Vom Ende des Trendbezirks

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Anti-Gentrifizierungssofa im Schillerkiez. Foto: Flickr/sparklig, CC-Lizenz BY 2.0

Aus, Vorbei, Over: Neukölln ist nicht mehr hip. Die wirklich coolen „In-Viertel“ sind anderswo. Zumindest wollen uns das namhafte Medien weiß machen. Ein Segen!
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Mittwoch, 6. Januar 2016

Köln-Kalk. Das klingt irgendwie nicht gerade nach dem Zentrum der Hipness. Doch laut FAZ ist der Stadtteil im alten Köln jetzt total im Kommen. „Authentisch, ehrlich, multikulti“, sagt eine Interviewpartnerin der Zeitung über das Viertel rechts des Rheins, in dem sie einen Coworking-Space betreibt. „Kalk ist nicht so Schickimicki, nicht so geradlinig, nicht so angepasst“, sagt eine andere Bewohnerin. Moment, sind das nicht alles Attribute, die wir uns hier doch gerne auf die Fahnen schreiben? Tja, Zeiten ändern sich: Vor einigen Jahren noch rief der britische Guardian gleich zu einem Umzug nach „Kreuzkölln“ auf und die New York Times erfreute sich ebenso an der „destination for (modern) bohemians“. Kreuzkölln würden wir zu unserem Reuterkiez allerdings nie sagen – damit verraten sich die Neulinge hier.

Maßvolle Gentrifizierung, geht das?

Seitdem haben die hiesigen Szenecafés, Underground-Clubs und coolen Vintage-Shops, die sogar im Easyjet-Magazin gerühmt wurden (und das war der Anfang vom Ende), analog zur Biomarkt-Dichte zugenommen. Dafür ist es aber alles andere als easy-peasy, hier eine bezahlbare Wohnung zu finden, vor allem, wenn man als kreativer Freelancer zwar total gut nach Neukölln passt, aber damit den Vermieter-Schreck schlechthin verkörpert. Dieses Schicksal droht natürlich auch dem gerade hip werdenden Köln-Kalk. Ein Soziologieprofessor, der eine „Kölner Gentrification Study“ erstellt hat, sagt allerdings: „Kalk könnte der erste Stadtteil Deutschlands werden, in dem Gentrifizierung stattfindet, ohne dabei zu überdrehen.“ Kalk, wir wünschen dir ehrlich, dass sich diese These erfüllt. Dann kommen wir gerne vorbei und sehen uns das mal an.

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Nächtliches Partyvolk im Frankfurter Bahnhofsviertel. Foto: Flickr/martinkrolikowski, CC-Lizenz BY 2.0

Das fiese Gentrifizierungs-Schicksal droht gerade auch dem Frankfurter Bahnhofsviertel. Ein Online-Magazin aus Franken etwa empfiehlt in seiner Urlaubsrubrik dringend einen Ausflug dorthin, denn: „Kein anderer Stadtteil in der Metropole ist so gegensätzlich und kreativ“. Ein kulinarisches Schlaraffenland erwarte einen in der Gegend um den Frankfurter Hauptbahnhof. Aber wenn es selbst die fränkische Omi vom Dorf gerafft hat, dass es da ganz spannend und gar nicht so gefährlich ist wie gedacht, schlafen die Immobilien-Investoren natürlich auch nicht. Verwahrloste Junkie-Wohnungen weichen Luxus-Lofts. Eine Initiative bestehend aus Gewerbeverein, Gastronomen und Werbeagenturen erledigt den Rest, wie die taz berichtet: Sie wollen „das Bahnhofsviertel noch neuer und hipper machen“. Pastrami-Sandwiches für alle! Also, für alle, die sich die 10-Euro-Stullen leisten können.

Williamsburg an der Elbe

Ziemlich hip soll es ja auch schon länger in Hamburg-Wilhelmsburg sein, nicht nur, weil sich der Name wie die deutsche Variante des Hipster-Hotspots Williamsburg in New York anhört. Doch dann schlossen plötzlich Cafés, Bars, Boutiquen im vermeintlich coolsten Viertel der Elbmetropole – war der Hype so schnell vorbei, wie er gekommen war? Das wollten die Wilhelmsburger nicht auf sich sitzen lassen und riefen z.B. ein Pop-Up-Festival mit coolen Klamotten ins Leben und erzählen anscheinend jedem Besucher ungefragt, wie großartig es bei ihnen ist. Vor allem dann, wenn man sich als Autor der ZEIT zu erkennen gibt, wie wir an dieser Stelle annehmen wollen.

Drüben in New York verfolgen Künstler eine gegenteilige Strategie: Nachdem die Gentrifizierungswelle von Williamsburg nach Bushwick übergeschwappt ist, sprießen die Yogastudios und veganen Cafés nur so aus dem Boden. Wer knapp bei Kasse ist, vermietet sein WG-Zimmer eben ein paar Tage auf Airbnb – Touristen, die das richtig coole New York sehen wollen, nächtigen natürlich in Williamsburg. Mit Leuchttafeln wollen Künstler-Schrägstrich-Aktivisten aus dem Viertel nun auf die Bedrohung der Alteingesessenen aufmerksam machen.

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Ob das wirklich etwas bewegt, ist zu bezweifeln – mag sein, dass solche Aktionen auch noch mehr Touristen anziehen, die mit einem Matcha-Latte in der Hand die subversive Kunst auf Instagram posten. Und dann reibt sich der raffgierige Investor erst recht die Hände.

Und für euch, liebes Wilhelmsburg, liebes Kalk, liebes Frankfurter Bahnhofsviertel, haben wir folgende Botschaft: Ihr könnt den Fame wirklich gerne haben und die New York Times schicken wir euch auch vorbei. Wir freuen uns dafür, wenn die Turbo-Gentrifizierung in Neukölln mal kurz Pause macht und wir in den letzten verbleibenden Eckkneipen unser Bier genießen können.

P.S. Der Wedding kommt. Ganz bestimmt!

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