“ lädt AnniKa von Trier in den Geheimclub im Untergrund-Museum in Berlin-Mitte ein und präsentiert Künstler aus ihrem Umfeld wie die Berliner Schriftstellerin Tanja Dückers oder den Zürcher Guerillagärtner Maurice Maggi.
neukoellner.net: Von Trier sind Sie damals aufgebrochen, um die Provinz hinter sich zu lassen. Nun steckt in ihrem neuen Namen auch eine Hommage an die alte Heimat. Hat das etwas mit Alter zu tun, dass man sich der eigenen Wurzeln besinnt?
Annika Krump: Es hat damit zu tun, dazu zu stehen. Gerade weil ich oft für eine Berlinerin gehalten wurde und mich nach 25 Jahren auch als Wahlostberlinerin fühle. Die Landschaft meiner Kindheit hat mich geprägt: Die Mosel, die Eifel, der Hunsrück, viel Weinbau, sehr hügelig. Derzeit plane ich dort eine Gesprächsreihe als AnniKa von Trier, die Ex-Trierer zum Gespräch einlädt – sogenannte TR-Emigranten.
Neben AnniKa von Trier sind auch Palma Kunkel oder Mademoiselle Papillon lange noch nicht vom Erdboden verschwunden. Annika Krump ist und bleibt eben: ein Schmetterling.
Am Mittwoch, dem 18. November, ab 19.30 Uhr liest Annika Krump aka AnniKA von Trier im Literatursalon Karlshorst (Treskow Allee 112, Eintritt 8/3 Euro)