Collage: Katrin Friedmann
Die Wohnung meiner Oma muss aufgelöst werden. Nach einem langen Krankenhausaufenthalt ist meine Oma nicht mehr in der Lage, alleine zu wohnen. Während ich den Inhalt einer Schublade vor mir auf dem Boden ausbreite, weiß ich nicht, was schlimmer ist: die Wohnung eines Verstorbenen aufzulösen oder das Hab und Gut eines Lebenden nach Brauchbarkeit und Wert prüfen zu müssen. Die Habseligkeiten eines gesamten Lebens – zu verschenken, zu verkaufen, wegsortiert und weggeworfen. Da ist er, der allbekannte Kloß im Hals.
Im riesigen Kleiderschrank meiner Oma haben sich über die Jahre zahlreiche Kleidungsstücke angesammelt. Das meiste sehe ich heute zum ersten Mal. Ein zitronengelbes Kostüm, ein Persianer-Pelzmantel mit passendem Käppchen, vieles wurde mit ihrem Umzug nach Berlin vor 30 Jahren in den Schrank verbannt. Solch elegante Kleidung konnte man in Berlin ja nicht mehr tragen, meint meine Oma ein wenig hochmütig.
Auch außerhalb des Kleiderschranks hat meine Oma Kleidung untergebracht. Die Schubladen des Wohnzimmerboards sind randvoll gefüllt mit zugeschnürten Tüten, in denen sie dutzende Wollpullover vor den Motten in Sicherheit gebracht hat. Ein neuer, pastellfarbener Bundfaltenrock aus den 70ern kommt zum Vorschein, das Etikett ist noch dran, daneben Nachthemden, die noch von meiner Ur-Oma stammen, Strümpfe in wunderschön gemusterten Strumpftaschen, feine Blusen in verschiedenen farblichen Ausführungen, wollener Stoff für Röcke, die meine Oma nie mehr nähen wird… So viele Dinge, über die Jahre geschont, aufbewahrt und gehortet, sie würden für ein zweites Leben reichen.
Es werden drei Stapel gemacht: Behalten, nicht behalten, vielleicht behalten. Letzterer ist in kürzester Zeit zu einem kleinen Klamottenturm angewachsen. Das Durchsehen ihrer Kleidung ist sehr schmerzlich für meine Oma. Ich weiß, mit der Auflösung ihrer Wohnung verabschiedet sie sich nicht nur von Röcken und Mänteln, es ist ein Abschied von einem selbständigen Leben. Kleider, in denen ich sie in 25 Jahren nicht ein einziges Mal gesehen habe, möchte sie unbedingt behalten. Für vieles benötigt sie Bedenkzeit – der „Vielleicht-Stapel“, er wird immer größer.
Für einen guten Zweck fällt es meiner Oma zum Glück leichter, sich von Dingen zu trennen. „Schreib mal ins Internet: für Flüchtlinge!“, meint sie überraschend entschlossen, um kurz darauf mitzuteilen, dass es für heute genug sei mit der Sortiererei. Seit einigen Wochen klagt meine Oma über kalte Hände und eine kalte Nase. Fast etwas verschmitzt fügt sie hinzu, irgendwo müsse sie ja jetzt langsam mal anfangen abzusterben.