Neuköllner Kunstpreis 2018 – das sind die Gewinnerinnen

Die Preisträgerinnen des Neuköllner Kunstpreises 2018: Claudia von Funcke, Doro Zinn und Regina Weiss zusammen mit Martin Steffens (l.), Jochen Biedermann (m.) und Anne Keilholz (r). 

Was gute Kunst ist und was nicht, darüber lässt sich bekanntlich streiten. Als Bewohner des besten Stadtteils Berlins ist man besonders für den schmalen Grat zwischen großem Werk und neckisch arrangiertem Müll sensibilisiert. Um so spannender war die Verleihung des Neuköllner Kunstpreises 2018 am vergangenen Wochenende im Heimathafen Neukölln. 

Text: Karoline Spring
Mitarbeit: Theodora Melnik
Fotos: Anke Hohmeister

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Text:

Dienstag, 23. Januar 2018

Die Ausstellung – Große Bandbreite auf engem Raum

Zuerst einmal geht es mit kritischem Blick durch die Ausstellung der Nominierten im Saalbau Neukölln. Die strenge Aufsicht bittet zur Taschenabgabe, da bereits der erste Kopfhörer einer Installation kurz nach der Eröffnung das Weite gesucht hat. Während einige Arbeiten ganze Räume beschlagnahmen, fallen andere zu Beginn kaum ins Auge. Es gibt eine große Bandbreite an Techniken, Materialien und Darstellungsweisen. Das Werk der zehn nominierten Künstler und Künstlerinnen, die vorab von einer siebenköpfigen Jury ausgewählt wurden, reicht von Videoinstallationen über Skulpturen, Zeichnungen und Gemälden bis hin zu Fotografien. Es scheint, als sei kaum genug Platz für so viele Arbeiten, so viele Gedanken und später am Abend für so viele Menschen, die sich, wahrscheinlich auch Dank der Ankündigung in der Abendschau, durch die vier Galerieräume schieben.

Kritische Blicke, nervöse Spannung und jede Menge Kunstkonsumenten.

Fachsimpeln am Lokalreportertisch

Wie es sich für große Kunst gehört, beginnt die Verleihung etwas verspätet. Aufgrund der guten Position für die Fotografen finden wir uns  am Lokalreportertisch wieder. Die Kollegen wollen auch schon wissen, wer gewinnt: „Die Schweizerin [Barbara Caveng, Anm. d. Red.] wird es“, ist sich jemand sicher. In der Ausstellung war vorher offenbar allerdings niemand – ein Flyer zu Werken und Künstlern hält für den ganzen Tisch her. Erst als es an die Siegerfotos geht, kommt Bewegung in die Fotografenschar – jeder will das beste Motiv erhaschen.Vorher jedoch gibt es die üblichen Dankesreden und Grußworte von OrganisatorInnen und UnterstützerInnen.

Drei Urkunden und zehn gelbe Rosen

Ein Lob gebührt den Veranstaltern, die den Kunstpreis nun schon im zweiten Jahr in Folge ausrichteten. Sie hielten sich bei ihren Reden kurz und strapazierten die gespannten Nerven der über 300 Besucher nicht über. Claudia von Funcke macht mit ihrer Videoinstallation „Relative Shift“ (2017) den ersten Platz und erhält somit 3.500 Euro für ihre Kunst. Den zweiten Platz verleiht die Jury an Regina Weiss mit ihrem Werk „Bodenstück“ und einer Zeichnung aus der Serie „Stadt im Vorübergehen“ (2016). Dotiert ist er mit 1.000 Euro. Doppelt geehrt wird die Fotografin Doro Zinn mit ihrer Serie „Future Kids“ (2017). Sie erhält zusätzlich zum dritten Platz (500 Euro) den STADT UND LAND – Preis. Die Geschäftsführerin der Wohnbauten-Gesellschaft begründet ihre Wahl: „Es geht um Heimat und damit beschäftigen wir uns auch“ und tätigt hiermit einen Ankauf der Fotografien für 1.500 Euro.

Der Moment vor der Verleihung: Die Spannung ist den Künstlern anzusehen.

Nach kurzem Bühnenteil folgt die trocken anmutende Ankündigung der Moderatorin: „Die Party startet.“ – Ein Dj gibt sich alle Mühe die Menge mit Partykrachern aufs Parkett zu locken. Zwischen Queens „Another One Bites the Dust“ und „Entre dos tierras“ von den Heroes Del Silencios beginnen tatsächlich die Ersten zu schwofen. Wir schaffen es vorher noch mit der Erstplatzierten Claudia von Funcke, der Drittplatzierten Doro Zinn und mit dem Nominierten Thilo Droste zu sprechen.

Die Gewinnerin Claudia von Funcke

Claudia von Funcke im Gespräch mit Karoline Spring von neukoellner.net.

Nk.net: Herzlichen Glückwunsch! Wie fühlst du dich? 

Claudia von Funcke: Ich muss gestehen, ich bin hoch erfreut. Es war aber definitiv nicht zu erwarten, weil es so viele so gute Arbeiten gab. Insgesamt ist es einfach schön, dass es eine gute Ausstellung geworden ist.

Wie bist du dazu gekommen, dich zu bewerben?

Nachdem ich regelmäßig bei 48-Stunden-Neukölln mitmache, kam einfach die Rundmail. Ich habe mich auch schon letztes Jahr beworben, bin aber gar nicht unter den Nominierten gelandet. Aber man weiß von anderen Ausschreibungen einfach, dass man sich keine Hoffnungen machen sollte. Jurys laufen absolut irrational ab. Es gibt keine Logik dahinter. Schon die Noten früher im Kunstunterricht waren vollkommen idiotisch. Da hieß es, wir sollten Arbeiten von zu Hause mitbringen, um sie im Klassenraum aufzuhängen. Ich brachte meine Sachen mit und der Tenor war: Das wollen wir aber nicht jeden Tag sehen. Kannst du das bitte wieder abhängen?
Mit Wohlfühlkunst habe ich nicht so viel am Hut. Es gibt bei mir durchaus abstrakte Sachen, die nicht wehtun. Aber viele Sachen sind sowieso viel zu groß fürs Wohnzimmer. Ich lebe dann auf, wenn die Arbeiten groß genug sind, dass der Mensch eine Relation zum Raum hat.

Du lebst und arbeitest in Neukölln. Wie lange bist du schon hier und was magst du am Stadtteil?

Jetzt ist mein Atelier in der Pflügerstraße. Aber ich bin schon seit 2004 hier im Kiez. Vorher war ich drei Jahre in London und danach waren mir alle Städte in Deutschland viel zu klein. Neukölln hat so viel Durcheinander, so viele Kulturen und unterschiedliche Ansprüche, Ausrichtungen und Einfälle, dass ich mich sofort wohlgefühlt habe. Mir ist auch wichtig mit meiner Kunst darauf zu reagieren. So ein total schicker Stadtteil, wo alles sauber und easy ist, hätte mich überhaupt nicht interessiert. Ich brauche dieses raue Stadtgefühl, was hier momentan wieder weniger wird durch ein bisschen zu viel Gentrifizierung, zu viele Coffeeshops und was da alles so auftaucht. Als ich mein Atelier aufgemacht habe, sind irgendwelche Uralt-Punker vorbeigekommen mit ihrem Kampfhund, standen vorm Schaufenster und haben sich alles kritisch angeschaut. Da dachte ich, okay, jetzt kommt bestimmt eine freche Bemerkung. Und dann kam nur “Hm, find ich okay. Ist cool. Mach weiter so.”

Deine Werke tragen sowohl farblich als auch von der Formsache her eine ganz eigene Handschrift. Hast du eine Lieblingsfarbe oder Lieblingsform?

Claudia von Funcke wurde für ihre Videoinstallation mit dem 1. Preis ausgezeichnet.

Meine vorherige Arbeit war über Kairo. Diese war wie die Stadt extrem bunt. Jetzt brauchte ich für mich selber wieder Schwarz-Weiß. Es passt einfach gut zu Berlin mit seinem größerem Abstraktionsgrad. Architekturpläne sind auch schwarz-weiß. Diese abstrakte Idee von Stadt ließ sich insofern besser in Schwarz-weiß realisieren als in Farbe. Ich gebe zu, ich habe eine gewisse Vorliebe für Schwarz-weiß. Der Einfluss von Stadt auf Mensch und der Sound der Stadt sind total wichtig. Gegen Kairo ist Berlin wie eine Kleinstadt und so ist eben auch der Sound, den ich zur Installation kreiert habe auch ganz anders.

Wir mussten für deinen Sound anstehen. Es gab nur einen Kopfhörer.

Was? Wurde schon wieder einer gemopst? Der Erste war sofort zu Beginn weg. Auch ein Vorteil von Neukölln: Dinge verschwinden einfach aus verschiedensten Gründen.

Gibt es einen Ort, an dem du eins deiner Werke unbedingt einmal installieren möchtest?

Ich mache viele Installationen und die haben meist den Nachteil immer nur temporär zu sein. Ich würde es bevorzugen etwas Längerfristiges, an einem Platz mit einem Gebäude und mit Architektur im Kontext, zu installieren.

Die Drittplatzierte und Sonderpreisträgerin Doro Zinn

Die Fotografin Doro Zinn ist Drittplatzierte beim Neuköllner Kunstpreis und bekam gleichzeitig noch den Sonderpreis von STADT UND LAND.

Neuköllner.net: Glückwunsch! Wie geht es dir mit deinem Gewinn?

Doro Zinn: Es ist sehr schön und vor allem sehr unerwartet. Es freut mich sehr, dass die Geschichte doch einige Leute interessiert.

Woher stammt dein Interesse an Menschen mit einer Migrationsgeschichte?

Ich habe vor meinem Fotografiestudium an der Ostkreuzschule Politik und Psychologie in Wien studiert. Dort habe ich mich schon stark mit dem Thema Migration auseinandergesetzt. Danach habe ich in Bangkok bei der UNHCR (Flüchtlingshilfe der UN) gearbeitet. Dann habe ich eine Arbeit über Jugendliche aus der Neuköllner Heidecksiedung gemacht, deren Eltern aus Palästina stammen. Das Thema ist also seit Jahren mein Thema. Den Grund dafür weiß ich nicht. Aber der Mensch und die Frage nach der Identität interessiert mich grundsätzlich.

Wie kam der Wechsel von Psychologie und Politik zur Fotografie?

Ich habe damals in Bangkok begonnen zu fotografieren und war dort mit einer Gruppe von spanischen Konfliktfilmern- und Fotografen befreundet. Die haben mich motiviert, es als Fotografin zu versuchen. Daran habe ich noch lange gezweifelt. In meinem ursprünglichen Freundeskreis gibt es kaum kreative Menschen. So war es lange wie ein abstrakter Traum.

Wie hast du die Jugendlichen, die du in „Future Kids“ porträtierst, kennengelernt?

Über Freunde und Bekannte. Bei der vorherigen Arbeit bin ich über Sozialarbeiter gegangen. Da habe ich aber gemerkt, dass ich dann in den Augen der Jugendlichen auch als Sozialarbeiterin gelte. Damit kam nie etwas ganz persönliches zustande.

Welches ist dein persönliches Lieblingsbild?

Porträts aus der Serie „Future Kids“ von Doro Zinn.

Ja, das Foto von Coco – das Mädchen mit dem roten Lippenstift, der so leicht verschmiert ist. Sie schaut so seitlich in die Kamera und wirkt stark und verletzlich zugleich. Genau so nehme ich sie auch wahr.

Hast du einen Lieblingsort in Neukölln?

Seitdem ich in Berlin wohne, lebe ich um den Hermannplatz. Außer Kreuzberg und Neukölln kenne ich kaum etwas von Berlin. Mein absoluter Lieblingsort ist der Parkplatz vom Lidl am Maybachufer. Da kann man im Sommer so schön sitzen und die Beine baumeln lassen. Aber Menschen, die denken, es braucht unbedingt noch ein anderes Café in Neukölln mit dem immer gleichen Interior nerven mich.

Was hast du mit dem Preisgeld vor?

Ich habe mit meinem Freund um den ersten und zweiten Platz gewettet. Davon wollten wir essen gehen. Aber über den dritten Platz haben wir gar nicht gesprochen. Jetzt ist nicht klar, ob ich verloren habe oder nicht. Ansonsten fahre ich demnächst nach Mexiko und kann das Geld sehr gut gebrauchen.

Der Nominierte Thilo Droste

Der Künstler Thilo Droste gehört zu den zehn Nominierten, ging bei der Verleihung aber leer aus.

Neuköllner.net: Danke, dass du mit uns sprichst, auch wenn es mit dem Preis nicht geklappt hat. Was hättest du gerne mit dem Geld gemacht?

Thilo Droste: Ich habe versucht nicht zu träumen, weil ich wirklich glaube, dass es letzten Endes eine Glückssache ist. Allerdings habe ich eine USA-Reise vor und hätte mir davon ein, bis zwei Hamburger mehr gegönnt.

Du wohnst, lebst und arbeitest in Neukölln. Was schätzt du besonders?

Ich wohne jetzt schon fast zehn Jahre hier, war Teil einer Avantgarde, die hierher zog als es noch nicht gemocht wurde. So habe ich den ganzen Wandel mitbekommen. Ich versuche das aber nicht zu bewerten, da sich eine Stadt entwickeln muss. Auch wenn ich mich persönlich schwer getan habe, mein Atelier aus eben diesen Gründen zu verlieren und es um so schwerer war ein Neues zu finden. Trotzdem möchte ich nicht in diesen Gentrifizierungs-Chor einstimmen.

Wo findest du deine Bilder, die du dann weiter bemalst und abwandelst?

Zwei Gekrönte und ein Seebär: Eine Besucherin betrachtet Arbeiten von Thilo Droste.

Die stammen jetzt eigentlich alle von Flohmärkten und Haushaltsauflösungen. Ein einziges stammt aus Familienbesitz. Da gab es auch eine große Hemmschwelle darauf zu malen. Ich habe neulich ein Foto entdeckt, auf welchem ich als kleines Kind vor diesem Bild sitze.

Wie kommst du auf deine Ideen?

Manchmal ist sofort eine Idee da und ich sehe, da fehlt noch dies oder jenes Element. Aber ich habe die Bilder auch wie in einem inneren Speicher und laufe manchmal auch eine ganze Weile damit herum.

Die Arbeiten der Preisträger und der Nominierten sind in einer Gruppenausstellung noch bis zum 18. März 2018 in der Galerie im Saalbau zu sehen. 

Neukoellner.net ist Medienpartner vom Neuköllner Kunstpreis 2018.