Fremd bin ich eingezogen

Cover Demolierung NK: Fremd bin ich eingezogen

demolierung #01: Er ist gelandet! Auf seinem Schoß: die schwarze Wildledermappe mit der Agenda zur baulichen und ganz-gesellschaftlichen, ja charakterlichen Umgestaltung Neuköllns. (mehr …)

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Montag, 30. November 2015

Auftakt unserer neuen Kurzgeschichtenreihe von Alexander Krug in Kooperation mit neukoellner.net & Hirn Faust Auge. Die einzelnen Geschichten wachsen mit jedem neuen Teil, der bei uns erscheint, zu einem Buch heran. Du kannst zum lesen in den E-Book-Modus wechseln oder einfach darunter weiterlesen.

„Nur die halbe Welt ist Teflon und Asbest, der Rest ist brennbar und mitunter angezündet ganz munter anzusehen.“ (Blixa Bargeld)

Es wird einem ja nicht jeden Tag der Martini auf einem unterschriftsreifen Arbeitsvertrag serviert. Ich saß also in der Business Class des Lufthansa-Fluges LH–192 von Frankfurt nach Berlin, dieser einstündigen Quarantäne zwischen Pest und Cholera, trank dort meine drei, vier Gläser, trank so lange, bis das Salär auf dem zum jeweiligen Drink neu gereichten und auf die Größe einer Cocktail-Serviette gefalteten Vertrag eine annähernd akzeptable Höhe erreicht hatte; und wäre nicht so urplötzlich der Hinweis zum sofortigen Anschnallen durch die Reihen gegangen – ich hätte zweifelsohne noch den ein oder anderen Martini mehr über meinen unstillbaren Durst kippen können.

Kurz vor der Landung flippte ich mir die letzte dieser nur flüchtig entkernten Riesenoliven in den Mund, während dem Senator zu meiner Linken ein weitaus gewichtigerer Stein vom Herzen fiel – nur ein Martini mehr, so dachte ich, hätte ihn sicherlich in Erklärungsnot, wenn nicht gar um seinen Posten gebracht.

Das Aufsetzen der Maschine verfälschte meine Unterschrift; und auch wenn mir dieses Detail später eventuell noch von Nutzen sein könnte: Hier saß ich nun vor einer Orangerie, zu deren Füßen sich ein kleiner Park auftat, dessen neobarocke Ausführung mir einen unbeschreiblichen, ganzkörperlichen Ekel aufzog und hatte vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden einen Vertrag unterschrieben, der mich auf unabsehbare Dauer dazu zwang, mich vorerst in dieser fürchterlichen Stadt einzurichten und das darüber hinaus noch in einem Viertel, welches innerhalb von fünfzehn Jahren nichts an seiner Unerträglichkeit hat einbüßen müssen. Selbstverständlich sind heutzutage die Gründe für diese mannigfachen Entgleisungen vollkommen anderer Natur, dennoch: Es muss dringend was gemacht, es muss, ich schlug dabei mit geballter Faust den Klapptisch an meiner Armlehne aus seiner Fassung, dort einmal so richtig aufgeräumt werden!

Und dafür, so versicherte ich ihm, wäre ich der richtige Mann, bin ich ja schließlich einer DER Köpfe, die hinter der neuen globalen Bewegung des Urban Redesigning stecken, einer Bewegung, die sich mit Herz und Seele und aus tiefster Überzeugung der Theorie durch bauliche Neu- und Umgestaltung verschrieben hat, bin folglich also der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort, bin für ihre ganze Stadt, Herr Senator, der ganz große Wurf.

Und da ich für gewöhnlich jede der mir selbst erdachten und angedichteten Rollen mit dem allergrößten Engagement betreibe und nichts in meinem Leben so sehr genieße, wie diesen festen, unerschütterlichen Glauben an meine eigenen Lügen, so war ich auch an diesem Nachmittag, dem zweiten in meiner neuen Position als offizieller Berater des Senatsbaudirektors, nahezu perfekt vorbereitet; und sanft streichelte ich über die schwarze Wildledermappe auf meinem Schoß, eine Mappe, die nichts anderes als eine von mir in der vorangegangenen Nacht ausgearbeitete Agenda zur baulichen und damit einhergehend ganzgesellschaftlichen, ja charakterlichen Umgestaltung Neuköllns enthielt. Inoffizieller Arbeitstitel: Demolierung. Der Schriftsteller, der ich ja nun mal bin, war mit diesem Titel über alle Maßen zufrieden.

Ich drückte meine Zigarette in diesem wässrigen Espresso lungo aus, lehnte mich zurück und wartete voller Vorfreude auf den Senator, welchen ich in dringlicher Angelegenheit schnellstmöglich zu sprechen gewünscht hatte. Ich zündete mir noch eine an. Der Bedienung gab ich ein Zeichen, mich ja nicht nochmal zu belästigen. Ich genoss mein Spiel jetzt schon in vollen Zügen.

demolierung #02demnächst hier auf neukoellner.net!

Text: Alexander Krug
Gestaltung: Paul Voggenreiter / Hirn Faust Auge
Cover: Joachim Lenz
Illustration: Jurek Urbanski