„Es gibt Regeln, die im Krankenhaus nicht beachtet werden“

Die 33-jährige Maresa beendet im nächsten Jahr ihre Ausbildung zur Hebamme. (Bild: Emmanuele Contini)

Sie arbeiten zu jeder Tages- und Nachtzeit, erleben Frauen in ihren intimsten Momenten und tragen entscheidend dazu bei, wie eine Geburt verläuft. Hebammen sind unverzichtbar für die Geburtshilfe und für die Gesellschaft. Dennoch werden sie vom Staat stiefmütterlich behandelt, was hohe Haftpflichtzahlungen und geringe Gehälter belegen. Eine von ihnen ist Maresa.

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Donnerstag, 21. Dezember 2017

Die 33-Jährige macht ihre Ausbildung an einer der renommiertesten Hebammen-Lehranstalten Deutschlands – der Hebammenschule Neukölln. Vor fast genau 100 Jahren am Mariendorfer Weg gegründet, befindet sich die Schule inzwischen auf dem Vivantes-Gelände in der Rudower Straße. Rund 20 Plätze gibt es hier pro Ausbildungsjahrgang für angehende Hebammen, abgeschlossen wird die Lehrzeit mit einem Staatsexamen. Maresa wird ihres im nächsten Jahr ablegen. Im Interview erzählt sie, warum Hebamme ihr Traumberuf ist und was in der klinischen Geburtsbetreuung schief läuft.

neukoellner.net: Wann kam bei Dir der Wunsch auf Hebamme zu werden?
Maresa: Eigentlich habe ich schon immer gedacht, dass ich Hebamme werden will. Als ich mit 18 anfing mich zu bewerben, habe ich allerdings lange Zeit keinen Ausbildungsplatz bekommen. Damals gab es teilweise 2500 Bewerberinnen auf nur 20 Plätze. Ich habe dann erstmal das Abi nachgeholt, als Arzthelferin gearbeitet und dann Sonderpädagogik studiert. Zu dem Zeitpunkt – damals hatte ich über acht Jahre lang versucht in den Beruf rein zu kommen – dachte ich eigentlich, dass es das jetzt war mit meinem Traum Hebamme zu werden. Dann wurde ich schwanger mit meinem ersten Sohn und durch den Kontakt zu der Hebamme, die mich damals betreut hat, ist der Wunsch es nochmal zu probieren wieder aufgekommen. Nach der Geburt meines zweiten Kindes, das war 2014, habe ich beschlossen, es nochmal zu versuchen und bin dann an der Hebammenschule Neukölln genommen worden.

Die Hebammenlehranstalt Neukölln gibt es seit 1917. (Bild: Museum Neukölln)

Was zeichnet die Ausbildung in Neukölln aus?
Die Ausbildung ist sehr praktisch orientiert – wir dürfen viel mit den Händen lernen, das finde ich toll. Gleichzeitig werden neueste wissenschaftliche Erkenntnisse in der Lehre berücksichtigt. Generell wechseln wir immer zwischen den verschiedenen Vivantes-Häusern. Das Urban-Krankenhaus hat zum Beispiel einen eher kleinen Kreißsaal, der sehr frauenzentriert arbeitet. Dort ist es schon fast so wie in einem reinen Geburtshaus. Wir sind aber auch in großen Häusern, wie dem Klinikum Neukölln, wo es acht Kreißsäle gibt, die meistens belegt sind und auch eine Kinderklinik. Da ist es so, dass es mehr Durchlauf gibt. Ich finde es gut, die Unterschiede kennen zu lernen, auch zwischen klinischer und außerklinischer Geburtsbetreuung, und während der Arbeit mit verschiedenen Hebammen herauszufinden, wie ich es gerne machen will oder auch nicht.

Wie würdest Du eine gute Hebamme beschreiben?
Das Allerwichtigste ist, meiner Meinung nach, Geduld zu haben und sich selbst zurückzunehmen. Eine Hebamme muss achtsam sein, alles genau beobachten und darf nicht zu schnell eingreifen. Ich glaube, dass ganz viel Pathologie, zum Beispiel ein Geburtsstillstand, durch äußeren Einfluss entsteht. Ich habe ja vor ein Geburtshaus aufzumachen, weil ich glaube, dass es der sicherste und schönste Rahmen ist, um ein Kind zu bekommen.

Tausende Hebammenschülerinnen wurden in den letzten hundert Jahren schon in Neukölln ausgebildet. (Bild: Bezirksamt Neukölln/ Broschüre 40 Jahre Frauenklinik)

Inwiefern kann eine Geburt in einem Geburtshaus sicherer sein, als in einem Krankenhaus?
Es gibt grundlegende Regeln, die im Krankenhaus nicht beachtet werden. Die schönste Variante sein Kind zu bekommen ist in Ruhe, in einem abgedunkelten Raum, den man kennt, mit einer Hebamme, der man vertraut. Wenn diese Punkte stimmen, dann entstehen viele Pathologien erst gar nicht. Frauen sind während der Geburt wahnsinnig sensibel. Die Amygdala – ein Teil des Gehirns – ist auf Habachtstellung und „riecht“ sofort, wenn etwas schiefläuft. Wenn eine Hebamme parallel drei Frauen gleichzeitig betreut, was Routine ist in vielen Krankenhäusern, und es in einem anderen Zimmer einen Notfall gibt und die Hebamme gestresst wiederkommt, kann die Gebärende die ausgeschütteten Stresshormone spüren. Ihr Gehirn sagt ihr dann, dass etwas nicht in Ordnung ist und gibt das Signal, dass es besser ist, die Geburt jetzt abzubrechen. Dann kann es sein, dass sich der Muttermund wieder ein Stück zusammenzieht oder die Wehen aufhören.

Wie reagiert Ihr auf eine solche Situation?
Im Krankenhaus wird auf eine solche Situation in der Regel mit einem Wehentropf reagiert, der nach Schema F läuft, unabhängig davon, wie viele Wehen Mutter und Kind gerade wirklich brauchen. Ich bin ganz fest der Meinung, dass der weibliche Körper dafür gemacht ist, ein Kind zu bekommen und dass das eigentlich gut funktioniert. Es gibt natürlich Fälle, etwa wenn eine ganz kleine Frau mit einem großen Mann ein Kind bekommt und das Kind so groß ist, dass es nicht durch’s Becken passt oder wenn es andere Komplikationen gibt, die man nicht beeinflussen kann – dann ist es super, wenn man im Krankenhaus die Möglichkeit hat einzugreifen mit Medikamenten oder einem Kaiserschnitt. Ich finde aber, dass man bei einer gesunden Frau, die ein gesundes Kind bekommt, nicht eingreifen muss mit Schmerzmitteln oder dem Wehentropf.

Wie gehst Du als angehende Hebamme damit um, wenn Geburten glücklos verlaufen, also das Kind zum Beispiel tot geboren wird?
Das geht einem natürlich nah. Da muss man ganz viel sprechen, auch mit Kolleginnen. Und hinterfragen, woran lag es. Ich habe einen Todesfall erlebt, wo wir als Team im Anschluss mit der Frau noch in Kontakt geblieben sind und auch mit zur Beerdigung von dem Kind gegangen sind. Ich muss aber auch gucken, dass ich es nicht zu nah an mich ran lasse. Der Hebammenberuf bringt es generell mit sich, dass er sich mit Grenzmomenten beschäftigt – sowohl mit dem Leben, als auch mit dem Tod. Für mich ist die Arbeit trotzdem sehr positiv, weil ich das Gefühl habe, dass man Frauen auch in ganz schweren Situationen helfen kann und sie auch dann begleitet, wenn es schwierig wird.

Wie gehst Du generell mit der Verantwortung um, die du als Hebamme hast?
Wir werden in der Hebammenschule super gut ausgebildet und lernen zum Beispiel schon auf Kleinigkeiten zu achten, die im Endeffekt viel Aussagekraft haben können. Insofern habe ich großes Vertrauen. Ich glaube auch, dass ich Sachen ganz gut einschätzen kann. Ich würde mir aber trotzdem nicht zutrauen, direkt nach der Ausbildung außerklinisch alleine zu arbeiten. Ich möchte erstmal nur im Team arbeiten in den nächsten Jahren. Ich werde wohl eine von den Hebammen, die, wenn außerklinisch irgendwas nicht gut läuft, eher früher als später in die Klinik verlegt. Da würde ich kein Risiko gehen.

Wie stehst Du zu den hohen Haftpflichtprämien, die Hebammen zahlen müssen?
Mittlerweile ist es so, dass man 7000 Euro im Jahr an Haftpflichtprämien bezahlen muss, wenn man Geburten außerklinisch machen will. Bis 2020 werden es 10.000 Euro sein und die muss man auch erstmal erwirtschaften. Ich finde es schade, dass die Arbeit in vielen sozialen Berufen so wenig wertgeschätzt wird, obwohl man so eine hohe Verantwortung und auch so ein hohes Risiko trägt. In anderen Ländern, wie zum Beispiel Norwegen, werden mögliche Folgen eines Sauerstoffmangels als Risiko der Geburt gesehen. Falls es zu Schäden kommt, haftet der Staat und springt den Familien finanziell bei. Da sind die Hebammen überhaupt nicht haftpflichtversichert, weil dort grundsätzlich die Meinung herrscht, dass es ein Risiko bei einer Geburt gibt.

Du bist selbst Mutter von zwei kleinen Kindern. Wie schaffst Du es die Ausbildung mit Deinem Familienleben zu vereinbaren?
Wir haben als Hebammenschülerinnen eine 40-Stunden-Woche und arbeiten im Schichtdienst. In der Ausbildungszeit habe ich schon immer mal wieder hinterfragt, ob ich das wirklich machen will, weil es für die Kinder ein krasses Zurückstecken ist. Und auch für mich selbst, denn die Zeit, die übrig bleibt neben der Ausbildung investiere ich in meine Familie. Ich habe das große Glück, dass ich einen Mann habe, der mich wahnsinnig unterstützt und der, weil er selbstständig ist, auch immer sagen kann „ich hole die Kinder ab“. Meine Kinder gehen beide in den Kindergarten. Mein kleiner Sohn ist schon mit einem Jahr in den Kindergarten gekommen. Das sind so Sachen, über die ich schon traurig bin, weil ich das gerne anders gemacht hätte. Andererseits denke ich, dass meine Kinder auch davon profitieren, dass sie eine glückliche Mama haben.