Mandy macht Urlaub

Sparkasse mal Post plus Falafel hoch Späti gleich Überfüllung. Oder warum Mandy jetzt weiß, dass irgendwo in Berlin auch keine Alternative zu Neukölln ist. Die fünfte Episode der Rollberger Geschichten. (mehr …)

Mittwoch, 5. Juli 2017

Zeichnungen: Frauke Boggasch

Jeden ersten Freitag im Monat treffen wir uns abends in Mandys Küche oder auf ihrem Balkon auf ein Sterni oder einen Futschi, das ist unser Neuköllner Jour fixe. Freitagabend, ich drücke den Klingelknopf und warte. Nach einer Weile, in der nichts passiert, höre ich hinter mir Kronkorken ploppen. Drei junge Vollbart und Bierflasche tragende Männer kommen näher und fragen mich auf Englisch nach einer Bar, die ein kleines Stück weiter die Straße hoch liegt. Ich löse meine Unwillen mit Berliner Freundlichkeit: ein betont verständnisloser Blick, ein angedeutetes kurzes Zucken mit den Schultern, darauf deutliche Missachtung. „Heute nicht“, denke ich. Sie sehen wieder auf ihre iPhones mit Maps und gehen in die falsche Richtung. Meine Freude darüber ist naiv, unmittelbar und schön.
Auch nachdem ich ein zweites Mal geklingelt habe, passiert nichts. Ich gehe um das Haus herum bis zu dem kleinen Spielplatz. Er besteht aus einem Stahlrohrklettergerüst, einem winzigen Sandkasten und ist fast immer leer. Heute allerdings sitzen auf der einzigen Bank die drei jungen internationalen Zwischenmieterinnen aus dem Erdgeschoss. Sie tragen Shorts, Oberschenkeltätowierungen, in der einen Hand Bierflaschen, in der anderen iPhones und kichern. Die Amerikanerin hat eine Französische Bulldogge, die Norwegerin einen Mops und die Engländerin einen Hut. Die beiden ohne Unterbrechung keuchenden Hündchen beginnen gleichzeitig zu kläffen, als sie mich entdecken. Ich stelle mir vor, Jan Klode wäre da, ohne Maulkorb, und ich könnte damit drohen, ihn von der Leine zu machen. Die Vorstellung macht mich froh, und auf ihr gekichertes „Hello! Have you heard about the vernissage in the bar nearby?“ reagiere ich wieder mit Berliner Freundlichkeit.
Von unten kann ich nicht sehen, ob Mandy in der Wohnung ist. Auf ihrem Balkon hängt über einer Wäscheleine ein weizengelbes Freitzeitanzugoberteil und eine Hose mit einem blauen und einem roten Bein. Ich pfeife laut, und sofort blökt es von einem der Balkone: „Biste blöd? Kannste nicht klingeln?!“ Neben mir keuchen die Hündchen heftiger und kläffen lauter. Fallen sie gleich um? Ich pfeife noch einmal. Vom ersten Balkon kommt ein entnervtes „Alter! und von einem anderen Balkon ein scharfes „Siktir lan!“ Ich gebe auf und rufe Mandy an.
„Ick bin in Pankow“, sagt sie. „Ick brauchte Urlaub.“ „In Pankow?!“ sage ich. „Irgendwo“, sagt sie und macht eine längere Pause. „Hier ist es ruhig“, unterbricht sie unser Schweigen. „Ick musste zur Sparkasse und zur Post“, erklärt sie, „du kennst die Schlangen.“ Ich warte ab. „Diesen Sommer endlich mal vor einem Späti einen Platz bekommen, endlich einmal wieder ein Falafel, ohne eine halbe Stunde anstehen zu müssen.“ Ich warte weiter ab. „Hier sind alle weiß“, sagt sie. „Ich weiß“, sage ich. Ich höre sie schwer seufzen. „Hier gibt es kein Falafel! Nicht mal einen vernünftigen Döner!“ Im Hintergrund bellt plötzlich Jan Klode wie verrückt los und beginnt böse zu knurren. „Ditt sind nur Rollatoren“, ruft Mandy, „krieg dir mal ein! Die tun dir nix!“ Trotzdem knurrt Jan Klode böse weiter. „Ick bekomme hier keine Luft“, sagt sie leise und nach einer kleinen Pause: „Holste mir ab?“ Im Hintergrund bellt Jan Klode rasend, hinter mir keuchen die Hündchen und ich denke: Ja!