Ein großer Mann mit wachem Blick sitzt in einem Café in Neukölln und legt drei Kekse in einer Reihe auf den Tisch. Aufmunternd schaut er auf seinen Begleiter. Der etwas untersetzte, ängstlich wirkende Sitznachbar zögert. Nach ein paar Minuten nimmt er doch einen Keks, die Kellnerin schaut genervt. Picknicken ist nicht gerne gesehen, der Gast krümelt auch mehr als er isst, eine normale Unterhaltung mit ihm scheint nicht möglich. Ein junges Mädchen mit zu viel Kajal und engem Top am Nebentisch schaut mit Unbehagen auf das bekrümelte Hemd des Keksessers. Erleichterung zeichnet sich ab, als die beiden sich nach einem Kaffee bereits wieder auf den Weg machen.
Menschen mit Handicap, Menschen mit psychischen Störungen, denen bei der Bewältigung des Alltags unter die Arme gegriffen wird, wecken bei Unbekannten oft Unbehagen. Wer sich in unserer Welt zu langsam bewegt, wird schnell als Sand im Getriebe wahrgenommen.
Entlastung der Angehörigen
In der Nogatstraße 14 stehen zwei kleine Ikea-Tische vor der Lebenshilfe gGmbH, Kekse aus den großen Packungen der Discounter sind fein säuberlich auf Tellern und Servietten für Besucher ausgelegt, bisher hat kaum jemand zugegriffen. Betreuerin Roswitha Hürdler sitzt mit ein paar Schützlingen auf einer Holzbank, die um einen Baum herum gebaut wurde. Seit 1960 setzt sich die Lebenshilfe Berlin für Menschen mit geistiger Behinderung ein. Auch die Entlastung der Angehörigen stellt einen wichtigen Punkt dar, fast die Hälfte der betreuten Menschen kann schlecht oder gar nicht lesen und schreiben. „Ob Behördengänge, Wohnungs- und Jobsuche, Freizeit und Reisen, die Hilfe wird auf jeden einzelnen individuell zugeschnitten.“ sagt Roswitha und fügt hinzu: „Manchmal dauert es Jahre, bis sich wirklich Erfolge einstellen.“
Eine Frau ganz in schwarz gekleidet läuft mit einer kleinen Digitalkamera umher und fotografiert alles, was ihr vor die Linse kommt. Elfriede Hürdler wird von der Lebenshilfe betreut und fotografiert in ihrer Freizeit, in den Räumlichkeiten in der Nogatstraße stellt sie ein paar ihrer Werke für 48 Stunden Neukölln aus. Sie hat die Rolltreppen vom S-Bahnhof Hermannstraße fotografiert und auch einen großen Eiszapfen in Nahaufnahme. Sehr vereinzelt verirrt sich jemand in den großen Raum mit den weißen Säulen an der Wand. Roswitha stört das nicht, sie freut sich einfach über die Ausstellung. Kurze Zeit später steht sie wieder vor den Keksen, allerdings ohne die Kamera. „Nimm doch einfach einen. Sind zwar viele Kalorien, aber schmecken gut!“ sagt ein junger Mann, der durch die Lebenshilfe ein Praktikum gefunden hat. Roswitha denkt noch kurz nach, dann greift sie zu.
KÖ-07 Nogatstraße 14 Lebenshilfe GmbH